Essen. Nach einem jahrelangen Bürgerkrieg in Syrien gibt es dort einen Machtwechsel. In Essen feiern Tausende Syrer den Sturz von Baschar al-Assad.
Syrische Flaggen wehen in der Kälte, auf den Essener Straßen gibt es ein Hupkonzert: 11.000 Menschen feiern nach Polizeiangaben am Sonntag (8.12.) in der Grünen Mitte den Machtwechsel in ihrem Heimatland. „Heute ist ein Tag, an dem gefeiert werden darf“, sagen viele der Menschen am Nachmittag. Und doch merkt man ihnen an, dass trotz des Endes des Assad-Regimes keine einfache Zeit vor ihnen liegt. Es stehen schwere, persönliche Entscheidungen an.
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„Wir feiern heute ein freies Syrien. Es dauert aber bestimmt ein bis zwei Jahre, bis alles ruhig ist“, sagt Mohamad, der seinen vollen Namen nicht öffentlich lesen will. Er sei vor drei Jahren eingebürgert worden. Jetzt steht ihm eine Entscheidung bevor: Zurück nach Syrien gehen oder in Deutschland bleiben? Am heutigen Tag sei es selbstredend noch zu früh, sich zu entscheiden. Es sei aber kompliziert. „Ich habe hier in Deutschland seit zehn Jahren mein Zuhause.“ Sätze wie diese sind an diesem Nachmittag am Jakob-Funke-Platz oft zu hören.
11.000 Syrer feiern Machtwechsel in Essen: Fotos des Tages
Offiziell sind für die Versammlung am zweiten Advent gerade einmal 300 Menschen angemeldet. Aufgerufen hat ein Team, das sich „Syrischer Jasmin“ nennt, sagt deren Aktivist Amia Alhajsaleh im Gespräch mit der Redaktion. Die zahlreichen Menschen habe man über die sozialen Medien erreichen können. Alhajsaleh selbst lebt in Krefeld. Warum haben er und sein Team entschieden, zu der Versammlung nach Essen einzuladen? „Hier gibt es größere Flächen“, behauptet der Aktivist in der Grünen Mitte.
Gegen 16.30 Uhr heißt es von der Polizei zum ersten Mal, dass die Anzahl der Teilnehmer nicht nur vier- sondern gar fünfstellig ist. Schon vor dem offiziellen Start um 14.30 Uhr ziehen viele Gruppen fröhlich und Fahnen schwenkend durch die Innenstadt, auch auf der Kettwiger Straße und am Hauptbahnhof ist viel los. Andere machen spontan einen Autokorso. Immer wieder ziehen große Gruppen mit dem Ziel Jakob-Funke-Platz durch die Straßen. Manche von ihnen haben Süßigkeiten mit dabei, die sie Autofahrern durch heruntergelassene Fensterscheiben reichen. Es herrscht Volksfeststimmung, vereinzelt hört man Feuerwerk.
Syrer in der Grünen Mitte in Essen: Video via Instagram
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Berliner Platz in Essen: Großer Kreisverkehr ist verstopft
Wenig verwunderlich ist der große Kreisverkehr am Berliner Platz am Nachmittag hoffnungslos verstopft – es bewegt sich wenig bis gar nichts. Im Nachhinein wird die Polizei von „erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und zahlreichen Staus“ berichten. Schon zu Beginn der Demo sind dort deutlich mehr als die angemeldete Zahl der Teilnehmer zusammengekommen. Die Polizei versuchte eigenen Angaben zufolge immer wieder, die Beeinträchtigungen zu minimieren, setzte dabei sogar einen Hubschrauber ein. Vereinzelt kam es zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, etwa durch das Abbrennen von Pyrotechnik und der Abgabe von Schreckschüssen. Dennoch: Die Stimmung ist an diesem Sonntag ausgelassen und friedlich. Fahnen werden geschwenkt, Trommeln sind zu hören, es wird gesungen und „Freiheit für immer“ skandiert. Wie die Polizei bestätigt, ist die Zusammenkunft gegen 18 Uhr „ohne wesentliche Vorkommnisse“ beendet.
Unter den Anwesenden ist Ethar Abdullatif mit seiner Frau und seinen vier in Deutschland geborenen Kindern. Vor zehn Jahren sei er in das Land gekommen, das längst zu seiner zweiten Heimat geworden ist. „Wir freuen uns, dass Assad nicht mehr Präsident ist“, sagt der 35-Jährige, der sich wie viele andere eine syrische Flagge umgehängt haben. „Ich habe im Krieg meinen Vater verloren. Er ist einen Monat nach einem Luftschlag im Krankenhaus gestorben.“ Obwohl er bereits in Syrien eine Ausbildung gemacht habe, habe er in Deutschland von Null starten müssen. Doch beschweren will sich Abdullatif nicht, im Gegenteil. In Essen habe er an einem Abendgymnasium sein Fachabitur in drei Jahren nachgeholt. Aktuell studiere er Maschinenbau in Bochum, habe in seiner Zeit in Deutschland Sicherheit und Respekt ihm gegenüber erlebt.
Wo sieht er seine Zukunft? Ungewiss, ob in Deutschland oder in Syrien. Seine vier Kinder kennen sein Heimatland nicht einmal, wissen darüber nur aus Erzählungen Bescheid. Ähnliche Gedanken wie Ethar Abdullatif dürften nun rund 16.000 Syrer in Essen haben, so viele leben hier in der Stadt. Zu der Versammlung am Sonntag sind aber nicht nur syrische Essenerinnen und Essener gekommen. Aus ganz Nordrhein-Westfalen haben sich Menschen zur Grünen Mitte aufgemacht. Aufgrund der großen Versammlung meldet die Polizei, dass es im Bereich Stadtmitte zu erheblichen Verkehrseinschränkungen kommt.
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