Essen. In Essen-Rüttenscheid kennt die Feierfreude kein Maß mehr: Vermüllung, Vandalismus und Grölereien bis in den frühen Morgen zermürben Anwohner.
Dass in Sommernächten entlang der Rüttenscheider Straße mal lautstark gefeiert wird, ist kein neues Phänomen. Was sich aber seit Anfang Juni abspielt, ist auch für langjährige Beobachter erschreckend. „Die Verhältnisse sind katastrophal“, sagt Rolf Krane, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Rüttenscheid (IGR), angesichts von Lärmexzessen bis morgens um vier, Vermüllung, mutwilliger Flaschenzertrümmerung und Urinieren an Haus- und Geschäftseingängen. Am Wochenende wollen Polizei und städtischer Ordnungsdienst mit stärkerer Präsenz das jugendliche Feiervolk zur Räson bringen.
Größtes Problem sind für Krane die 24-Stunden-Kioske und die Tankstellen an der Alfredstraße, die für steten Alkoholnachschub sorgen und denen das auch juristisch nur schwer zu nehmen ist. Folge: Auch weit nach Schließung der letzten Gastronomien dreht die Party-Stimmung noch mal richtig auf, bei steigendem Alkoholpegel verlieren dann einige die Kontrolle über ihre Aggressionen und ihre Körperöffnungen.
Bis Mitternacht ist noch alles halbwegs manierlich, dann geht es richtig rund
Bis Mitternacht, so Krane, sei alles noch einigermaßen manierlich, dann werde die Sau rausgelassen. Die mitgebrachten Musikgeräte sorgen zusätzlich für den beständigen Soundteppich, der manchen unmittelbar betroffenen Rüttenscheider kaum mehr schlafen lässt. „So kann das auf keinen Fall weitergehen“, sagt Krane.
Mit Stadt und Polizei gab es schon nach den ersten Exzessen Gespräche, eine echte Lösung scheint aber nicht gefunden worden zu sein. „Wie wollen Sie bis zu 1000 Jugendliche dazu bringen, sich ruhiger zu verhalten“, beschreibt Ordnungsdezernent Christian Kromberg die Lage, die er selbst mehrfach inspiziert hat. Die Polizei müsse schließlich die Verhältnismäßigkeit wahren und dürfe nicht überhart einschreiten.
Die 42 Leute des Kommunalen Ordnungsdienstes wiederum könnten nicht überall sein und hätten noch andere Aufgaben, als nachts durch Rüttenscheid zu streifen. Wenn die Beamten auftauchten, werde es ruhiger, kurz danach gehe es wieder rund. Einmal immerhin ist es laut Krane gelungen, einen Kiosk zu zwingen, um 2 Uhr den Alkoholverkauf zu beenden.
Großer Nachholbedarf wegen des langen Lockdowns
Die Ursachen des exzessiven Feierns seien vielfältig, die meisten hätten etwas mit Corona zu tun: „Die Clubs sind geschlossen, und die jungen Leute wollen feiern“, sagt Kromberg. Da gebe es einigen Nachholbedarf. Rolf Krane macht unter den Jungen auch eine gewisse Grundfrustration aus, das Gefühl, anderthalb Jahre Leben verloren zu haben und unter dem Lockdown am meisten gelitten zu haben. Hinzu kommt, dass Rüttenscheid mittlerweile weit über Essen hinaus einen Ruf als erstklassige Party-Location hat. Krane registrierte ungewöhnlich viele Autos aus Nachbarstädten.
Was aber manchmal vergessen wird: Rüttenscheid ist in erster Linie ein normales Wohnquartier – auch die Rü selbst ist nicht mit Altstadt-Straßen zu verwechseln, wie es sie etwa in Düsseldorf gibt. Den Bewohnern ist zwar klar, dass es auch mal lebhaft werden kann, nicht wenige leben genau deshalb gerne hier. Aber die Grenze des noch Zumutbaren darf eben nicht gerissen werden.
Die ersten Anwohner verlassen die Rüttenscheider Straße
Für den Friseurmeister Peter Schreiber ist das Maß längst voll, er wird seine Wohnung auf der Rüttenscheider Straße aufgeben. „Das Theater machen wir nicht mehr mit.“ Geblieben ist sein Friseurgeschäft in der Nähe der Rüttenscheider Brücke, dessen Eingang Nacht für Nacht von Urin heimgesucht wird, das auch den Weg in seinen Laden findet. Eine ekelhafte Angelegenheit. Massiv sei auch der Glasbruch. Schreiber beobachtet öfter, wie morgens die Radfahrer Slalom fahren, um ihre Reifen zu schützen.
Auch Thomas Friedrich, Inhaber des Restaurants Rotisserie du Sommelier in der Wegenerstraße, hat in den letzten Wochen erfahren, was es heißt „auf halbem Wege zwischen Tankstelle und Trinkhalle“ zu liegen. Seiner Terrasse an der Straße hat das nicht gut getan, auch wenn die Schäden sich noch in Grenzen halten. Seine Forderung: „Es muss für Rüttenscheid ein Glasflaschenverbot her.“ Öffentliche Toiletten, um das wilde Pinkeln zu verhindern, seien ebenfalls dringlich.
Essensreste, Pappschachteln und die üblichen zerbrochenen Flaschen
Brigitte Thelen wohnt seit vier Jahrzehnten in Rüttenscheid und sagt: „Das ist ein liebenswerter Stadtteil und er soll es auch bleiben.“ Die 67-Jährige beklagt „lautes Getöse“, das die Fahrer aufgemotzter Autos verursachen. Auf dem Bürgersteig „versammeln sich Gruppen mit Vorrat an Alkohol in jeder Form“.
Wenn das Partyvolk wieder abzieht, gebe es reichlich Essensreste, Pappschachteln und natürlich die obligatorischen kaputten Flaschen. Manchmal ziehe sie sich Gummihandschuhe an und sammele den Dreck auf, vor allem solchen in Blumenbeeten. „Ich weiß, dass das ein Kampf gegen Windmühlen ist, aber mir liegt Rüttenscheid nun mal sehr am Herzen“.
IGR-Chef Rolf Krane hat für die städtischen Behörden eine 18-seitige Dokumentation über die Zustände zusammengestellt, mit Anwohneraussagen und Fotos. Immerhin werde an den Rüttenscheider Hotspots jetzt durch die EBE öfter gereinigt, nachdem er dies bei der Stadt angemahnt habe. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Behörden die Feierwut wieder einigermaßen in den Griff bekommen – oder der Stadtteil mit seiner bisher angenehmen Mischung aus Wohnen, Einkaufen und Gastronomie womöglich ernsthaft Schaden nimmt.