Essen. In Essen hat ein Konsumreformshop eröffnet, in dem jeder Regale anmieten und Dinge verkaufen kann. Was in der Überraschungskiste zu finden ist.

Drehscheibentelefone, nagelneue Handtaschen und eine Suppentasse: Der neu eröffnete Konsumreformshop im ehemaligen Schossau-Haus am Kopstadtplatz in der Essener City ist eine wahre Überraschungskiste. Inhaber Dirk Bußler ist sich sicher, dass sich mit solch individuellen Konzepten die Attraktivität der Innenstädte wieder herstellen lässt.

Alte Schallplatten, Porzellan, Whiskey und Thermomix

Seine Idee: Jeder, der will, kann auf den 450 Quadratmetern ein oder mehrere Regale mieten und dort verkaufen, was er möchte. Das kann Trödel aus dem Keller sein, Kleidung und Spielzeug, aber auch Vintage-Dinge wie Drehscheibentelefone, Kofferradios und alte Schallplatten. „Wir haben auch schon eine Whiskeyflasche für 300 Euro und einen Thermomix verkauft“, erklärt Inhaber Dirk Bußler - auch bekannt als Organisator des Zombie-Walks. Drogen, Waffen und Menschenhandel seien bei ihm verboten, sonst habe der Verkäufer freie Hand, auch was die Preise angeht. „Die Sachen von der Oma sind schonmal teurer als die vom Ex.“

Früher Overbeck, dann Schossau und Planet of Bikes, heute Kik und der Konsumreformshop von Dirk Bußler: Das Gebäude am Kopstadtplatz 10 in Essen sticht durch die markanten Türmchen hervor.
Früher Overbeck, dann Schossau und Planet of Bikes, heute Kik und der Konsumreformshop von Dirk Bußler: Das Gebäude am Kopstadtplatz 10 in Essen sticht durch die markanten Türmchen hervor. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Neben den gebrauchten Artikeln haben sich mittlerweile auch Gewerbetreibende bei ihm Regale gemietet. Kostenpunkt: 3,50 Euro am Tag, 84 Euro im Monat. Die Miete und zehn Prozent des Umsatzes bleiben im Laden, der Rest geht an den Kunden. Dieses Konzept hat unter anderem die Firma Strike angesprochen, die ihre Mode kiloweise verkauft. Auch „Der hungrige Wal“, ein Label der Essener Nicole Thomas, ist im Laden präsent. Nicole Thomas legt Wert darauf, dass unverpackte, nachhaltige Produkte wie Kosmetik, Bambuszahnbürsten und Duschmatten aus Naturkautschuk in der Stadt mehr Verbreitung finden. „Das ist reiner Idealismus, dem ich neben meinem Beruf nachgehe.“ Sie hat ihre acht angemieteten Regale sorgsam hergerichtet. „Die Ware und wie diese dargestellt wird, ist ein Spiegel des Verkäufers“, weiß Bußler, der seine Idee als Chance für jene sieht, die gerne ein Geschäft eröffnen würden, vor den hohen Mieten, der Logistik und den Nebenkosten aber zurückschrecken.

Bußler hat das gleiche Konzept in den vergangenen Jahren schon im Generationenkulthaus an der Viehofer Straße umgesetzt, wollte sich jetzt aber vergrößern und loslösen. Nach einigen Öffnungstagen zwischen den Corona-Lockdowns ist der Laden in der ehemaligen Planet-of-Bikes-Filiale seit Ende Mai täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet, rund 100 Regale sind bereits vermietet, wenige stehen noch leer.

