Duisburg. Rechtswidrige Nutzung, Brandschutzmängel, möglicherweise Asbest. Eine neue, ausführlichere Studie zum Theater zeigt das ganze Ausmaß der Tragödie.

Dass es nicht rosig aussieht im Duisburger Stadttheater, vor allem hinter den Kulissen, das ist nichts Neues. Dass die zwingend notwendige Sanierung eine dreistellige Millionensumme kosten wird, auch nicht. Sogar die neuralgischen Punkte, die diese Sanierung so komplex (und teuer) machen, sind schon grob bekannt, dank der Machbarkeitsstudie, die die Ingenieursgesellschaft „Rebuild“ im März 2022 fertiggestellt hat.

Nun aber gibt es eine deutlich ausführlichere Variante der Studie. Statt bislang 56 Seiten, die größtenteils mit Bildern und Grafiken gefüllt sind, sind es nun 171 Seiten mit langen Texten, die die kritische Lage Duisburgs guter Stube detailliert beschreiben. Wir haben uns die Studie zur Brust genommen und die wichtigsten Punkte zusammengefasst. Wer sich das Werk aber lieber ungefiltert und mit seiner ganzen aristotelischen Dramatik zu Gemüte führen will, kann das aktuell im Ratsinformationssystem der Stadt Duisburg tun. So viel aber schonmal vorneweg: Das Drama endet eher mit einer Katastrophe denn mit einer Lösung.

Teile des Duisburger Theaters laut Gesetz gar nicht zulässig

Der ganze Facettenreichtum der Studie kann in diesem Artikel natürlich nicht abgebildet werden, „Rebuild“ hat nicht ohne Grund 171 Seiten gebraucht. Einige Punkte begegnen dem Leser in den verschiedenen Kapiteln aber immer wieder, zum Beispiel der Brandschutz. Im großen Saal befinden sich etwa Holzverkleidungen, die laut Sonderbauverordnung (SBauVO) nicht mehr zulässig sind, generell legt die Studie dem Theater ein gänzlich neues Brandschutzkonzept ans Herz.

Momentan leider eher Tiefen statt Höhen: Um das Duisburger Theater ist es nicht so gut bestellt, wie es das imposante Äußere vermuten lassen könnte.
Momentan leider eher Tiefen statt Höhen: Um das Duisburger Theater ist es nicht so gut bestellt, wie es das imposante Äußere vermuten lassen könnte. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Das Dach über dem großen Saal hat seine besten Jahre auch schon lange hinter sich, Schnee und Wasser dringen ein, Fangnetze sorgen dafür, dass keine Betonstücke auf die abgehängte Saaldecke krachen – oder auf Passanten an der Moselstraße, dort bröckelt nämlich die Fassade.

Behinderten-WC im Duisburger Theater ist so nicht erlaubt

Für Menschen mit Behinderung ist das Theater in seiner Gänze nicht barrierefrei, für die Erkenntnis braucht man keine Studie. Schon spezieller: Das Behinderten-WC im Foyer hat keinen Vorraum und ist laut SBauVO somit gar nicht zulässig. Passenderweise gibt es im großen Saal dann auch weniger Plätze für Rollstuhlfahrer, als es gemessen an der Kapazität des Raumes eigentlich geben müsste. Zum Foyer kann sich selbst die nüchterne Studie einen Seitenhieb nicht verkneifen. Anstatt repräsentativer Raum zu sein, geöffnet zur Stadt, „wirkt er nur wie ein spärlich ausgestatteter Infostand“ und sei wegen fehlender Barrierefreiheit „eher Blockade als nötiges verbindendes Element zur Stadt“. Allerdings kommen mobilitätseingeschränkte Menschen ja sowieso nur schwerlich rein, die beiden großen Außenrampen am Haupteingang sind nämlich zu steil (13 Prozent Steigung statt der erlaubten 6 Prozent) und zu lang (länger als sechs Meter).

