Essen. Eine Fahrzeugkontrolle der Essener Polizei eskaliert. Zwei Insassen werden angeklagt. Weil sie Handymitschnitte vorlegen, wendet sich das Blatt.

Der Vorfall liegt schon fast zwei Jahre zurück: Eine Fahrzeugkontrolle der Polizei auf der Gladbecker Straße (B 224) in Essen am 20. Dezember 2019 um 2.45 Uhr läuft völlig aus dem Ruder. Es kommt zu massiven Auseinandersetzungen und offenbar auch zu brutaler Polizeigewalt mit Schlägen und Pfefferspray. Der eskalierte Polizeieinsatz wird ein Fall für die Justiz: Zwei der drei Insassen des kontrollierten Wagens werden angeklagt wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Doch das Amtsgericht Essen spricht die Männer im Januar 2021 frei. Vor wenigen Tagen hat nun auch das Landgericht Essen die Berufung verworfen: ein Freispruch in zwei Instanzen. Jetzt droht den Polizisten selbst ein Strafverfahren.

Eine entscheidende Rolle in diesem Gerichtsverfahren spielen die Bild- und Tonaufnahmen, die bei diesem Polizeieinsatz mit dem Handy des nicht angeklagten Fahrers entstanden sind. Ein Polizist hatte das Handy zwar an sich genommen, aber nicht ausgeschaltet. Deshalb existiert eine Tonaufnahme, die die Eskalation des Polizeieinsatzes dokumentiert und dem Gericht vorgelegt wurde. „Meine Mandanten haben Glück gehabt, dass es diese Aufnahmen gibt“, sagt Strafverteidiger Christian Hemmer aus Gelsenkirchen. Und fügt hinzu: „Ohne sie hätte es die Freisprüche wahrscheinlich nicht gegeben.“

Ein Polizist sagt: „Kommt ein Ding und ich schlage dir dein Genick ein“

Einer der beiden Angeklagten ist ein Zeitsoldat der Bundeswehr mit schwarzer Hautfarbe. Das Amtsgericht Essen hält im erstinstanzlichen Urteil fest, dass er auf dem Handymitschnitt mehrfach schreit, als sein Freund auf dem Boden liegt und offenbar massiv von den Polizisten angegangen wird. „Die hauen auf ihn ein“, brüllt er. Und der Freund auf dem Boden schreit: „Ich kriege keine Luft mehr, ich kriege keine Luft mehr.“ Der Soldat wendet sich an einen neben ihm stehenden Polizeibeamten und sagt: „Ihre zwei Kollegen treten auf den ein.“ Worauf der Polizist erwidert: „Ja, wenn er sich benimmt wie ‘ne offene Hose.“

Der Fahrer des Wagens gibt in der Hauptverhandlung zu Protokoll, dass Polizeibeamte auf den am Boden liegenden Mitfahrer eingetreten und ihn geboxt hätten, obwohl er sich nicht bewegt habe. Eine weitere Zeugin sagt im Gerichtssaal unter Tränen aus, dass ein Polizist auf ihrem Bekannten gesessen und der andere Polizist ihn getreten habe.

Als der Soldat die Aufforderung eines Polizisten, die Hände aus den Taschen zu nehmen, nicht befolgt, setzen die Beamten sofort Pfefferspray ein und bringen ihn zu Boden. Auf der Handyaufnahme ist ein Polizist zu hören: „Die scheiß Hände auf den Rücken, ich brech dir den Scheißarm du Wichser.“ Später fällt der barsche Satz: „Kommt ein Ding und ich schlage dir dein Genick ein.“

Zuerst geht die Staatsanwaltschaft in die Berufung, dann beantragt sie die Verwerfung

Die Amtsrichterin Margrit Lichtinghagen spricht die beiden Angeklagten frei, tadelt die „massiven Übergriffe der Polizisten“ und sagt: „Wir haben hier noch keine amerikanischen Verhältnisse.“

Trotz der offenbar klaren Beweislage ging die Staatsanwaltschaft Essen in die Berufung, machte aber in der zweiten Instanz selbst einen Rückzieher. Das Landgericht Essen entschied daraufhin am 23. November ebenfalls, die Berufung zu verwerfen.

Die Essener Polizei zu Handy-Mitschnitten

Die Essener Polizei erklärt, dass das Filmen von Polizeieinsätzen grundsätzlich gestattet sei. Polizeibeamte hätten aber zugleich ein Recht am eigenen Bild. Ausnahmen seien zeitgeschichtlich relevante Geschehnisse (Urteil des OLG Köln, 1 RVs 175/21).Paragraph 201 des Strafgesetzbuches schütze die Vertraulichkeit des Wortes. Darunter falle nach Darstellung des Polizeipräsidiums Essen „das unbefugte Aufzeichnen des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes, das sich an eine bestimmte Person bzw. an einen bestimmten Personenkreis richtet“.Ferner betont die Behörde: „Sollten sich aus den oben genannten Gründen Verstöße ergeben oder sind die Aufzeichnungen als Beweismittel im Strafverfahren relevant, wird die Polizei das Handy sicherstellen oder beschlagnahmen.“

Die Freigesprochenen haben die Polizeibeamten inzwischen angezeigt wegen „Körperverletzung im Amt“, möglicherweise kommen weitere Straftatbestände wie Nötigung oder Falschaussage hinzu. „Das Verhalten der Polizeibeamten wird strafrechtlich überprüft werden“, sagt die Essener Oberstaatsanwältin Anette Milk.

Strafverteidiger zu Mitschnitt: „Polizisten hätten das Handy nicht wegnehmen dürfen“

Rechtsanwalt Christian Hemmer sieht es als absolut gerechtfertigt an, dass der Polizeieinsatz gefilmt worden ist. „Die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes gilt nicht für das öffentlich gesprochene Wort. Die Polizeibeamten hätten dem Fahrer das Handy folglich nicht wegnehmen dürfen.“

Bestärkt fühlt sich der Strafverteidiger durch die mündliche Urteilsbegründung der Richterin. Diese habe ausdrücklich betont, dass die Fahrzeugkontrolle der Polizei eine öffentliche Maßnahme und die Tonaufnahme somit rechtens gewesen seien.