Essen. Die Uniklinik Essen bereitet sich auf Omikron vor. Ohne die Solidarität aller Krankenhäuser wird es nicht gehen, sagt Klinikchef Prof. Werner.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnte dieser Tage, die tatsächlichen Inzidenzwerte für Corona-Neuinfektionen lägen erheblich über den nach Feiertagen gemeldeten. Wir sprechen mit dem ärztlichen Direktor der Uniklinik Essen, Prof. Dr. Jochen A. Werner, wie sich das Haus auf Omikron vorbereitet und ob die Triage droht.
Prof. Werner, wie angespannt ist die Lage in der Uniklinik aktuell?
Wir behandeln derzeit 52 Covid-19-Patienten stationär, davon 24 auf intensiv. Zum Vergleich: In der Spitze hatten wir zur zweiten und dritten Welle bis zu 150 Covid-19-Patienten. Wir rechnen allerdings damit, dass die Zahlen durch die hochansteckende Omikron-Variante und die Besuche, Treffen und Reisen zwischen Weihnachten und Silvester jetzt im Januar spürbar ansteigen. Wie alle Krankenhäuser der Region werden wir, so unsere Erwartung, deutlich mehr Patienten und Patientinnen ganz besonders auf Normalstationen zu versorgen haben.
Müssen dann geplante Eingriffe abgesagt werden?
Ja, wir müssen uns darauf einstellen, dass Operationen und auch Behandlungstermine verschoben werden und es zu Verzögerungen im Betriebsablauf kommen könnte. Dafür bitte ich um Verständnis. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren als eins der größten Covid-19-Zentren Deutschlands viele Erfahrungswerte gesammelt, Pläne erarbeitet und sie stetig der jeweiligen Lage angepasst. So machen wir es aktuell mit Blick auf Omikron und die zu erwartenden besonderen Risiken und Herausforderungen. Wir haben klinikweit flexible Konzepte entwickelt, wie wir mit weniger Personal als möglicher Quarantäne-Folge den Betrieb möglichst lange sicherstellen können.
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Was halten Sie von einer Verkürzung der Quarantäne auch für Klinikpersonal?
Ich halte es für richtig, die Quarantänezeit von bisher 14 Tagen zu reduzieren. Ich habe Sympathie für eine siebentägige Quarantäne, vertraue hier aber darauf, dass das Expertengremium eine praktikable und sichere Lösung findet. Klar ist: Bleibt es bei zwei Wochen Quarantäne, können wir in einen erheblichen personellen Engpass geraten.
Das Uniklinik-Personal ist zu 95 Prozent geimpft, aber auch Geboosterte infizieren sich ja mit Omikron. Was tun Sie, um Infektionen im Klinikalltag zu vermeiden?
Hier werden überall Masken getragen und strikte Hygienevorschriften beachtet, aber aus den früheren Covid-19-Wellen kennen wir die Risikobereiche: Es geht etwa nicht, dass ein ganzes Team in der Pause ohne Mundschutz zusammensitzt und isst. Daher haben wir beispielsweise gezielt Pausenzeiten entzerrt und Räumlichkeiten erweitert.
Ab wann könnten Sie den Personalausfall nicht mehr ausgleichen?
Wir konnten in der zweiten, dritten Welle noch mit 60 Covid-19-Patienten, von denen 20 auf Intensivstationen lagen, den Normalbetrieb aufrechterhalten. Damals hatten wir aber keine dramatischen Personalausfälle. Wenn sich – wie in anderen Ländern geschehen – auch bei uns viele Mitarbeiter mit Omikron infizieren, wird es schwierig...
Und dann?
In dieser Zeit ist eine Solidarität der Krankenhäuser der Region sehr wichtig und möglich: Wir hatten zu Wochenbeginn 25 Intensivpatienten mit Covid-19 – alle anderen Häuser in Essen hatten zusammen acht. Sprich: Die Intensivkapazitäten sind dort viel geringer. Bei der anstehenden Omikron-Welle kommen jedoch viele Patienten auf normale Stationen und bleiben nur wenige Tage. In dieser neuen Situation können auch Häuser mit nur wenigen Intensivbetten verstärkt in die Verpflichtung genommen werden, Covid-19-Patienten aufzunehmen.
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Haben sich andere Häuser bisher vor der Verantwortung gedrückt?
Den Eindruck habe ich nicht. Vielmehr war es zu Beginn der Pandemie, als es sehr wenig Erfahrung mit Covid-19 gab, richtig, die Behandlung bei uns zu konzentrieren. Wir müssen als Uniklinik aber auch sicherstellen, dass wir weiterhin möglichst viele der hochkomplexen Operationen bei den Patienten durchführen können, die nicht an Covid-19 erkrankt sind, aber zwingend Intensivbetten benötigen. Dafür arbeiten wir seit Pandemiebeginn eng mit den anderen Essener Krankenhäusern zusammen.
Der Vorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg, Michael Baumann, spricht von einer „stillen Triage“, weil Herz- oder Krebspatienten in der Pandemie hintenanstehen, ihre Operationen verschoben werden.
Wenn unsere Herzchirurgie ausfiele, könnte das auch nicht von anderen Essener Häusern aufgefangen werden. Darum setzen wir ja alles daran, weiter auch die schwerkranken Patienten zu behandeln, die kein Covid-19 haben. Wir haben die meisten Intensivbetten in Nordrhein-Westfalen und Patienten aus dem gesamten Ruhrgebiet – das ist eine besondere Herausforderung. Was die Onkologie betrifft, einer unserer Schwerpunkte, haben wir es bislang während der Pandemie geschafft, diese Patientengruppe ohne große Einschränkungen zu versorgen.