Wie der Verkäufer seine Regale im Konsumreformshop herrichtet und was die Ware kostet ist ihm selbst überlassen.
Wie der Verkäufer seine Regale im Konsumreformshop herrichtet und was die Ware kostet ist ihm selbst überlassen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

„Dieses Konzept ist digital kaum nachstellbar“, erklärt Bußler, der sich sicher ist, dass die Innenstädte den Fokus mehr auf Erlebnischarakter und Individualität legen müssen. Bei ihm könne man sich treiben lassen, die Erwartungshaltung sei wie auf einem Flohmarkt: „Manche wollen ein T-Shirt kaufen und gehen mit einem Bügeleisen nach Hause.“ Bußler ist sich sicher, dass die ursprüngliche „Einkaufsstadt Essen“ mittlerweile überall die gleiche ist. In jeder Großstadt fänden sich die gleichen Geschäfte mit angeschlossener Gastronomie, mal besser, mal schlechter umgesetzt. Es fehle an Einzigartigkeit. Während der Einzelhandel seit Jahren stöhnt, laufe es bei ihm gut.

Kleine Labels, individuelle Ideen, mutige Start-Ups - das findet man in der City aber kaum: „Die Mieten und damit auch der Konsumdruck sind viel zu hoch“, glaubt Bußler. Anderen Konzepten könne so keine Chance gegeben werden. Im Umkehrschluss gibt es immer mehr Leerstand, der sich mit der Corona-Pandemie weiter ausbreitet.

Overbeck, Schossau und Planet of Bikes

Der Kopstadtplatz - benannt nach einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie, die drei Bürgermeister in Essen stellte - liegt im nördlichen Teil des Stadtkerns. In ihn münden die Rottstraße, die Fontänengasse, der Gänsemarkt und die I. Weberstraße. Im Südosten des Kopstadtplatzes liegen der Flachsmarkt und der Alte Markt an der Marktkirche. Im Süden befinden sich der Kornmarkt und Kennedyplatz. Dort, wo jetzt der Konsumreformshop eröffnet hat, befand sich das Bekleidungs-Kaufhaus Overbeck & Weller, das Carl Overbeck in den Jahren 1911 bis 1912 erbauen ließ. Es ist das einzige Gebäude am Kopstadtplatz, welches im Zweiten Weltkrieg nicht komplett zerstört wurde. Das charakteristische, viergeschossige Eckhaus mit seinen zwei Türmchen beherbergte ab den 1980er-Jahren den Elektrofachmarkt Schossau. 2011 eröffnete der Fahrradladen „Planet of Bikes“, der 2019 schloss.

Das hat auch die Stadt erkannt und setzt jetzt auf ein Millionen-Soforthilfeprogramm des Landes. Die Idee: Mit der Fördersumme plus Eigenmitteln kann die Stadt für zwei Jahre leerstehende Gewerberäume anmieten. Voraussetzung ist, dass die Eigentümer bereit sind, bei der bisherigen Miete 30 Prozent nachzulassen. Mit der Förderung sollen die Folgen der Corona-Krise in den Städten aufgefangen werden.

Die Essen-Marketing GmbH (EMG) begrüßt Bußlers Konzept, denn auch die Akteure dort wissen, dass sich die Innenstadt wandeln muss, dass der Mix aus Shopping, Gastronomie, Wohnen und Erlebnis vorangetrieben werden muss. „Wir brauchen Geschäfte, die anders daherkommen und da tun Konzepte wie die des Konsumreformshops gut“, erklärt EMG-Sprecher Florian Hecker. Er glaubt, dass sich in Zukunft mehrere kleine Labels ein Ladenlokal teilen werden, um so Kosten zu sparen. Gleichzeitig ist auch er der Meinung, dass es bei den Immobilienkonzernen ein Umdenken braucht, was die Mieten angeht.

Bußler befürchtet, dass sich so das Problem mit dem Leerstand nur um zwei Jahre nach hinten verschiebt, auf den Zeitpunkt, wenn die Förderung ausläuft. Er fordert, dass die Vermieter schneller mit den Preisen runtergehen, um so auch jenen eine Chance zu geben, die ihr Konzept erst einmal ausprobieren wollen. Schließlich würde auch er von einem attraktiven Umfeld profitieren. Bis dahin hofft er, dass viele Leute in sein Nachhaltigkeitskaufhaus abbiegen, in dem auch bald das Café „Mundgerecht“ eröffnen soll.