Essen. Ob Nazi-Bildchen oder Haftbefehl – am AfD-Abgeordneten Stefan Keuter perlt jede Kritik ab. Für die neue Kandidatur hat er viele Hürden abgeräumt.

Als der Postbote ihm am Tag vor Heiligabend das kleine Präsent an seine Werdener Wohnadresse bringen wollte, da musste dieser erst ein Weilchen suchen – um dann doch unverrichteter Dinge wieder abzuziehen: Empfänger Stefan Keuter so notierte der Zusteller auf dem Auslieferungsvermerk, sei schlicht „nicht zu ermitteln“. Und gleich dahinter schrieb er den vielleicht etwas gewagten Hinweis: „Soll verstorben sein.“

Nun, der AfD-Bundestagsabgeordnete Keuter war in jenen Adventstagen zwar an Corona erkrankt, ansonsten aber quicklebendig; er postete am 23. Dezember einen kritischen Text über den russischen Oppositionspolitiker Nawanly und wünschte tags darauf mit dem Hinweis „soooo gefährlich ist dieses Virus gar nicht“ auf Facebook die besten Wünsche zum Christfest. Und wenn er nun dieses Wochenende bei der Landeswahlversammlung der nordrhein-westfälischen AfD in Siegen erneut Anlauf für den Bundestag nimmt, dann dürfte auch dem Letzten klar sein, dass dieser Stefan Keuter so leicht nicht kleinzukriegen ist: Der Mann hat sieben politische Leben, mindestens.

Zur Person: Stefan Keuter

Wenn’s nach ihm geht, hat er Guido Reil für die AfD „entdeckt“ – und machte wie dieser Schlagzeilen, aber heiklere. Stefan Keuter ist gebürtiger Essener des Jahrgangs 1972, war Bänker, absolvierte ein Förderprogramm und berufsbegleitendes Studium, war unternehmerisch aktiv, mal angestellt, mal selbstständig, mal mehr, mal weniger erfolgreich.Seit 2013 ist er Mitglied der AfD, war Sprecher des Kreisverbandes Essen, kandidierte im Mitte-Süd-Wahlkreis und gehört seit 2017 dem DeutschenBundestag an.

Nazi-Bildchen, haltlose Verdächtigungen und eine Bumerang-Rede

Anders ist nicht zu erklären, warum die von ihm produzierten Schlagzeilen dem 48-Jährigen nicht längst den politischen Garaus gemacht haben, sondern abperlen wie heißes Fett von der Teflon-Pfanne. Egal, ob es sich um die geschmacklosen Hitlerbildchen und Wehrmachts-Memes ging, die er per WhatsApp verschickte, um eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung nach dem Besuch einer Potsdamer Gedenkstätte oder um haltlose Verdächtigungen gegen einen Ex-Mitarbeiter.

„Schämen Sie sich nicht?“ fragte Keuter den versammelten Bundestag, als er die vermeintliche Raffgier der Abgeordneten bei den Diäten aufs Korn nahm – um letztlich selber ohne mit der Wimper zu zucken jene steuerfreie Pauschale zu kassieren, die andere für ein Wahlkreis-Büro nutzen, auf das er verzichtet.

Keuter zahlt seine Außenstände, der Haftbefehl gegen ihn ist vom Tisch

Kein Wunder: Keuter brauchte das Geld wegen hoher Außenstände. Die hatte er bei Ex-Mitarbeitern, beim Allbau, der ihn einst wegen Mietrückständen aus seiner Kupferdreher Wohnung warf, aber auch bei einem Altenessener Rentner, dem er jahrelang 5000 Euro für einen abgekauften Imbisswagen schuldig blieb. Und während ein Gerichtsvollzieher Keuter mit einem echten Haftbefehl als größtem Druckmittel in Angelegenheiten der Zwangsvollstreckung nachstellte, bescheinigte die Bundestags-Verwaltung anderen Gläubigern, sie müssten sich hinten anstellen: Keuters Diäten würden gepfändet, „frühestens ab Mai 2022“ könnten neue Zahlungsverpflichtungen beglichen werden.

