Essen. Ein Mann aus Essen leidet unter Zuckungen und Schreianfällen. Die einzige Hilfe ist wohl Cannabis. Doch das bekommt er nur illegal.

Diesen Prozess werden auch die Richter am Essener Amtsgericht wohl nicht so schnell vergessen. Am Montag (6. Dezember) haben sie einen Mann aus Altenessen verurteilt, der unter unkontrollierten Bewegungen und Schreianfällen leidet. Die einzige Hilfe ist offenbar Cannabis. Doch das darf er nicht besitzen.

Tritte und Kopfstöße

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Wer am Morgen die Schützenstraße neben dem Essener Amts- und Landgerichtsgebäude entlanggelaufen ist, konnte die Schreie schon auf dem Bürgersteig hören. Oben im Gerichtssaal war die Situation fast beängstigend. Immer wieder schrie der Angeklagte plötzlich laut los, trat vor den Tisch, die Arme wirbelten unkontrolliert herum, der Kopf stieß ständig vor die Corona-Schutzwand, die zwischen ihm und seinem Verteidiger aufgebaut war.

Knapp 400 Gramm Cannabis hatte man Ende letzten Jahres in seiner Wohnung gefunden. Deshalb stand er nun vor Gericht. Dabei ist das Rauschgift offenbar die einzige Hoffnung des 30-Jährigen. Es gibt scheinbar kein Medikament, dass die Symptome seiner Krankheit lindern kann. Selbst Elektroden, die ihm ins Gehirn gesetzt wurden, sollen nichts gebracht haben.

Kein normales Leben für den Essener

„Ich bin sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, einem Patienten Cannabisprodukte zu verschreiben“, sagte der vom Gericht hinzugezogene Psychiater. „Aber in diesem Fall kann man ganz klar sagen: Das ist angesagt.“ Der Angeklagte leidet unter einer Erkrankung, die weniger als ein Prozent der Menschen befallen hat.

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Bei ihm ist sie laut Psychiater besonders stark ausgeprägt. Eine Heilungschance scheint es nicht zu geben. „Er kann praktisch nicht am normalen Leben teilnehmen“, sagte auch sein Verteidiger Volker Küchler. „Er wird von der Gesellschaft null akzeptiert, weil die Krankheit so selten ist.“

Psychiater: Angeklagter ist nicht gefährlich

Gefährlich ist der Angeklagte nicht. Auch wenn er schreiend aufspringt, wie wild den Arm hebt, legt er ihn anschließend doch nur auf die Schulter oder den Rücken seines Verteidigers. Der Kopf ist klar, sagt der Psychiater, der wohl ebenfalls nie Angst vor dem 30-Jährigen gehabt hat. Die Erkrankung sei rein motorisch. Er hat den Altenessener schon zweimal untersucht – einmal ohne, dass der Angeklagte zuvor Cannabis konsumiert hat, einmal mit. Dazwischen müssen Welten gelegen haben.

Vier Monate Haft auf Bewährung haben die Richter am Ende verhängt – wegen Drogenbesitzes. Der Angeklagte kann das nicht verstehen. „Ich bin doch krank, ich brauche das Cannabis“, sagte er nach der Verurteilung. „Sonst komme ich nicht klar.“

Betreuerin des Esseners klagt gegen die Krankenkasse

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Seine Betreuerin klagt vor dem Sozialgericht gerade gegen die Krankenkasse, die die Cannabis-Medikamente nicht bezahlen will. Obwohl auch dort eine Gutachterin inzwischen erklärt haben soll, dass dem 30-Jährigen nichts anderes helfen kann. Um einigermaßen zur Ruhe zu kommen, hat sich der Angeklagte sein Marihuana bislang illegal gekauft. Immer gleich 400 oder 500 Gramm, damit es billiger ist.

Das Geld hat er offenbar von der Familie bekommen. „Was soll ich denn machen“, fragte er die Richter am Ende des Prozesses fast schon verzweifelt und schlug mit dem Kopf ruckartig vor die Saaltür. „Was soll ich denn machen mit meinem Leben?“

Richter ans Gesetz gebunden

Die Richter urteilten am Ende nach dem Gesetz. Und dort steht: Drogenbesitz ist verboten. „Für uns alle ist nachvollziehbar, dass der Angeklagte vor eine ganz schwierige Wahl gestellt wird“, sagte Richter Stefan Groß bei der Urteilsbegründung. Und direkt an den Angeklagten gewandt: „Wir haben Verständnis für Sie.“