Duisburg. Ron S. gesteht den Angriff auf einen Jungen und seine Cousine. Die Chance, sich bei den Angehörigen zu entschuldigen, lässt er verstreichen.

Überraschend ist an diesem Geständnis allenfalls der Zeitpunkt. Gleich zu Beginn des vierten Prozesstags am Landgericht Duisburg um die Messerattacke auf zwei Kinder in Marxloh trägt der Verteidiger von Ron S. eine knappe Erklärung vor. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft träfen zu, sagt der Anwalt. Heißt: Sein Mandant hat Ende Februar die neunjährige Daria und ihren zehnjährigen Cousin Alberto auf offener Straße mit einem Messer und einem Hammer attackiert und die beiden Kinder schwerstverletzt. S. hatte während der laufenden Ermittlungen und auch während der ersten Prozesstage geschwiegen.

In den letzten Gesprächen mit seinem Mandanten habe der inzwischen aber versichert, dass die Tat ihm leidtue und er sie bereue. Weitere Nachfragen seien allerdings zum jetzigem Zeitpunkt „ganz schwierig: Wir wollen es erstmal dabei belassen.“ Von einer „Überreaktion“ spricht der Verteidiger noch. Ob das alles so stimme, fragt die Vorsitzende Richterin? „Ja, ja, ja“, antwortet Ron S., dann schweigt er wieder. Die Chance, sich direkt bei den Angehörigen der Opfer zu entschuldigen, lässt er am Montag verstreichen.

Dolmetscher hilft dem Gericht bei den Fragen

Als Zeugen geladen sind an diesem Tag die Mutter (42) von Daria und der Vater (34) von Alberto. Von ihnen will die Sechste Große Strafkammer erfahren, wie es den Kindern heute geht, ein Dreivierteljahr nach der Tat. Ein Dolmetscher hilft bei den Fragen. Die Opfer stammen aus der bulgarischen Community. Beide Elternteile berichten übereinstimmend, dass sich ihre Kinder nicht mehr allein aus dem Haus trauten, zur Schule gebracht und wieder abgeholt würden. Sie schliefen nachts nicht mehr allein, seien schreckhaft und nervös. Beide befänden sich in psychologischer Behandlung. Gemeinsam würden sie versuchen, die Traumata aufzuarbeiten.

Polizisten trafen kurz nach der Tat am 28. Februar in Duisburg-Marxloh auf Ron S. und seinen Vater.
Polizisten trafen kurz nach der Tat am 28. Februar in Duisburg-Marxloh auf Ron S. und seinen Vater. © WAZ | Semih Köse 

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus habe Daria tagelang nicht über den Vorfall sprechen können, erst dann habe sie sich öffnen können, berichtet ihre Mutter. Der Vorfall erschwere ihrem Kind das Leben noch heute: „Sie stellt jeden Tag die Frage: Warum ist mir das passiert?“ Über ihre Tochter sagt die Mutter: „Ich will, dass sie mal wieder so wird, wie sie war, aber sie ist eine andere.“ Seinen Sohn plagten regelmäßig Albträume, sagt Albertos Vater: „Das wird ihn ein Leben lang beschäftigen.“ Er selbst könne seit dem Vorfall nicht mehr arbeiten und sei 24 Stunden am Tag für seinen Sohn da. Sichtlich schwer fällt es ihm, zu S. hinüber zu schauen.

Übereinstimmend sind auch die Passagen, in denen die Eltern die Tat schildern, so wie sie ihre Kinder ihnen später erzählt haben. Daria und Alberto wollen am Tattag in den frühen Mittagsstunden eine Abkürzung auf dem Nachhauseweg von der Schule nehmen, als sie auf S. treffen. Der öffnet seine Jacke und holt ein Messer hervor. Die Kinder flüchten, aber S. holt das Mädchen ein und attackiert sie. Als der Junge seiner Cousine beistehen will, wird auch er angegriffen. Ein Anwohner versucht den Kindern zu helfen, in dem er mit einer Taschenlampe nach dem Täter wirft. Dann stößt schließlich der Vater von S. hinzu, entwaffnet ihn und geht mit ihm davon. Die Kinder kommen ins Krankenhaus. Ihre Eltern werden alarmiert, den Täter fasst die Polizei bei seinem Vater.

Die beiden Opfer sollen noch gehört werden

Sein Sohn leide bis heute auch körperlich noch an den Folgen berichtet der Vater von Alberto. Er überreicht dem Gericht zum Ende hin noch einen USB-Stick. Darauf soll ein Video sein, dass ihm ein Anwohner zugespielt hat. Zu sehen sei darauf der Verlauf der Attacke und dass der Täter ein Handy in der Hand gehabt haben soll. Hat er während der Attacke mit jemand telefoniert oder die Tat gefilmt? Diese Frage ist noch offen, aber wichtig für ein mögliches Motiv. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der psychisch kranke S. mit der Attacke Internet-Bekanntschaften imponieren wollte. Ihm wird unter anderem versuchter Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch droht ihm die dauerhafte Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie.

Die Attacke in Duisburg-Marxloh wühlte viele Menschen auf. Auch die Opfer sollen im Prozess noch gehört werden.
Die Attacke in Duisburg-Marxloh wühlte viele Menschen auf. Auch die Opfer sollen im Prozess noch gehört werden. © dpa | JUSTIN BROSCH

Die beiden Opfer sollen zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens noch gehört worden. Dazu seien sie grundsätzlich auch bereit, erklären die Eltern. Offen ist aber noch in welcher Form. Ausgeschlossen sei das in unmittelbarer Anwesenheit des Täters, so die Eltern. Denkbar sei unter anderem Befragung über eine Schalte in einen anderen Raum des Gerichts. S. könnten und wollten ihre Kinder nie mehr in die Augen sehen müssen, das ist den Eltern wichtig. Sie sollen ihm nur dieses eine Mal im Leben begegnet sein.