Essen. Der Sanierungsstau geht in die Millionen, aber muss die Apostelkirche in Essen deshalb abgerissen werden? Warum das Gotteshaus so bedeutend ist.
Entschieden hat das Presbyterium der evangelischen Kirche in Essen-Frohnhausen noch nichts. Doch je länger das Wort Abriss wie ein Damoklesschwert über der bald 110 Jahre alten Apostelkirche schwebt, desto heftiger zerrt es an den Nerven der Gemeinde. Jetzt erhält das Lager der Abrissgegner Rückhalt vom Historischen Verein. „Wir sprechen uns für den Erhalt der Apostelkirche aus“, sagt Geschäftsführer Klaus Kaiser. Unterdessen vertröstet Monika Fränkel, die Vorsitzende des Presbyteriums, die ungeduldig wartende Gemeinde auf den Frühsommer oder Sommer. „Dann soll die Machbarkeitsstudie vorliegen.“
„Eine im damaligen Kirchenbau höchst ungewöhnliche und provokante Ästhetik“
Der Architekturexperte und Buchautor Robert Welzel („Essener Streifzüge“) kämpft an zwei Fronten leidenschaftlich für den Erhalt des 1912/13 von Architekt Ewald Wachenfeld entworfenen Frohnhauser Gotteshauses: Er ist engagiertes Gemeindemitglied und gehört gleichzeitig dem Vorstand des Historischen Vereins an. Für ihn ist der Kirchenbau ein ausgesprochen wichtiges und gelungenes Beispiel sakraler Reformarchitektur aus der Spätzeit des wilhelminischen Kaiserreichs. Über den Monumentalbau an der Mülheimer/Ecke Berliner Straße urteilt er: „Die Kombination eines innovativen Raumkonzeptes mit einer im damaligen Kirchenbau höchst ungewöhnlichen und provokanten Ästhetik besitzt in Deutschland Seltenheitswert.“
Auch während des Rundgangs am Apostelzentrum gerät der Architekturexperte immer wieder ins Schwärmen – und sagt: „Die Gemeinde hat damals größten Wert darauf gelegt, einen Rolls-Royce als Kirche zu bauen.“ Seine aktuelle Sorge ist, dass die Kirchenleitung heute den Wert der Apostelkirche nicht sieht.
Glockenturm erinnert an den Campanile vom Markusplatz in Venedig
Als kirchengeschichtlich richtungsweisend habe sich die Komposition als Gruppenbau erwiesen: Die Baukörper für Gottes-, Gemeinde- und Pfarrhaus gehen fließend einander über und bilden eine Einheit - ein Vorgriff auf das spätere Konzept des Gemeindezentrums. In die Höhe ragt der markante Glockenturm, bei dem sich der Architekt vom Campanile am Markusplatz von Venedig inspirieren ließ.
Aufsätze und Vorträge
Zwei Aufsätze in den Essener Beiträgen von 2020 befassen sich mit der Apostelkirche: der eine stammt aus der Feder von Ute Reuschenberg, der andere von Robert Welzel.Der aktuelle Vortrag von Robert Welzel über die Essener Apostelkirche ist auch auf Youtube zu sehen.Die Prüfung der Denkmalwürdigkeit der Apostelkirche durch die Denkmalbehörden dauert noch an.
Kirchenbauten im Kaiserreich pflegten damals – als Zeichen von Würde und Beständigkeit – mit Verblendern und auf Sockeln aus Naturstein errichtet zu werden. Beide Merkmale fehlen der Apostelkirche. „Ihre schlicht verputzte Fassade war damals ein Tabubruch“, sagt Welzel. Dass der renommierte Stadtplaner Robert Schmidt (Moltkeviertel) bei ihrem Bau ebenso seine Hände im Spiel hatte wie der reformorientierte Kirchenbaumeister Prof. Friedrich Pützer („Darmstädter Jugendstil“), empfindet Welzel kunstgeschichtlich als besonders segensreich. „Die Kirche ist ein Pützer-Bau aus zweiter Hand.“
Die Weltkriegsbomben haben den Komplex heftig getroffen. Gemeinde- und Pfarrhaus waren komplett, die Kirche selbst zu 60 Prozent zerstört. In der bis auf das hohe Dach weitgehend originalgetreu restaurierten Kirche fehlen lediglich die zwölf Apostelfiguren in den hochformatigen, bleiverglasten Fenstern. Auch die Orgel steht nicht mehr auf der Sängerbühne, sondern direkt gegenüber auf der Empore, die von zwei mosaikgeschmückten Pfeilern getragen wird. Der große Saal, der übrigens breiter als lang ist, fasst unter dem Kassettengewölbe rund 1000 Menschen. Kritische Zeitgenossen sprachen damals nicht von einer modernen Großkirche, sondern von einem „schlechten Konzertsaal“.
Presbyterium verweist auf 8,1 Millionen Euro Investitionsstau
Die kunst- und kirchengeschichtliche Ausnahmestellung der Apostelkirche ist die eine Seite der Medaille, ihre Sanierungsbedürftigkeit die andere. In der Frohnhauser Gemeinde belaufe sich der Investitionsstau auf mittlerweile 8,1 Millionen Euro, sagt die Presbyteriumsvorsitzende auf Anfrage. Und weist darauf hin, dass das Dach der Apostelkirche undicht sei.
Sinkende Mitgliederzahlen und schrumpfende Kirchensteuereinnahmen verschlimmern die Malaise – so wie in vielen anderen evangelischen (und katholischen) Gemeinden in Essen auch. Die Vorsitzende stellt deshalb die grundsätzliche Frage, ob weiterhin drei Kirchen nötig seien, wenn sonntags tatsächlich nur 20 bis 30 Gläubige den Gottesdienst besuchten.
Wohin für das Presbyterium die Reise gehen soll, hat es in einem Gemeindebrief vor zwei Jahren deutlich gemacht. An der Mülheimer Straße, so heißt es darin, werde ein neues Gemeindezentrum errichtet und die 1949 von Otto Bartning errichtete Notkirche soll als zentrale Predigtstätte dienen. Der Satz, der die Freunde der Apostelkirche so verunsichert, lautet: „Sukzessive sollen die Apostelkirche, die Markuskirche sowie das Markusgemeindehaus aufgegeben werden.“
Frohnhausen und Krupp – der Traum von einem menschenfreundlichen Arbeiterviertel
Ob Aufgabe gleichzusetzen ist mit Abriss – diese Kardinalfrage soll die mit Spannung erwartete Machbarkeitsstudie beantworten, die das Essener Architekturbüro Böll erarbeitet.
Am Ende des Rundgangs erinnert Robert Welzel am Gänsereiterbrunnen an die emotionale Verbindung der Apostelkirche zu Krupp und Frohnhausen. Daran, dass Krupp von Bohlen und Halbach den Kirchenbau seinerzeit mit 50.000 D-Mark unterstützt hat. „In Frohnhausen sollte ein menschenfreundliches Arbeiterviertel entstehen mit der Apostelkirche als Endpunkt.“