Duisburg. Die Gedenkstätte der Loveparade-Katastrophe ist zum 14. Jahrestag ein Ort der Gemeinschaft, der Erinnerung. Warum das Ritual wichtig ist.

Um 17 Uhr erklingen 21 Glockenschläge für die Todesopfer der Loveparade-Katastrophe, ein 22. Glockenschlag für die Verletzten und Traumatisierten, ein 23., „weil um uns herum so viel Krieg und Leid geschieht“. So erklärt es Dr. Jürgen Thiesbonenkamp, der zum sicher zehnten Mal die Andacht hält.

Eine kleine Gemeinschaft hält zum 14. Jahrestag stellvertretend für Duisburg an der Gedenkstätte im Karl-Lehr-Tunnel für einen Moment inne, erinnert sich an den Tag, der für so viele Menschen fatale Folgen hatte, der das städtische Leben bis heute prägt – und der bundesweit bessere Sicherheitsmaßnahmen für Großveranstaltungen begründen wird.

Bei der Loveparade am 24. Juli 2010 kam es im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße zu einer Massenpanik. 21 junge Menschen aus sieben Ländern starben, über 600 wurden verletzt, traumatisiert.

Loveparade-Gedenken: Angehörige stützen sich gegenseitig

Zum Jahrestag ist die Gedenkstätte nicht nur voller Trauer, sondern auch begleitet von Freude. Angehörige aus verschiedenen Ländern wurden unter traurigsten Umständen zu Wegbegleitern, hier spürt man ihren Zusammenhalt: Sie stützen sich gegenseitig, halten einander. Hier ist Platz für Tränen, aber auch für Wiedersehensfreude, für Lachen. Die Gedenkstätte schmücken sie mit weiteren Kerzen und Blumen, machen Fotos von den dekorierten Bildern ihrer verstorbenen Kinder, Frauen, Enkel.

Die Angehörigen halten sich gegenseitig in ihrer Trauer. Kränze von der Landesregierung, der Stiftung Notfall-Seelsorge, aber auch vom Team der Loveparade liegen an der Gedenkstätte.
Die Angehörigen halten sich gegenseitig in ihrer Trauer. Kränze von der Landesregierung, der Stiftung Notfall-Seelsorge, aber auch vom Team der Loveparade liegen an der Gedenkstätte. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Mit Blick auf die Leidtragenden zitiert Thiesbonenkamp den Theologen Dietrich Bonhoeffer, der sagte: „Je schöner die Erinnerung, desto schwerer die Trennung“, man müsse es aushalten und durchhalten. Was hart klingt, sei „ein großer Trost.“

Das empfinden wohl viele so: „Ich muss kommen“, sagt Nadia Zanacchi, deren Tochter Giulia die Technoparty besuchen wollte und nie mehr zurückkehrte. „Zuhause wäre es an diesem Tag nicht das gleiche“, sagt die Mutter. Daheim in Italien denke sie jeden Tag an ihre Tochter und trauere über „den Sieg des Todes“, zugleich freue sie sich, bald Großmutter zu werden: „Das sind komplett verschiedene Gefühle, aber das eine geht nicht ohne das andere.“ Dass in Duisburg die Erinnerung hochgehalten wird, sei ihr wichtig: „Erinnern ist Menschsein.“

„Erinnern ist Menschsein“

Nadia Zanacchi
Mutter von Giulia

Auch Hanhui Huang reist jedes Jahr aus China an, um gemeinsam mit den anderen Angehörigen zu trauern. Seine Frau Jian Liu starb bei der Loveparade. Die Trauer sei überschattet von rechtlichen Auseinandersetzungen, die bis heute kein Ende gefunden haben, bedauert Huang. Deshalb verbindet er jeden Jahrestag mit Anwaltsbesuchen.

Neue Struktur für den 15. Jahrestag

Jürgen Thiesbonenkamp, ehemals Pfarrer in Rheinhausen und Sprecher des Kuratoriums der Stiftung Duisburg 24.7.2010, hält seit zehn Jahren die Andacht in der Salvatorkirche und die Ansprache bei der Gedenkfeier. „Für die Eltern ist die Begegnung wichtig“, sagt er. Wenn für jeden Verstorbenen eine Kerze entzündet wird, sei das „sehr emotional, sehr nah“.

