Essen. Seit fünf Jahren versucht ein Rentner beim AfD-Bundestagsabgeordneten Stefan Keuter Geld einzutreiben. Jetzt hat er gar einen Haftbefehl erwirkt.
Im Deutschen Bundestag erklärt Stefan Keuter nur zu gern die komplizierte Welt des Geldes – von der Bon-Pflicht bis zur Bargeld-Abschaffung, vom Solidaritätszuschlag bis zum Steuer-Tarif. Eine ganz simple Erläuterung bleibt der Essener AfD-Abgeordnete dagegen offenbar seit Jahren schuldig: jene nämlich, wie es um seine eigenen Finanzen steht. Und so ist ein Streit um überschaubare 5000 Euro, die Keuter dem Essener Rentner Peter M. schuldet, derart eskaliert, dass der Abgeordnete jetzt in arge Bedrängnis gerät: Gegen ihn liegt ein Haftbefehl vor.
Dass im Berliner Reichstag in Kürze die Handschellen klicken, ist gleichwohl nicht zu erwarten. Denn der Haftbefehl, den ein Essener Gerichtsvollzieher da am 30. September 2019 unter der Geschäftsnummer 27 M 1492/19 ausstellte, er ist nicht mit einem strafrechtlichen gleichzusetzen. Das Papier dient in Angelegenheiten der Zwangsvollstreckung nur als größeres Druckmittel, damit ein Schuldner seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegt, wenn er sich diesem Schritt bisher galant entzog.
Keuter hält die Forderung von Peter M. für „unberechtigt“
Doch wer nicht reagiert, bekommt Ärger: Zumindest in der Theorie droht das Schreiben mit Verweis auf den Paragrafen 802g der Zivilprozessordnung, dass „auf Antrag des Gläubigers gegen den Schuldner die Haft angeordnet wird“ – in diesem Fall, um zu erfahren, wo bei Keuter Geld zu holen ist. In der alltäglichen Praxis der Gerichtsvollzieher aber ist der damit mögliche Gefängnisaufenthalt von bis zu einem halben Jahr äußerst selten. Und Keuter nach Angaben des Bundestags zudem durch seine Immunität als Abgeordneter geschützt.
Vielleicht reagiert der 47-Jährige deshalb auf Anfrage zwar überrascht, aber nicht sonderlich beunruhigt: Von einem Haftbefehl wisse er nichts, beteuert der Parlamentarier, der die „Alternative für Deutschland“ im Finanzausschuss des Bundestages vertritt – und betont, dass die Forderung von Peter M. „unberechtigt“ sei. Er werde dagegen vorgehen.
Ein Imbiss auf der Stauderstraße ist Ausgangspunkt des Streits
Rede und Gegenrede in einem Fall, der noch vor Keuters Zeit im Bundestag seinen Anfang nahm. Peter M. aus Altenessen-Süd betrieb damals über zwei Jahrzehnte einen Imbiss auf der Stauderstraße, bis er 2014 schwer erkrankte und das Geschäft im Alter von 69 Jahren verkaufen musste.
Ein Kunde habe ihm damals einen Kaufinteressenten präsentiert: Stefan Keuter und dessen Unternehmen Tradco, das im Handel- und Dienstleistungsbereich tätig war: „Wir waren uns schnell handelseinig“, erzählt Peter M., der seinen Laden rasch loswerden wollte. „Es liefen ja die Rechnungen wie Strom und Miete weiter.“
Im August 2015 bekam Peter M. Recht – Keuter war einfach nicht erschienen
Im Dezember 2014 wechselte der Imbiss den Besitzer, der vereinbarte Preis von 5000 Euro sollte im Januar 2015 fließen. Im Vertrag, den die Redaktion einsehen konnte, stand sinngemäß der Passus, dass sich Keuter als Geschäftsführer von Tradco persönlich für die Zahlung des Kaufpreises verbürge. Eine Passage, die später wichtig werden sollte.
Denn Peter M. wartet bis heute vergeblich auf sein Geld. Anfangs mahnte er noch selbst, später schaltete er den Essener Anwalt Oliver Post ein, der die Sache vors Amtsgericht Steele brachte. Dort erging im August 2015 ein Versäumnisurteil, weil Keuter gar nicht erst vor Gericht erschienen war. An sein Geld kam Peter M. dennoch nicht. „Die Odyssee ging da erst los“, sagt der heute 73-Jährige.
