Essen-Stoppenberg. Nach 92 Jahren droht dem Fünf-Mädelhaus in Essen-Stoppenberg das Ende. Pächterin Edith Hertzler-Hohn hofft auf ein Wunder für die Kultkneipe.
Die Kultkneipe Fünf-Mädelhaus in Essen-Stoppenberg steht vor dem Aus. Eröffnet wurde sie vor 92 Jahren im Stadtteil. Die Corona-Pandemie hat die heutige Wirtin Edith Hertzler-Hohn in finanzielle Schwierigkeiten gebracht.
Urige Atmosphäre mit Ruhrpott-Romantik im Fünf-Mädelhaus
Als Hertzler-Hohn die Tür zur Wirtschaft am Hugenkamp 35 öffnet, weiß sie nicht, wo sie anfangen soll. „Es gibt eine ganz schlechte Nachricht“, sagt sie und ringt um Fassung. Ihr Vermieter wolle den Pachtvertrag kündigen, weil sie nicht zahlen konnte. „Aber jetzt soll es doch nach Corona endlich wieder losgehen.“ „Die 100 hätte ich gern vollgemacht“, sagt Edith Hertzler-Hohn. Die 63-Jährige kann es nicht glauben.
15 Gesellschaften hätten sich bereits vor Monaten angemeldet, um im Frühjahr im Bergmanns-Restaurant Fünf-Mädelhaus familiär zu feiern. Die urige Atmosphäre mit Ruhrpott-Romantik und dem Charme einer alten Eckkneipe ist seit Jahren gefragt. Nicht nur bei Gästen aus Essen. „Viele Touristen schauen nach dem Besuch auf Zollverein vorbei, um wie früher bei Muttern zu futtern.“
Stauder-Brauerei gratulierte zum Jubiläum
Lang vor dem Hype um die Kulturhauptstadt war die 1930 von Edith Hertzler-Hohns Großvater eröffnete Gaststätte, die zunächst „Stern-Eck“ hieß, ein Ort für Traditionen. Früher trafen sich hier echte Bergleute nach der Schicht. Ediths Großmutter servierte kalte Schnitzel, Frikadellen und Soleier an der Holztheke. Dazu tranken die Kumpel und Malocher aus dem Viertel das ein oder andere Pils. „Erst meine Mutter hat den Gästen warme Küche angeboten.“ Heute stehen Gerichte wie „Schimanskis Kartoffelsuppe“, „Omas Fisch“ (Brathering mit Zwiebeln und Rösti) und „Gebundenes vom Schwein“ (Currywurst, Pommes, Salat) auf der Speisekarte. An Wochenenden gab es bis vor Corona das Bergmanns-Büfett. Zum 90-jährigen im Fünf-Mädelhaus gratulierte die Stauder-Brauerei mit einer Urkunde zum außergewöhnlichen Jubiläum.
Auf rund 5000 Euro Coronahilfe warte sie, ergänzt Edith Hertzler-Hohn. „Das geht ja gerade vielen Wirten so.“ Sie habe immer gehofft, das Lokal nach der Pandemie weiter zu führen. Die Arbeit in der Gastwirtschaft ist der Stoppenbergerin seit Kindesbeinen vertraut. Im Haus ist sie mit ihren Schwestern aufgewachsen. „Die Geschichte der Wirtschaft ist die meiner Familie.“ Drei Aushilfen hat sie beschäftigt, darunter eine Mutter von zwei Kindern. „Mein Team kann es auch nicht fassen.“ Sogar von einer Zwangsräumung sei die Rede gewesen.
Zweiter Weltkrieg, Wirtschaftskrise, Corona
In neun Jahrzehnten gab es neben glücklichen auch schwere Zeiten. Aber irgendwie habe es die Familie immer geschafft. „Im Zweiten Weltkrieg war alles kaputt“, weiß die Wirtin. Der Boden im großen Saal ist uneben, weil dort ein Bombenkrater war. In den 1970er Jahren bedrohte die Wirtschaftskrise die Existenz des Lokals. „Die Eltern hatten im Keller eine Kegelbahn bauen lassen.“ Mitten im Bau sei der Architekt gestorben. „Der neue wollte auf einmal viel mehr Geld als geplant.“
Dank der Unterstützung der Brauerei hätten ihre Eltern gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Ein kleines Wunder, wie das in Bern 1954. Der deutschen Fußball-Nationalmannschaft war am Ende der Sieg über Ungarn gelungen. Wer kennt sie nicht, die Geschichte um Helmut Rahn? Der Torheld aus Essen drehte das Spiel kurz vor Schluss mit einem Treffer zum Guten. Deutschland wurde Weltmeister. Edith Hertzler-Hohn zeigt das große Schwarzweiß-Foto an der langen Wand im Saal. „Das Bild gehörte meinem Vater und viele Gäste haben mich darauf angesprochen.“ Das Wunder von Bern im Rahmen.
Der Hausbesitzer lebe in Berlin, der Hausverwalter in Krefeld. Gäste, die von der Kündigung hörten, seien geschockt. „So wie ich“, sagt die Chefin im Fünf-Mädelhaus. Das heißt übrigens nach ihr und ihren Schwestern. Fünf Mädels. „Einen Stammhalter gab es nicht.“ Als ihre älteste Schwester die Kneipe nicht übernehmen wollte, habe sie ihrer Mutter versprochen, die Tradition später fortzusetzen: 1997 übernahm sie das Lokal und brachte viele neue Ideen und Herzblut ein.
Bergarbeiter-Souvenirs im Fünf-Mädelhaus
Ludger Stratmann würdigte das Fünf-Mädelhaus
In Stoppenberg eröffneten die Großeltern von Edith Hertzler-Hohn 1930 das Stern-Eck am Hugenkamp 35 in unmittelbarer Nähe von Zeche Zollverein. Die Eltern von Edith Hertzler betrieben dort neben ihrer Gaststätte 20 Jahre die Kantine auf Zollverein. Der Essener Kultkomiker Dr. Ludger Stratmann würdigte das Fünf-Mädelhaus auf seiner Stadtführungs-CD „Jupp sein Essen“.
Die Tische deckt sie liebevoll im Ruhrpott-Design und verkauft handgefertigte Souvenirs wie Grubenhandtücher, Bergmannsblusen, Tassen und blau-karierte Schirme mit Glück auf-Aufdruck. Einige Gäste haben ihr Sachen abgekauft, als sie von der Entscheidung des Vermieters hörten. „Aber als Rettungsschirm reicht das nicht.“
Trotz allem sei sie „weiter optimistisch“, so Edith Hertzler-Hohn. „Und wenn es mir richtig schlecht geht, höre ich das Höhner-Lied über das Wunder von Bern.“ Darin heißt es: Sie glauben ganz fest an ihr Glück. Das Wunder von Bern. Wir haben´s schon mal geschafft. Gibt uns auch heute die Kraft.“