Essen. Die zwei Bomben in Rüttenscheid sollten noch gar nicht unschädlich gemacht werden. Doch der Plan ging nicht auf. Plötzlich war Gefahr im Verzug.
Die jüngste Bombenentschärfung in Essen-Rüttenscheid sucht ihresgleichen: Fast 10.000 Anwohner mussten ihre vier Wände verlassen, darunter rund 200 Hilfsbedürftige, gut 500 Kräfte unter anderem aus Nachbarstädten waren im Einsatz, und das teils bis in die Morgenstunden. Es herrschte der absolute Ausnahmezustand im Stadtteil. „Es war eine der größten Evakuierungen, die wir jemals gemacht haben“, sagte Feuerwehrchef Thomas Lembeck am Mittwoch. Und sie lief ganz anders geplant: Denn eigentlich habe man den Blindgänger in aller Ruhe unschädlich machen wollen.
Doch aus einem kalkulierten Einsatz, den die Stadt hatte von langer Hand steuern wollen in einem der am dichtesten besiedelten Quartiere Essens, wissend um die Zahl der Betroffenen, die notwendige Evakuierung von Alten- und Seniorenheimen und eine Autobahnsperrung, wurde nichts. Denn plötzlich war Gefahr im Verzug, weiß Lembeck. Der Bagger, der die Bombe am Dienstag bis auf einige Zentimeter schützendes Erdreich schon mal für eine spätere Entschärfung freilegen sollte, traf den Blindgänger unglücklich mit der Schaufel - der Blindgänger habe senkrecht im Lehm gestanden, es war nicht auszuschließen, dass sein Zünder Schaden genommen hat. Alarm.
Die Stadt hat dem Entschärfer Folge zu leisten
Sofort habe der Entschärfer Frank Stommel entschieden, es sei Gefahr in Verzug, die Bombe müsse so schnell wie möglich unschädlich gemacht werden. Einer solchen Einschätzung, so Lembeck, habe eine Kommune und eine Feuerwehr dann ohne Wenn und Aber Folge zu leisten. Im aktuellen Fall habe das schnelle Handeln also nichts mit dem schon häufig kritisierten Landeserlass zu tun, sondern allein mit der akuten Gefahrensituation, betont der Feuerwehr-Chef: „Es geht uns nicht darum, eine aufwendige Situation künstlich zu erzeugen, wenn sie nicht notwendig ist. Auch wir sind an einer angenehmen Entschärfung interessiert.“
Nach der Entscheidung habe man allerdings noch Stunden dadurch verloren, dass Menschen in Corona-Quarantäne erst kurz vor Beginn der Entschärfung von Rettungswagen aus der Gefahrenzone geholt werden konnten. Zudem habe es die übliche Zahl von Verweigerern und auch Rüttenscheidern gegeben, die gar nichts von der Evakuierung mitbekommen haben, oder ihre Türen nicht öffneten, weil sie schwerhörig sind, und weder auf Klopfen oder Klingeln reagierten. Doch erst wenn auch der letzte Bürger in Sicherheit ist, könne das eigentliche Vorhaben starten.
Auch so mancher Autofahrer wetterte an den Absperrungen. Ein Mann am Steuer eines Lieferwagens wollte sich an der Töpferstraße unter der Augen von Sicherheitskräften eine Barriere durchbrechen. Ein Mitarbeiter der städtischen REG musste sich ihm in den Weg stellen.
Die Entschärfung der zweiten Bombe geschah kalkuliert
Dass in der Nacht zum Mittwoch eine zweite Bombe in Rüttenscheid, von der erkennbar keine akute Gefahr ausging, sozusagen in einem Abwasch gleich mit entschärft worden ist, sei allerdings Kalkül und die zusätzliche Verzögerung „nach hinten nur marginal gewesen“, erklärt Lembeck. Das habe 30 Minuten oben drauf gekostet und sei allemal besser gewesen, als das ganze Procedere in den nächsten Tagen noch einmal abwickeln zu müssen, ist Essens Feuerwehr-Chef überzeugt. Allerdings auch davon, „dass wir in den nächsten Wochen und Monate Spontanfunde haben werden, die wir noch nicht auf dem Schirm hatten“: Es seien aus Corona-Gründen Baustellen aufgeschoben worden, die nun in großer Zahl nachgeholt würden.