Vor Weihnachten waren die ECMO-Kapazitäten zeitweilig ausgeschöpft, der Chefvirologe der Uniklinik, Prof. Ulf Dittmer, sprach mit Blick auf die Herz-Lungen-Maschinen von Triage. Muss die Uniklinik bald auch abwägen, wer ein Intensivbett, eine Beatmung erhält?
Das müssen wir hoffentlich nicht. Wir würden erstmal alle Ressourcen aus dem Regelbetrieb zusammenziehen. Für diesen Fall haben unsere Intensivmediziner Konzepte, die sich an den Empfehlungen der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) orientieren. Wir haben zudem ein Klinisches Ethik-Komitee, das sich bereits vor vielen Monaten mit der Thematik intensiv befasst hat. Zudem führen wir zahlreiche Gespräche. Aber ich kann da beruhigen: Bisher waren wir weit von der Triage, wie Sie sie im Kontext der Pandemie ansprechen, entfernt und haben immer Möglichkeiten gefunden, um die Patienten zu versorgen, auch durch Verlegungen.
Sie haben im November mit recht robusten Mitteln versucht, Besucher vom Uniklinikum fernzuhalten. Am Ende mussten Sie zwar nach einer Rüge des Landes auf den PCR-Test verzichten, behielten aber das sechstägige Besuchsverbot bei. Hat das die Besucherzahlen spürbar reduziert?
Ich freue mich, diesen Sachverhalt richtigstellen zu können: Es ging um das Auftreten der Omikron-Variante, vor der nicht klar war, ob sie durch die Antigenschnelltests identifiziert werden konnte. Daher haben wir die PCR-Tests gefordert. Als die, inzwischen weiß man, etwas eingeschränkte Wirksamkeit der Schnelltests belegt war, stellten wir wieder auf diese Tests um. Das sechstägige Besuchsverbot hat sich bewährt, die Besucherzahl ist gesunken. Wir haben die mit Abstand am stärksten immunsupprimierten Patientinnen und Patienten der Region, die den allerhöchsten Infektionsschutz benötigen. Deshalb war es vorausschauend, die Kontakte zu reduzieren. Wir haben zuletzt eine vergleichsweise geringe Mitarbeiterzahl in Schutz-Quarantäne nehmen müssen. Und wir mussten – anders als eine Reihe von Krankenhäusern – keine Stationen schließen und uns von Diensten für die Stadt Essen und die Region infektionsbedingt vorsorglich abmelden.
Sind die Besuchsregeln in anderen Häusern zu lax, so dass sie unnötige Infektionen riskieren?
Nein, unsere Situation mit so vielen hochvulnerablen Patienten ist einzigartig. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn angesichts der hochansteckenden Omikron-Variante auch andere Häuser wieder strengere Besuchsverbote erlassen.
Das Landesgesundheitsministerium beurteilte das sechstägige Besuchsverbot im Dezember kritisch: Es führe zu sozialer Isolation und sei „ausdrücklich zu vermeiden“. Darüber setzen Sie sich zum Schutz der Patienten hinweg…
Ja, und wir erleben viel Verständnis, weil die Familienmitglieder sehen, dass wir ihre schwerkranken Angehörigen schützen wollen. Manche verzichten sogar nach den sechs Tagen auf nicht notwendige Besuche und tauschen sich per Telefon, Video, Whatsapp oder Skype aus. Zudem gab es eine Reihe von Einzelfallentscheidungen im Besuchswesen. Nicht jede Landes-Regel lässt sich auf jeden Standort übertragen: Die Universitätsmedizin Essen verfügt über sehr große Einheiten zu Organtransplantation, Knochenmarktransplantation, zur Krebsmedizin und über die größte Klinik für Lungenkranke. Hier muss man zwischen der Gefahr für das Leben unserer Patienten und dem Ausmaß einer möglichen Isolation abwägen.
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Uniklinik haben viele belastende Situationen erlebt, ist eine Belastungsgrenze erreicht?
Wir haben in knapp zwei Jahren 3000 Patienten und Patientinnen mit Covid-19 behandelt – und wir haben fast 500 an oder in Zusammenhang mit Covid-19 Verstorbene. Es ist völlig nachvollziehbar, dass viele der Mitarbeitenden ermüdet sind. In der ersten Welle mussten sie sich einer Krankheit aussetzen, von der sie nicht wussten, ob sie sie selbst bekommen, ihre Familien anstecken oder sogar daran sterben. Mit der Impfung kam eine große Hoffnung, trotzdem folgten eine zweite und dritte Welle mit vielen Verstorbenen… Jetzt haben wir die Booster-Impfung und nun infizieren sich auch Geboosterte mit Omikron. Sie erkranken nicht schwer, aber sie fallen aus. Ich verstehe, dass es da eine gewisse Verzweiflung gibt: Für eine Intensivpflegekraft war es schon vor Corona schwer, zu Hause abzuschalten. Es überrascht nicht, dass einige gekündigt haben. Zahlenmäßig haben wir die Plätze aufgefüllt bekommen, aber jede Pflegekraft, die uns verlässt, ist ein Riesenverlust, weil da so viel Erfahrung mitgeht – das kann keine frisch examinierte Kraft ersetzen.