Essen. Museum Folkwang zeigt Gerhard Richters Gemälde „Himmel“: Essener Sammlerpaar bringt Meisterwerk nach 40 Jahren erstmals an die Öffentlichkeit.
Es gibt normalerweise viele Gründe, das Essener Museum Folkwang zu besuchen. Die Meisterwerke der berühmten Osthaus-Sammlung oder Sonderschauen wie zuletzt die hochgelobte Haring-Schau locken verlässlich das Publikum an. „Manchmal aber kann schon ein Bild einen Museumsbesuch rechtfertigen“, sagt Peter Gorschlüter, Direktor des Museum Folkwang. Gerhard Richters Bild „Himmel“ ist seiner Meinung nach so ein Gemälde. Die Arbeit aus dem Jahr 1978 nämlich wurde bislang noch nie in der Öffentlichkeit präsentiert. Wenn das Museum Folkwang nach dem Herbst-Lockdown wieder öffnen kann, ist diese kleine Sensation endlich zu besichtigen.
Essener Sammler haben den „Himmel“ 1978 direkt im Atelier von Richter gekauft
Möglich macht die ungewöhnliche „Enthüllung“ ein Essener Sammlerpaar, das das Richter-Bild damals direkt aus dem Atelier des Künstlers gekauft hat. Die Eigentümer wollen ungenannt bleiben, Anfragen von Kuratoren und Museen wurden bislang stets abgelehnt. Der „Himmel“ war ein streng gehüteter Schatz. Nach vier Jahrzehnten aber haben sich die Essener Sammler entschieden, dass Richters „Himmel“ nun doch erstmals die eigenen vier Wände verlassen darf – als Museums-Leihgabe für zunächst ein Jahr.
Richters „Wolkenbilder“ sind nicht unbekannt. Rund 30 davon hat der Künstler geschaffen, der
zu den teuersten Künstlern der Welt
zählt und erst vor wenigen Wochen verkündet hat, keine Bilder mehr zu malen. Auch das
Museum Folkwang
zählt eines der vornehmlich in den 1970ern entstandenen „Wolkenbilder“ zum Teil der kostbaren Sammlung. Es ist derzeit als Leihgabe Teil einer hochkarätigen Richter-Schau in Wien zum Thema Landschaft.
Richters „Himmel“ aber ist anders als die Wolkenbilder. Nicht nur des ungewöhnlichen Hochformats wegen, das doch eigentlich gar kein Landschafts- sondern ein Porträtformat ist. Auch der künstlerische Umgang mit dem Thema ist ein besonderer, denn statt der weißsilbriger Wassertropfengebilde hat Richter vor allem das Immaterielle auf die Leinwand gebracht. „Wo sonst das Motiv zu vermuten ist, ist die Abwesenheit“, sagt Folkwang-Kuratorin Anna Fricke. „Himmel“ zeigt also, was man eigentlich gar nicht zeigen kann: Luft, Licht, geronnene Atmosphäre und ein sphärisches Leuchten.
Als Vorlage diente Gerhard Richter eine Fotografie
Braunbeige türmt sich da am unteren Rand des Gemäldes ein Wolkengebirge, als wäre ein stürmischer Tiefausläufer aus einem Seestück von William Turner ins 21. Jahrhundert gezogen. Darüber lässt
Gerhard Richter
auf der einen Seite zart getupfte Schäfchenwolken in den azurblauen Himmel aufsteigen, während sich im linken Bereich des Gemäldes die große Unendlichkeit auftut. Schleierartig, fast durchsichtig scheint das mehr als zwei Meter hohe Gemälde hier den Vorhang für den Ausblick in die Grenzenlosigkeit zu lüften.
Das Bild ist buchstäblich ein Lichtblick in trüben Novembertagen. Und es ist ein erster „Brückenschlag zur Abstraktion“, wie Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter sagt. Wie in vielen frühen Arbeiten, die Richters Weltruhm begründet haben, diente dem in Köln lebenden Künstler eine selbst gemachte Fotografie als Arbeitsgrundlage, die er in Farbe und mit leichter Unschärfe reproduziert und so eine neue Form von Realität malerisch ins Bild gesetzt hat. Wolken, hat Richter einmal gesagt, seien für ihn „die der Natur eigene Form der Abstraktion“.
Kein Mönch am Meer, kein Wanderer vor Wolkengebirgen verstellt dabei die Sicht auf das, was für den Klima-besorgten Betrachter heute mehr denn je in den Vordergrund rückt: Die verletzliche Schönheit der Natur, die elementare Kraft von Sonne, Wind und Wasser.
In den neu gehängten Folkwang-Ausstellungsräumen
hat Richters „Himmel“ seinen Platz auf Zeit deshalb gleich neben der tosenden See von Gustave Courbet aus dem Jahr 1870. „La Vague“, die Welle, ist der Raum benannt. Und nicht nur August Rodins „Hockende Frau“ darf in den nächsten Monaten fasziniert auf dieses Naturschauspiel blicken.