Essen.. Man hätte es Kay Genau und Otto Rafalski leichter machen können. Ein hoher Pfahl im Stadtwald, eine farbig markierte Buche wären gute Hinweise auf den Bundeswaldinventur-Messpunkt 19.032 gewesen. „Doch Markierungen im Wald“, sagt Oberforstrat Lutz Falkenried, „werden von Spaziergängern abgeräumt.“ Hinzu kommt Zurückhaltung: „Der Grundstücksbesitzer“, in diesem Fall ist das die Stadt Essen, „soll in seiner Waldplanung nicht von uns beeinflusst werden. Wir sind lediglich Beobachter“, sagt Falkenried.

Denn die Bundeswaldinventur soll den Ist-Zustand des Waldes erfassen. Rund acht Milliarden Bäume gibt es bundesweit. Eine Masse, ob der sich schlecht abschätzen lässt, wie gesund, wie artenreich der deutsche Wald ist. Doch selbst bei großer Akribie: Milliarden Bäume zählen, das lässt sich kaum bewerkstelligen. So fußt die Summe auf statistischen Berechnungen. 400.000 Bäume haben die Zählteams bei der Inventur vor zehn Jahren von Hand vermessen, gezählt bewertet, haben Verbissschäden registriert und die Durchmischung von Waldgebieten.

Was der Bund, der lokale Ingenieurbüros und Forstexperten mit den Zählung beauftragt, mit dem gigantischen Berg Datenmaterials anfangen will? Wichtig seien die Zahlen für die Holzindustrie, sagt Falkenried. Denn wie viel Holz geschlagen werden kann, wie die Durchmischung in den Wäldern ist, ob das Land auf eine Knappheit zusteuert und der Bestand gesund ist, all diese Zahlen liefern die Zählteams.

Punkte ergeben Gitternetz

Die stets gleichen Punkte, an denen gemessen, gezählt, bewertet wird, sie ergeben sich aus einem Gitternetz, das über der Deutschlandkarte liegt. Alle vier mal vier Kilometer gibt es eine Markierung, die vergraben ist zwischen Bäumen. Betonierte Flächen fallen durch das Raster. An Messpunkt 19.032 zeigt das Laptop, das Waldplaner Kay Genau vor dem Bauch trägt, einen Buchenhain an. Über die Renteilichtung geht es in einen Waldweg, dann bauen Genau und der gelernte Vermesser Otto Rafalski ein Stativ auf.

Das darauf montierte Gerät haben die beiden Mitarbeiter des Landesbetriebs Wald und Holz NRW mitentwickelt. Die Daten von russischen Glonass- und GPS-Navigationssatelliten kann es empfangen. Gekoppelt ist es an einLaptop, das Genau sich vor den Bauch geschnallt hat. „Bis auf ein, zwei Meter genau kommen wir damit an den Messpunkt heran“, sagt der Waldplaner und folgt - mit Blick auf den Monitor - den Satellitenmessdaten, so weit sie ihn eben an die Markierung heranführen.

Metalldetektor zeigt Markierungen an

Mit einem Metalldetektor schließlich spürt Falkenried die diskret gesetzte Markierung im Boden auf, schiebt Blätter und abgestorbene Äste beiseite.

Genau blättert auf seinem PC eine Waldkarte auf – und endlich kann das Zählen, Messen, Bewerten in dem Areal beginnen. Fortgeschrieben werden die Daten, die andere Zählteams bei den ersten beiden Inventuren vor zehn und vor zwanzig Jahren sammelten. Gefahndet wird aber auch nach Bäumen, die in den letzten Jahren durch natürliche Verjüngung hinzu kamen – sofern sie einen Durchmesser von mehr als zehn Zentimetern haben und damit ins Zählraster der Bundeswaldinventur passen.

Mit Laser- und Ultraschall-Messgeräten und Maßbändern werden Genau und Rafalski in den kommenden Stunden akribisch zu Werke gehen. Mit Winkelfunktionen und Lasermessgeräten werden sie die Höhen von Bäumen und die Durchmesser von Bäumen aufnehmen. Die Ergebnisse vermerkt Genau auf einer Karte in seinem Laptop, die bei den ersten beiden Inventuren entstand. „Nur wenn wir ganz exakt arbeiten, kann man später ablesen, wie sich der Baumbestand entwickelt hat“, sagt Falkenried. Bis zu 150 verschiedene Merkmale werden aufgenommen.

Auch Schädlinge werden erfasst

Da gilt es, nach Wildverbiss zu suchen, nach jungen Bäumen mit einem Stammdurchmesser von mehr als zehn Zentimetern. „Wir gucken aber auch, ob es zum Beispiel Adlerfarn, Brombeer oder Brennesseln gibt.“ Pflanzen, die das Wachstum junger Bäume behindern. Aber auch Schädlinge, die den Baum schädigen, dazu führen können, dass er abstirbt, werden erfasst.

Ob Erkenntnisse aus der Bundeswaldinventur an die Stadt Essen als Eigentümerin des Areals gemeldet werden? „Nein, das ist nicht unsere Aufgabe“, sagt Falkenried. „Nur in Fällen, in denen akuter Handlungsbedarf besteht, weil sonst auch andere Bäume gefährdet werden könnten, nehmen wir Kontakt zum Grundstücksbesitzer auf.“ Ansonsten setze man auf die Fähigkeiten der Forstexperten vor Ort, auf natürliche Prozesse im Wald.

Totholz ist ein guter C02-Speicher

Einen letzten Punkt auf der Liste noch müssen Genau und Rafalski abhaken – das Totholz. Der Radius, in dem kartiert wird, ist vorgegeben, eine Mindestgröße für Holzstücke, die bewertet werden, ebenfalls. Was die Waldexperten innerhalb des Zählkreises finden, interessiert nicht nur Land und Bund, diese Zähldaten finden sich später im Kyoto-Protokoll wieder, „denn Totholz ist ein sehr guter CO2-Speicher“, sagt Lutz Falkenried.