Sieht nicht stabil aus: Das marode Dach des Duisburger Theaters ist ein Sorgenkind. Am oberen Bildrand in Grün: Die Fangnetze, damit keine Betonbrocken auf die Saaldecke stürzen (Archivbild).
Sieht nicht stabil aus: Das marode Dach des Duisburger Theaters ist ein Sorgenkind. Am oberen Bildrand in Grün: Die Fangnetze, damit keine Betonbrocken auf die Saaldecke stürzen (Archivbild). © Marc Sommer, Rebuild.ing Ingenieurgesellschaft | Marc Sommer, Rebuild.ing Ingenieurgesellschaft

Aber zurück zu den inneren Werten, die das Gesamtbild allerdings auch nicht schöner machen. Der Lastenaufzug für Kulissen ist störanfällig und kann im schlimmsten Falle für Absagen ganzer Aufführungen sorgen, die Lüftung des Zuschauerraums ist von 1950, die vom Theater praktizierte Lagerung von Kulissen in den Seitenbühnen ist baurechtlich eigentlich verboten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Lüftungssystem Asbest verbaut ist und die Akustik des großen Saals ist für Opern nicht ideal, weil die Instrumente des Orchesters nicht zu einem Ensemble verschmelzen können. Dafür bescheinigt die Studie dem Raum einen „sehr kammermusikalischen Klang im positiven Sinne“. Na immerhin.

Machste einen, machste alle: der Domino-Effekt im Duisburger Stadttheater

Diese Aufzählung baulicher, struktureller, sogar künstlerischer Mängel kratzt natürlich nur an der Oberfläche, das beliebte Foyer III, und sämtliche Werkstätten, Probenräume und Büros hinter den Kulissen sind selbstverständlich auch betroffen. Interessanter ist aber ja ohnehin, was das alles nun für die Zukunft des „Herzens der Stadt“ – wie die Studie das Theater nennt – bedeutet. Die ursprüngliche Arbeitshypothese von drei „Sanierungsgrößen“, die die Stadtverwaltung zu Auswahl hat (S, M, und L), ging im Laufe der Studie schnell über Bord. Denn, das haben die Ingenieure gemerkt, selbst der kleinste Eingriff in nur einen Teilaspekt des Theaters löst eine so große Kettenreaktion aus, wodurch letztendlich doch das ganze Haus betroffen ist.

Domino-Effekt: Soll der Orchestergraben im Duisburger Theater vergrößert werden, löst das eine Kettenreaktion aus, bei der am Ende doch das ganze Haus saniert werden muss.
Domino-Effekt: Soll der Orchestergraben im Duisburger Theater vergrößert werden, löst das eine Kettenreaktion aus, bei der am Ende doch das ganze Haus saniert werden muss. © FFS | Thomas Richter

Ein Beispiel: Die Philharmoniker möchten einen größeren Orchestergraben, damit die Hörner nicht vom Flur aus spielen müssen. Verständlich. Und klingt ja auch erstmal nicht so kompliziert. Aber wenn man den Orchestergraben vergrößert, muss man auch die Saalbestuhlung angehen, die Akustik des Proszeniums, die des großen Saals, und den Raumbedarf der Düsseldorfer Oper beachten, damit deren Produktionen auch in Duisburg gespielt werden können. Im nächsten Schritt haben diese Dinge wiederum Auswirkungen auf die Barrierefreiheit, die Lüftungs- und Elektrotechnik, die Saaldecke und die Wandverkleidung. Der Domino-Effekt führt schließlich dazu, dass die Logistik des Theaters der einzige von elf Bereichen ist, der nicht vom scheinbar unkomplizierten Ausbau des Orchestergrabens betroffen ist.

So viel wird die Sanierung des Duisburger Theaters kosten – konservativ geschätzt

Weil es sich so mit allen Einzelmaßnahmen verhält, kommt „Rebuild“ zu dem Schluss, dass das Theater für eine Sanierung zu großen Teilen auf den Rohbau zurückzubauen ist – das sei zwar teuer, mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit des Hauses aber „ökonomisch nachhaltig“, weil das Haus dann mit modernster Technik und nach neuesten Ansprüchen zukunftssicher wiederaufgebaut werden kann. Apropos teuer: Wie viel Geld wird die Sanierung denn nun kosten?

Eine konkrete Antwort kann die Studie nicht geben, das war auch nicht ihre primäre Aufgabe. Eine zweite Machbarkeitsstudie wird derzeit erstellt, dort dürfte es belastbarere Zahlen geben. Die „Rebuild“-Ingenieure geben trotzdem eine vorsichtige Schätzung ab. Die Summe wurde schon in der abgespeckten Version der Studie kommuniziert, doch auch wenn sie bekannt ist, sorgt sie immer noch für Ohrenschlackern: Das „neue“ Theater würde die Stadt Duisburg 228.522.353 Euro kosten. Und 27 Cent.