Essen. Lehm, Koks und Taubenkot: Im ehemaligen Allbauhaus sorgt die begehbare Installation „Absorption“ für eine ungewöhnliche Ausstellungserfahrung.
Das Bild vom Museum als Labor ist in der Kunstwelt mittlerweile schon etwas ausgereizt. Schließlich ist der Ort des Neu- und Anderssehens auch selber von Normen und Vorgaben bestimmt – gerade in Fragen der Klimatisierung. Wenn sich die Urbanen Künste Ruhr in diesen von Umweltfragen bestimmten Tagen nun also um den Wertstoffkreislauf der Kunst kümmern, dann gehen sie damit nicht ins Museum, sondern in eine verlassene Innenstadtimmobilie.
Das Allbauhaus am Essener Pferdemarkt wurde schon von der Arbeiterwohlfahrt, der SPD und der Sparkasse genutzt, vor dem Zweiten Weltkrieg auch als Bürokomplex mit Geschäftszeile. Bis zum 25. September ist das gesamte Erdgeschoss vor allem eine gigantische, begehbare Kompostmaschine. „Absorption“ heißt die Installation des US-amerikanischen Künstlers Asad Raza, die in ähnlicher Form in den vergangenen Jahren schon in Sydney und im Berliner Gropius-Bau zu erleben war; im Rahmen der Ruhrtriennale in Essen nun aber buchstäblich Neuland betritt.
Klärschlamm von der Emschergenossenschaft und Biertreber von Stauder
Fast 200 Tonnen Mutterboden haben sie in den vergangenen Wochen dafür in die denkmalgeschützten Räume des historischen Allbaugebäudes geschippt und mit organischer und anorganischer Materie aus dem Ruhrgebiet angereichert. Koks aus der Kokerei Hansa ist dabei wie Klärschlamm von der Emschergenossenschaft, Bietreber der Privatbrauerei Stauder, Kakaoschalen und Haarreste aus lokalen Friseursalons. Aber auch geschredderte Kostüme der Ruhrtriennale und fein gehexeltes Verpackungsmaterial aus dem Museum Folkwang arbeiten Mitarbeiter, genannt „Cultivators“, mit Schaufel in den Boden ein.
Für die körperliche Kunst-Arbeit hat Urbane Künste Ruhr in den vergangenen Monaten Mitstreiter aus der gesamten Region gesucht. Petra Lachnicht, Sozialarbeiterin aus Altenessen, ist eine von ihnen. Sie hofft vor allem auch darauf, mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen und dabei „nicht nur das klassische Museumspublikum“ zu erreichen.
Auch Tim Pickartz ist dabei, der vor zwei Jahren als Uni-Dozent für Gegenwartskunst nach Essen gekommen ist. Nach der langen Zeit im Homeoffice sei die Herausforderung, „etwas körperlich zumachen, sehr attraktiv gewesen“, sagt Pickartz und greift zur Schaufel. In regelmäßigen Abständen wird die Erde im Allbauhaus von den „Cultivators“ gewässert, aufgelockert und mit neuen Bestandteilen wie Quarzsand oder Kaffeehäutchen angereichert. Über die Zusammensetzung und den optimalen PH-Wert der neuen Erde, der „Neosoil“, wie Raza sie nennt, wachen regelmäßig wissenschaftliche Berater, erklärt der Künstler mit pakistanischen Wurzeln, der in Buffalo geboren wurde und mittlerweile in Berlin lebt.
Zunächst war geplant, den Essener Kaufhof mit Erde zu befüllen
Razas Arbeit berührt dabei mit sinnlichem Geschick nicht nur Fragen von Ökologie und Ressourcenschonung, sondern auch Aspekte des Städtebaus. Zu den Industriebrachen als Relikte der Bergbauzeit kommen nun, nicht nur coronabedingt, immer mehr Laden-Leerstände. „Absorption“ soll deshalb auch ein Nachdenken über die Nutzung solcher Flächen in Gang setzen, wünscht sich Britta Peters, künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr. Ursprünglich sei sogar geplant gewesen, den geschlossenen Essener Kaufhof mit Erde zu füllen. Doch das leerstehende Warenhaus wird bereits umgebaut. So fiel die Wahl auf die Immobilie in der Essener Nordstadt. Dass die „große, sinnliche Arbeit“ dort am Ende „ohne Materialschlacht auskommt“, ist für Peters ein wichtiger Aspekt. Denn was reinkommt, kommt am Ende auch wieder raus. Besucher können sich ein Säckchen „Neosoil“ mit nach Hause nehmen. Am Ende der Ausstellung werden auch Kleingärten und der Botanische Garten in Bochum mit den Überbleibseln der ungewöhnlichen Kunstaktion beglückt.
Erde zu Erde – der Kreislauf wird schon vor Ort in Kunstaktionen aufgegriffen wie der performativen Toninstallation von Maria Renee Morales Garcia. Die Kunststudentin ist vor sechs Jahren aus Guatemala nach Münster gekommen. Nun formt sie Ton zu Kugeln, die am Ende wieder kleingehauen in die Erde eingearbeitet werden. Frank Steinweiß steht mit nackten Füßen gerade mittendrin im künstlerischen Transformationsprozess: Ton, keine Scherben, dafür ein bisschen Taubenkot. Die Vogelexkremente sind natürlich eine spezielle Zutat der Ruhrgebiets-Ausgabe von „Absorption“.