Laut Schufa ein Dutzend vergeblicher Anläufe für die Vermögensauskunft
Denn Keuters Firma Tradco hatte schon im Jahr 2014 Insolvenz angemeldet – und ausweislich einer Schufa-Liste vor wie auch nach dem Imbiss-Kauf insgesamt ein Dutzend Mal die Abgabe der Vermögensauskunft verweigert. Das kam auch jenen Parteifreunden in der AfD spanisch vor, die über seine Bundestags-Kandidatur zu befinden hatten.
In Mails wurde Keuter spöttisch aufgefordert, endlich mal „Mut zur Wahrheit“ zu zeigen, in Protokollen gebeten, seine Verbindungen zu diversen Firmen offenzulegen. Und immer wieder gab es Streit, auch um Klein- und Kleinstbeträge, für die der AfD-Schatzmeister vom damaligen Essener AfD-Vorsitzenden Keuter laut Niederschriften Belege einforderte. Offenbar vergeblich.
„Wenn der jetzt im Bundestag sitzt, dann hat er ja jetzt Geld“
Auch Peter M. und sein Anwalt fanden kein Packend: „Wir haben dann 2016 erstmal alles ruhend gestellt.“ Der Rentner schreckte erst zwei Jahre später, im Sommer 2018, auf, als er den umstrittenen AfD-Mann Keuter in einem Video bei einer seiner Bundestagsreden wiedererkannte. M. war erbost – und hoffnungsfroh zugleich: „Ich dachte nur, das gibt es doch nicht! Wenn der jetzt im Bundestag sitzt, dann hat er ja jetzt Geld.“
Immerhin erhält ein Bundestagsabgeordneter über 10.000 Euro an (zu versteuernde) Diäten und fast 4500 als steuerfreie Kostenpauschale. Hinzu kommen bei Keuter diverse Nebeneinkünfte : beim Deko-Laden Boltze im schleswig-holsteinischen Braak, beim Jagdausrüster Greenbelt in Paderborn, bei JT Nutzfahrzeuge in Bad Bentheim und auch beim hiesigen Gourmet-Veranstalter „Essen genießen e.V.“.
Tausende Euro an Nebeneinkünften – vom Dekoladen bis zu „Essen genießen“
Laut Keuters Selbstauskunft für die Internetseite des Bundestages lag sein Zusatz-Salär 2018 bei mindestens 7000 und 2019 sogar bei mindestens 17.500 Euro. Die längst rechtskräftige Forderung hätte sich damit wohl zahlen lassen, auch wenn durch aufgelaufene Zinsen, Gerichts- und Verfahrenskosten die Summe mittlerweile auf rund 8000 Euro angeschwollen sein dürfte.
M.s Anwalt beantragte beim Gerichtsvollzieher erneut eine Vermögensauskunft, um damit eine Zwangsvollstreckung einzuleiten. Doch einen Termin Ende Februar 2019 habe der AfD-Politiker ebenso verstreichen lassen wie einen im September vergangenen Jahres, am Freitag den 13., ausgerechnet.
Der Gerichtsvollzieher kam am Freitag, den 13., und er kam vergeblich
Ein Termin, zu dem der Abgeordnete geladen war, wie der nun vorliegende Haftbefehl notiert, doch Keuter weilte in der Hauptstadt, wo die Sitzungswoche des Bundestags ausklang, und gesellte sich tags darauf in Essens Nachbarstadt Mülheim zum Oktoberfest der AfD. An seiner Seite die Parteigröße Andreas Kalbitz, wie sich Keuters Facebook-Einträgen entnehmen lässt.
Nun ist es an Peter M., die nächste Eskalationsstufe zu zünden: Sie bestünde darin, den Haftbefehl zur Zwangsvollstreckung auch nachts, wochenends oder an Feiertagen zustellbar zu machen. Keuters Einwänden, die Schilderung des Imbiss-Verkäufers sei nicht korrekt, begegnet Anwalt Post mit demonstrativer Gelassenheit: „Die Forderung über 5000 Euro ist rechtskräftig festgestellt.“ Und in der Vergangenheit habe es genügend Möglichkeiten gegeben, sich dagegen zu wehren.
Klein beigeben will Peter M. jedenfalls nicht. Ein solcher Haftbefehl ist zwei Jahre lang gültig, der Titel selbst sogar 30 Jahre. Peter M. hat also Zeit und macht deutlich: „Ich ziehe das durch.“
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