Essen. 188 000 Bäume stehen in Parks oder am Straßenrand in Essen. Wird einer krank, der seine Umgebung prägt, kommt der Experte. Im Auftrag von Grün&Gruga werden jährlich etwa 50 Bäume untersucht. Am Ende erstellt der “Baumdoktor“ ein Gutachten samt Handlunsgempfehlung. Der Unmut der Bürger über gefällte Bäume wächst.

Die riesige Rot-Eiche auf dem alten Friedhof an der Dückerstraße in Werden ist krank. Ein Pilz hat sie befallen. Es ist der Lackporling, dessen Fruchtkörper auf der groben Rinde sichtbar sind. Weil der Schädling darauf hinweist, dass die Zersetzung der mehr als 100 Jahre alten Eiche begonnen hat, wird sie untersucht.

Der Experte rückt mit großen Koffern an. Dr. Jürgen Kutscheidt prüft jährlich etwa 50 Bäume außerhalb von Wäldern im Auftrag von Grün und Gruga. Kosten: 150 Euro bei 4-5 Bäumen, bis zu 250 Euro, wenn er für einen Baum kommt. Bezuschusst wird das durch die Bezirksvertretungen. Am Ende der Untersuchung steht ein Gutachten samt Handlungsempfehlung: fällen oder retten. Oder sanieren. Mancher Baum bekommt Symbiosepilze zur Kräftigung. Andere erhalten Vitamine über Wurzeln oder Blätter verabreicht.

Schall gibt Aufschluss über Baumgesundheit

In Werden steckt Kutscheidt erst einmal zwölf Sensoren in die Eiche, verbindet sie untereinander und mit dem Impuls-Schallmessgerät. Mit dem Laptop in der Hand klopft er auf die Sensoren, die die Schallwellen in den Stamm übertragen. Die Messfühler geben die Schalllaufzeit an. Ist der Baum gesund und das Holz fest, geht der Schall schnell hindurch. Diese Stellen leuchten grün auf dem Bildschirm des PCs, wo der Querschnitt des Stammes abgebildet ist.

Neben dem „Baumdoktor“ steht Doris Fuchs. Sie ist mit ihrem Team von Grün und Gruga (Waldung und Baumpflege) zuständig für die Pflege aller Bäume außerhalb der Wälder. Das sind etwa 188 000. Ihr Werkzeug sind Sondierstab und Schallhammer. Klopfen sie kranke Bäume ab, „dann ähnelt das Geräusch einer Buschtrommel“, sagt sie. Zunächst schaut sie nach abgestorbenen Ästen und morschen Stellen. In den meisten Fällen entscheiden sie ohne Einsatz des externen Sachverständigen über das Schicksal des Baumes. Denn Grün und Gruga hat die Verkehrssicherungspflicht und muss sicherstellen, dass nichts und niemand durch die Bäume zu Schaden kommt, wenn Eiche oder Kastanie zum Gefahrenbaum werden.

Was passieren kann, reicht von Ast-Bruch bis zu umgekippten Bäumen, sagt Eckhard Spengler, von Grün und Gruga. 80 Klagen gab es 2011 bislang, eine durchschnittliche Zahl in einem Jahr ohne starke Stürme. Am Sicherheitsstandard habe sich nichts geändert. Was gestiegen ist: Der Unmut der Bürger, wenn Bäume gefällt werden. Das Ziel ist auch für die Baumpfleger klar: erhalten.

Sonderbehandlung für die Roteiche

„Im Wald übernimmt der benachbarte Baum die Aufgabe, während im Park womöglich eine Eiche verschwindet, die ein prägender Baum gewesen ist“, sagt Forstingenieur Roland Haering, Leiter Waldungen und Baumpflege. Neben der landschaftsästhetischen Wirkung, dient der Baum auch der Sauerstoffproduktion und dem Klimaaustausch. Er spendet Schatten und hat eine Wohlfahrtswirkung, sagt er.

So wie die Werdener Eiche. Wäre es bei der Kontrolle von Doris Fuchs geblieben, wäre sie gefällt worden. Genau das ist mit dem benachbarten Silberahorn geschehen, dessen Krone völlig morsch war. Weil auch die Rot-Eiche ein prägender Baum ist, bekommt sie eine Chance. Die heißt: eingehende Untersuchung.

Jürgen Kutscheidt greift nun zu einer Art Akkubohrer. Eine lange Nadel misst im Baum den Holz-Widerstand. Bohrtiefe: 42 cm. Nadeldurchmesser: 3 mm. Der Fachmann notiert die Position und den Winkel, in dem er bohrt. „Das ist das Standard-Verfahren“, sagt Kutscheidt. Der ab und zu durchaus noch endoskopiert. Dabei ist das Loch im Baum deutlich dicker. Daraus zieht er dann Späne und untersucht, wie leicht sich das Holz biegen und brechen lässt.

Zurück zur Bohrung. Das erste Ergebnis ist besorgniserregend. Es kommt auf Papier wie ein Kassenbon aus dem Messgerät. Die Kurve zeigt, wann und wie stark der Widerstand des Holzes ist. Nur elf Zentimeter tragfähiges Holz, bei einem Stamm-Durchmesser von 1,40 m. Die zweite Bohrung an anderer Stelle ist mit 26 Zentimetern deutlich erfreulicher, doch erst bei der dritten gibt es Entwarnung: Der Baum hat genügend Restwandstärke. So lautet das vorläufige Ergebnis, dass der Fachmann vor Ort verkündet: „Bricht der Pilz nicht an weiteren Stellen durch, kann der Baum auf jeden Fall zwei Jahre bleiben.“ Die genaue Auswertung erfolgt am Schreibtisch – und bestätigt die vorläufige Rettung der Rot-Eiche.