Essen. Ein Abschied mit vielen Erinnerungen, aber ohne Tränen: Essener Traditionskneipe Fünf-Mädelhaus verkauft das Inventar. Die Gäste stehen Schlange.

Nach 92 Jahren werden die Gäste des Essener Fünf-Mädelhauses bald vor verschlossenen Türen stehen. Die Kultkneipe macht dicht – zwei Jahre Corona-Pandemie haben die Traditionsgaststätte in Existenznot gebracht. An diesem Sonntagvormittag wollen sie aber alle noch mal rein und stehen um elf Uhr sogar Schlange bis zur anderen Straßenseite. Ausgerechnet am letzten Tag hat Wirtin Edith Hertzler-Hohn ein bisschen verschlafen. Die letzte Nacht in der Stoppenberger Eckkneipe war noch einmal lang. „Die Gäste haben es ordentlich ausgehalten“, erzählt die Wirtin. Und dann kommt auch noch die Umstellung auf Sommerzeit dazu . . .

Edith Hertzler-Hohn schreibt die letzten Rechnungen: Verkauft werden jetzt nicht mehr Speisen wie „Kumpel Anton“ und „Scharfer Obersteiger“, sondern das Inventar der Gaststätte.
Edith Hertzler-Hohn schreibt die letzten Rechnungen: Verkauft werden jetzt nicht mehr Speisen wie „Kumpel Anton“ und „Scharfer Obersteiger“, sondern das Inventar der Gaststätte. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Doch mit etwas Verspätung geht er dann doch los, der Ausverkauf des Kneipen-Inventars. Im Fünf-Mädelhaus nennen sie es lieber Flohmarkt. Und etliche Sammler sind auch gekommen, „um einfach noch mal zu stöbern“, sagt Oliver Götz. Er und seine Frau sind leidenschaftliche Sammler, die ganze Essener Wohnung sei mit Bergbau-Utensilien und anderen Erinnerungsstücken dekoriert. Einen alten Zigaretten-Automaten hat Oliver Götz an diesem Vormittag sofort ins Auge gefasst, „sowas fehlt noch“.

„Da liegen noch viele Schätze im Keller“

Auch Frank Haeske ist auf der Suche nach etwas Besonderem für den Partyraum seiner Dart-Gruppe. In letzter Zeit ist der Bochumer immer mal wieder bei solchen Anlässen unterwegs. „Die alten Kneipen schließen, die jungen Leute gehen lieber in Szene-Lokale“, weiß Haeske. Doch Menschen wie Haeske hängen noch an den alten Lampen, den liebevollen Tischdekos und Biermarken-Werbeplakaten. „Da liegen viele Schätze im Keller.“

Edith Hertzler-Hohn hat alles nach oben geholt und auf langen Tischen drapiert. Suppenteller und Salatschälchen, Grubenlampen und Bergmannshemden, ein altes Bakelit-Telefon und ein Steiger-Hut, das bemalte Arschleder und die Porzellan-Engel, hier noch eine „Chronik des Ruhrgebiets“, und eine Buddha-Figur mischt sich auch dazwischen. Die Doppelbock-Fördergerüste im Miniaturformat fürs Regal sind als Erste weg. Auch die Deckchen mit dem aufgestickten „Glück auf“-Schriftzug finden ihre Liebhaber.

„Die Kommunion kann kommen!“: Corinna und Patrick Welker haben sich mit Warmhalte-Behältern für die nächste Familienfeier eingedeckt.
„Die Kommunion kann kommen!“: Corinna und Patrick Welker haben sich mit Warmhalte-Behältern für die nächste Familienfeier eingedeckt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Norbert Grees kommt aus Oberhausen. Mit Essener Bekannten ist er im Fünf-Mädelhaus früher auch schon eingekehrt. Nun stöbert er noch mal durch die Auslagen. Dass man hier früher auch große Gesellschaften beim Bergmanns-Buffet versorgt hat, davon zeugen die vielen Warmhalte-Behälter, die schnell Abnehmer finden. „Bei uns steht im Mai die Kommunion an“, erzählen Corinna und Patrick Welker. Currywurst und Gulaschsuppe werden dann ganz traditionell die großen Töpfe füllen. Mit den letzten zwei Flaschen Malzbier stoßen die beiden noch mal aufs Fünf-Mädelhaus an, dann ist die Stoppenberger Traditionsgaststätte auch für sie Geschichte.

Markus Möller kennt das Fünf-Mädelhaus aus seiner Jugendzeit. Für die Fußballer von Schwarz-Weiß Beisen war die Kneipe ein fester Treffpunkt.
Markus Möller kennt das Fünf-Mädelhaus aus seiner Jugendzeit. Für die Fußballer von Schwarz-Weiß Beisen war die Kneipe ein fester Treffpunkt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Noch eine Ur-Kneipe weniger“, bedauert auch Markus Möller. Zu Jugendzeiten war das Fünf-Mädelhaus ein echter Treffpunkt, erzählt der Essener. Damals, als Möller in der A-Jugend von Schwarz-Weiß Beisen gespielt hat, kamen die Katernberger Kicker hier regelmäßig zusammen. Für Möller hat das Kneipensterben aber nicht erst mit Corona begonnen. Das Rauchverbot in der Gastronomie hätte das Ende vieler traditionsreicher Eckkneipen schon früher eingeleitet, findet er. Wer an diesem Sonntag vor der Tür steht, ist aber nicht mehr auf eine Raucherpause aus, sondern auf ein letztes Andenken.

Edith Hertzler-Hohn bleibt an diesem Morgen trotz aller sentimentalen Erinnerungen gefasst. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Schließung so viele Leute betroffen macht.“ Abschiedstränen will sie an diesem Vormittag nicht vergießen. „Es muss jetzt weitergehen.“ Und an diesem Sonntagvormittag fühle sich die Entscheidung für einen Moment auch schon „irgendwie richtig an“, sagt die 63-Jährige. Aber der Flohmarkt geht ja noch weiter. Bis zum 1. April sollen auch die letzten Möbel und Küchengerätschaften verkauft sein – und das Fünf-Mädelhaus endgültig Geschichte.