Duisburg. Ihre Schicksale schockieren, ihre Freude ist groß: Syrer haben in Duisburg den Machtwechsel bejubelt. Die Menschen sprechen aber auch über ihre Verluste.

„Wir feiern den Sturz des Assad-Regimes, den Moment, auf den wir seit 14 Jahren gewartet haben“, sagt die 24-jährige Aya. Sie ist eine der Feiernden auf dem Vorplatz des Duisburger Hauptbahnhofs. Dort wehen zahlreiche grün-weiß-schwarze Nationalflaggen, ein Symbol der Opposition gegen die brutale Assad-Herrschaft. Schon am Wochenende hatten in NRW mehr als 15.000 Menschen demonstriert, unter anderem in Dortmund, Essen, Wuppertal und Herne. Einige Tage nach dem Machtwechsel gibt es auch in Duisburg eine Demo, zu der kamen aber deutlich weniger Menschen als erwartet.

Nach Angaben der Polizei versammelten sich am Dienstagnachmittag 120 Menschen, um den Machtwechsel in ihrem Heimatland zu feiern. Die Demo bleibt damit deutlich hinter den 11.000 Menschen in Essen und den Erwartungen der Veranstalter. Sie hatten 5000 Menschen angemeldet. Dazu muss man wissen: In Duisburg leben nach offiziellen Angaben über 11.000 Syrer. Warum feierten am Dienstag nur wenige von ihnen öffentlich? Vor allem der Termin mitten an einem Arbeitstag könnte nach Angaben der Frauen und Männer vor Ort eine Rolle gespielt haben.

Nach Sturz des Assad-Regimes: 120 Menschen auf Demo in Duisburg

Zum Hintergrund: Am Wochenende sind Rebellen in die Hauptstadt Damaskus vorgerückt und in den Präsidentenpalast eingedrungen. Baschar al-Assad flüchtete mit seiner Familie nach Moskau. Seither feiern Millionen Syrer weltweit das Ende der Diktatur. Die Hoffnung: Das Ende des Bürgerkrieges und der Anfang einer besseren Zeit in Syrien.

„Es ist ein Traum, auf den wir seit Beginn des Bürgerkriegs gewartet haben.“

Aya (24)
ist mit 14 Jahren aus Syrien geflohen

„Es ist ein Traum, auf den wir seit Beginn des Bürgerkriegs gewartet haben“, sagt Aya, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt. Die junge Mutter hat Syrien mit 14 Jahren verlassen – ist geflohen vor Krieg, Tod und Chaos. Ihre kleine Tochter kennt das Heimatland ihrer Mutter nur aus Erzählungen. „Wir freuen uns, dass Assad weg ist“, sagt sie mit Tränen in den Augen. „Er hat uns gefoltert und getötet.“ Für sie bedeutet das Ende von al-Assads Regime vor allem Freiheit.

Syrer feiern vor dem Hauptbahnhof
Sturz des Assad-Regimes: Trotz Kälte kamen über hundert Menschen zur Kundgebung in die Duisburger Innenstadt. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

15 Minuten vor dem offiziellen Start um 14 Uhr ziehen die ersten Menschen mit Fahnen über den Schultern durch die Innenstadt. Gemeinsam jubeln sie ausgelassen auf dem Portsmouthplatz. Grundsätzlich spricht die Polizei von einem friedlichen, störungsfreien Verlauf. Einmal muss sie jedoch eingreifen. Gegen 15 Uhr hisste ein Mann mit einem Palästinensertuch die Flagge Kurdistans. Es kommt zu lauten Wortgefechten und Schubsereien, die von der Polizei beendet werden. Strafrechtlich sei die Fahne nicht relevant, wie die Polizei später mitteilt, werde aber als Provokation gesehen.

Syrer feiern vor dem Hauptbahnhof
Gemeinsam freuen sich Syrer und Syrerinnen in Duisburg über den Sturz von Diktator Baschar Al-Assad. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Demo in Duisburg: Syrer feiern und singen ausgelassen

Der Stimmung vor dem Hauptbahnhof tut die geringe Anzahl keinen Abbruch. Es sind vor allem junge Menschen unter 35, die Fahnen schwenken, gemeinsam singen sie auf Arabisch „Freiheit für immer“ und „Syrien ist für uns, nicht für Assad“. Kinder verteilen Süßigkeiten, während sich die Gruppe um einen bepflanzten Blumentopf sammelt. Auf ihm steht eine Handvoll junger Männer und stimmt die Lieder an. Anders als in anderen Städten gibt es weder einen Autokorso noch ein Hupkonzert.

Syrer feiern vor dem Hauptbahnhof
Fahne schwenkend und singend feiern die Syrer und Syrerinnen die Befreiung von dem Diktator Baschar Al-Assad in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Trotz der Freude und Hoffnung wird in den Gesprächen mit unserer Redaktion deutlich, dass auch die Unsicherheit groß ist. „Was kommt, ist unklar“, sagt ein 30-jähriger Mann aus Marxloh, der anonym bleiben möchte. Er macht sich Sorgen. „Es ist noch nicht vorbei“, sagt er und verweist auf die Luftangriffe Israels auf militärische Einrichtungen. „Ich möchte beim Wiederaufbau helfen, weiß aber nicht, was mich erwartet.“ Seit neun Jahren lebe er in Deutschland, fast seine ganze Familie wohne mittlerweile hier.

Nach Machtwechsel: Einige Syrer wollen zurückkehren

Mohanad Kooja hingegen ist sich sicher, dass er nach Syrien zurückkehren will. „Ich vermisse meine Heimat“, sagt der 34-Jährige. Er habe viele Familienangehörige und Freunde verloren. „Mein Bruder starb, als er ein Kind aus einem einstürzenden Haus retten wollte.“ Über den Verbleib seines zweiten Bruders kann er nur spekulieren, glaubt er sei im Gefängnis gestorben. Er selber wurde im Gefängnis gefoltert. Sein Rücken trägt noch heute die Narben der Hiebe seiner Peiniger. „Bis heute habe ich Schmerzen.“ Als er nach Deutschland kam, hatte er über viele Jahre Albträume, sei traumatisiert von den schrecklichen Erlebnissen gewesen.

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Deutschland sei er dankbar für jede Hilfe, auch die Möglichkeit eine Ausbildung zum Schweißer zu machen. Das Erlernte möchte er nun nutzen, um sein Land wieder aufzubauen. „Vor uns liegt keine einfache Zukunft“, weiß er, wie wohl die meisten, die an diesem Mittag bei der Kundgebung sind. Denn: In vielen Regionen sind Strom, fließendes Wasser und Nahrung knapp. „Über die Hälfte des Landes ist zerstört.“ Er träumt von einem freien, demokratischen Syrien, in dem alle Religionen friedlich zusammenleben. Sein Wunsch: „Vielleicht machen Deutsche irgendwann bei uns Urlaub. Dann gebe ich ihnen alles kostenlos.“