Essen-Altenessen. Seit 20 Jahren liegt der ehemalige Essener Milchhof Kutel brach. Bei einem Spaziergang über den Lost Place zeigen sich Spuren der Vergangenheit.

Auf dem Milchhof Kutel wurde ab 1937 Milch angeliefert, bearbeitet, verpackt und verkauft. Seit 2001 liegt das Gelände am Altenessener Palmbuschweg jedoch brach. Bei einem Spaziergang zeigt sich, was in der Zwischenzeit dort passiert ist.

Gebäude des ehemaligen Milchhofs Kutel in Altenessen werden komplett abgerissen

Hinter dem rostigen, massiven Eisentor öffnet sich das Gelände, das damals als Zufahrt für Lastwagen diente. Ein roter Sattelauflieger steht im hochgewachsenen Gras, seine letzte Tour endete vor vielen Jahren offenbar in Altenessen. Je weiter man an den maroden Betriebshallen entlanggeht, desto höher wächst das Gras, eine Birke hat sich den Weg durch ein Eisendach gebahnt.

„Die werden komplett abgerissen, die Substanz ist hin“, erklärt Architekt Benjamin Sieber von der Dortmunder Gerber Architekten GmbH und zeigt auf die Hallen deren Fensterscheiben zum Teil gerissen oder verschwunden sind. Sein Büro hat vor einigen Jahren den Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des Kutel-Geländes gewonnen und arbeitet seitdem zusammen mit der Stadt, der Durmaz International GmbH als Investor und anderen Akteuren an der Umsetzung.

„Viele können sich nicht vorstellen, wie es hier in zehn Jahren aussehen wird“, sagt der Architekt, der es jedoch schon vor seinem inneren Auge sieht: Ein offenes Quartier mit Gewerbe, Büros und einem Hotel – modern und klimafreundlich. „Das katapultiert Altenessen in ganz andere Dimensionen“, so Sieber. Im Portfolio seines Büros steht unter anderem das Dortmunder U: Die Umnutzung der Dortmunder Union-Brauerei in ein Museum gilt als Zeichen, das mit dem Image von Dortmund als schmutzige Industriestadt aufräumt. Großprojekte, die Zukunftsvisionen erfordern, sind bei dem Architektenteam also keine Unbekannten.

Essens Stadtplanungsdezernent Martin Herter (r.) und Architekt Benjamin Sieber schauten sich das Gelände des Milchhofs in Altenessen an.
Essens Stadtplanungsdezernent Martin Herter (r.) und Architekt Benjamin Sieber schauten sich das Gelände des Milchhofs in Altenessen an. © FUNKE Foto Services | Tobias Harmeling

Zurück nach Essen: Auf der Rückseite der Betriebshallen zeigt sich, wer den Weg hierher in den vergangenen Jahren durch das Eisentor, das mit einer Kette verschlossen ist, gefunden hat: Ein E-Scooter liegt kaputt zwischen Brombeerzweigen und Laub. Außerdem findet sich die interessante Kombination aus Joe-Cocker-Schallplatte, linkem Stöckelschuh und einem Kuscheltier in Maulwurfsform. Gebrannt hat es auch, davon zeugen Asche und Ruß. Manch einer scheint das Gelände zudem mit einem Recyclinghof zu verwechseln und seinen Müll dort abzulagern.

Auf der Rückseite des Milchhofs in Essen hatte es zuletzt ein Feuer gegeben.
Auf der Rückseite des Milchhofs in Essen hatte es zuletzt ein Feuer gegeben. © FUNKE Foto Services | Tobias Harmeling

In den Hallen selbst sind Abfüllanlagen, Förderbänder und alle weitere Technik längst zurückgebaut. Was geblieben ist, ist ein Gerippe, weiße Fliesen, die an die Farbe der Milch erinnern, die hier bearbeitet wurde, Rolltore, die sich nie mehr öffnen werden, die mittlerweile verschlossenen Lkw-Luken und viel Freifläche. Die Wände sind teilweise mit Graffiti geschmückt. Und zwar tatsächlich kunstvoll und nicht geschmiert.

Durch eine Türöffnung geht es in einen Raum mit weiß gekachelter Grube: „Hier war die Werkstatt“, glaubt Stadtplanungsdezernent Martin Harter, der ebenfalls schauen will, was die Abrissbagger niederreißen, bevor auf diesem drei Hektar großen versiegelten Grundstück „ein Zugpferd für den Stadtteil“ entstehen soll. Ein Zugpferd in „zentraler Lage, unweit vom Süd-Karree, mit hoher Aufenthaltsqualität“.

Wie die Aufenthaltsqualität für die Mitarbeiter im Milchhof war, lässt sich nur erahnen, ein Badezimmer gab es auf jeden Fall, Teile davon sind heute noch sicht- aber nicht mehr unbedingt nutzbar. „Es gab nach der Schließung keine regelmäßige Nutzung des Geländes“, sagt Harter. Ein Zirkus habe hier eine Weile sein Winterquartier aufgeschlagen, Schrauber hätten ihre Autos repariert, ansonsten liegt der Milchhof seit über 20 Jahren weitgehend brach. Zwischengenutzt wurde und wird er auch von Obdachlosen. Die finden in den Hallen und auch in dem kleinen Verwaltungsgebäude einen trockenen Unterschlupf.

Das Dortmunder Architekturbüro Gerber hatte vor einigen Jahren den Architektenwettbewerb zum Essener Kutel-Gelände gewonnen. So soll das neue Quartier in einigen Jahren aussehen.
Das Dortmunder Architekturbüro Gerber hatte vor einigen Jahren den Architektenwettbewerb zum Essener Kutel-Gelände gewonnen. So soll das neue Quartier in einigen Jahren aussehen. © Unbekannt | Gerber Architekten GmbH

Bürgerinitiative warnt vor wildem Automarkt

Die Fläche des ehemaligen Milchhofes Kutel in Altenessen-Süd umfasst ein Areal von etwa drei Hektar, zwischen der Straße Palmbuschweg im Norden und der Köln-Mindener-Bahn im Süden. Gewerbe, Büros, ein Hotel und Wohnungen sollen auf dem Gelände entstehen. „Ziel ist die Herstellung eines aktiven Quartiers, das aufgrund seiner urbanen Durchmischung durchgehend belebt und bewohnt ist“, heißt es im Bebauungsplan. Umstritten ist unter anderem das Verkehrskonzept. Vertreter der Essener Bürgerinitiative gegen den wilden Automarkt Bigwam fordern, dass das Thema Automarkt mehr in den Vordergrund gerückt wird. „Es erscheint uns unabdingbar, dass in den Gewerbeflächen des Plangebietes keine autobezogenen Dienstleistungen, Handels- und Handwerksleistungen erlaubt werden dürfen“, erklärt der Vorsitzende Klaus Barkhofen in einer Stellungnahme. Durch die bestehende nachbarschaftliche Struktur sei mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass solche „halb legalen, illegalen oder grauen Betätigungsfelder auch hier Einzug halten dürften oder zumindest in absehbarer Zeit werden“.

Diesen werden sie bald zugunsten des neuen Quartiers räumen müssen. Die Bürgerbeteiligung für den Bebauungsplan ist jetzt abgeschlossen und wird ausgewertet. „Wir wollen wissen, was die Bürger von den Plänen halten“, erklärt Martin Harter. Manchmal kämen an diesem Punkt nochmal gute Ideen auf, an die vorher noch niemand gedacht habe. Läuft alles nach Plan, wird in zehn Jahren nichts mehr zu sehen sein von dem einstigen Milchhof in Altenessen.