Umso mehr erstaunt manchen Beobachter, dass der AfD-Parlamentarier in diesem Frühjahr begann, seine Schulden im großen Stil abzuzahlen: So hat Keuters ehemaliger Berliner Büroleiter Marc K. sein Geld nach eigenem Bekunden inzwischen überwiesen bekommen, und auch der Haftbefehl ist vom Tisch: Oliver Post, Anwalt des Rentners aus dem Essener Norden, der seit 2015 seinem Geld hinterlief, kann nach geschlagenen sechs Jahren Vollzug melden: Mit Zinsen und Gerichtskosten war die Schuld auf fast 10.000 Euro angewachsen, doch der letzte Euro ist seit knapp drei Wochen beglichen: „Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet“, staunt Post.

Nicht noch einmal misstrauische Fragen zur Bundestags-Nominierung

Dass Keuter, der schon in früheren Jahren notorisch klamm war und des öfteren die Vermögensauskunft verweigerte, plötzlich alle seine Rechnungen zahlt, lässt bei aktuellen wie ehemaligen Wegbegleitern die Vermutungen ins Kraut schießen, wo das Geld herkommen könnte. Und warum jetzt.

Zumindest das Warum liegt auf der Hand: Schon einmal musste sich Stefan Keuter bei einer Bundestags-Nominierung misstrauische Fragen nach Verbindlichkeiten im größeren Stil gefallen lassen. Für die bevorstehende Wahl-Versammlung in der Siegerlandhalle, wo die „Alternative für Deutschland“ ab Samstag ihre NRW-Landesliste festzurrt, möchte er sich das offenbar ersparen.

Denn es geht um viel: Auch für die AfD wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel, eine gute Listen-Platzierung könnte Keuter den Wiedereinzug ins Parlament sichern – und manchem Parteifreund vielleicht die Rückzahlung weiterer Schulden. Geraunt wird in Parteikreisen von Absprachen, Keuter einen guten Listenplatz 5 bis 7 zu organisieren. Zum Vergleich: 2017 reichte NRW-Rang 11 fürs Mandat.

„Konzentriert und fleißig“ – für manchen mit zu viel Einsatz für Russland

Das habe er sich verdient, lässt Keuter in einem Bewerbungsvideo auf Youtube durchblicken: Über 40 mal habe er am Redepult gestanden, „konzentriert und fleißig“ seinen Abgeordneten-Job gemacht – als Mitglied im Finanz-Ausschuss, im Untersuchungs-Ausschuss Breitscheidplatz, aber auch in der deutsch-russischen Parlamentarier-Gruppe.

Gerade bei letzteren Kontakten zeigt Keuter nach Ansicht von Beobachtern verdächtig viel Einsatz. So unterhält er nach einem Bericht der „Welt“ auch Kontakte zu Personen und Organisationen, die wegen gezielter systematischer Desinformationskampagnen (nicht nur) in den USA auf dem Index stehen und von Nachrichtendiensten auch hierzulande kritisch beäugt werden. Der Essener Abgeordnete stellt derlei Verbindungen nicht in Abrede, den Vorwurf, sich ausnutzen zu lassen, wehrt er ab: Es gehe nur um freundschaftliche Kontakte, ansonsten trieben die öffentlich-rechtlichen Medien mal wieder „eine neue Sau durchs Dorf“.

Die Essener AfD nominiert erst im Juni – wenn die Landesliste schon feststeht

Das mag hier und da gut ankommen. In seinem Essener AfD-Heimatverband aber schlägt Keuter keine sonderliche Begeisterung entgegen. Dessen gut 200 Mitglieder wollen erst im Juni ihre Bundestagskandidaten küren, was zu der kuriosen Lage führen könnte, dass bis dahin Keuter schon unverrückbar auf der Landesliste rangiert. Mancher glaubt, das sei weniger Zufall als vielmehr Absicht, um Keuter, den hier viele nicht mögen, politisch wie persönlich, einerseits nicht wählen zu müssen, und andererseits damit kein innerparteiliches Theater vom Zaun brechen.

Ob Essens AfD-Vorsitzender Günter Weiß Keuter die Stimme gibt? Er „möchte da nicht vorgreifen“, windet sich Weiß, was nicht weiter schlimm ist, schließlich werde die AfD ja die Medien zur Nominierung einladen, oder?

„Eher weniger.“