Dr. Jürgen Thiesbonenkamp hält seit Jahren einfühlsam die Ansprache beim Gedenken für die Opfer der Loveparade.
Dr. Jürgen Thiesbonenkamp hält seit Jahren einfühlsam die Ansprache beim Gedenken für die Opfer der Loveparade. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Ein Jahr habe man jetzt Zeit, die Vorstellungen und Wünsche der Eltern mit den Bedürfnissen der Betroffenen und Traumatisierten in ein neues Konzept zu gießen, das dann den 15. Jahrestag überdauern kann. Die Stiftung laufe zwar 2025 aus, das bedeute aber nicht „das Ende des Gedenkens, die Stadt wird dann stärker in die Verantwortung genommen“. Der Oberbürgermeister habe mehrfach betont, dass der Termin gesetzt ist und die Gedenkstätte ein Ort ist, der bleibt.

Wichtig sei auch, dass man gemeinsam darüber wache, dass es in Duisburg keine Veranstaltung mehr geben wird, die zu so einer Katastrophe führen könnte. „Das ist die Botschaft dieses Ortes.“ Eines Ortes, der selbst auch des Schutzes bedarf: Seit wenigen Monaten ist ein Videosystem installiert, das vor Vandalismus schützen soll.

23 Glockenschläge erklingen zum Gedenken an die Opfer der Loveparade, aber auch zum Gedenken an Menschen, die durch Krieg viel Leid erfahren müssen.
23 Glockenschläge erklingen zum Gedenken an die Opfer der Loveparade, aber auch zum Gedenken an Menschen, die durch Krieg viel Leid erfahren müssen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

>> LOVEPARADE BESCHÄFTIGT JURISTEN WEITERHIN

Chronik der Loveparade-Katastrophe

.
. © dpa | dpa
Auch am vierten Jahrestags der Loveparade-Katastrophe am Donnerstag, 24. Juli, wird es  Gedenkfeiern geben. Vor der öffentlichen Gedenkfeier am Mahnmal trauern zwischen 15 und 17.30 Uhr die Hinterbliebenen sowie die Verletzten und Traumatisierten nacheinander an der Gedenkstätte im Tunnel und zwar allein! Für die Öffentlichkeit ist der Tunnel in dieser Phase gesperrt.
Auch am vierten Jahrestags der Loveparade-Katastrophe am Donnerstag, 24. Juli, wird es Gedenkfeiern geben. Vor der öffentlichen Gedenkfeier am Mahnmal trauern zwischen 15 und 17.30 Uhr die Hinterbliebenen sowie die Verletzten und Traumatisierten nacheinander an der Gedenkstätte im Tunnel und zwar allein! Für die Öffentlichkeit ist der Tunnel in dieser Phase gesperrt. © dpa | dpa
In seiner letzten Sitzung vor der Kommunalwahl hat der Duisburger Rat den Beigeordneten Wolfgang Rabe abgewählt. Er ist seit der Loveparade Katastrophe in seinem Amt umstritten gewesen.
In seiner letzten Sitzung vor der Kommunalwahl hat der Duisburger Rat den Beigeordneten Wolfgang Rabe abgewählt. Er ist seit der Loveparade Katastrophe in seinem Amt umstritten gewesen. © Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool | WAZ FotoPool
Dreieinhalb Jahre nach der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen beendet. Am 11. Februar 2014 gab sie bekannt, gegen welche mutmaßlich Verantwortlichen Anklage erhoben wurde.
Dreieinhalb Jahre nach der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen beendet. Am 11. Februar 2014 gab sie bekannt, gegen welche mutmaßlich Verantwortlichen Anklage erhoben wurde. © Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool | WAZ FotoPool
Großer Rummel bei der Pressekonferenz: Oberstaatsanwalt Michael Schwarz, Horst Bien (Leiter der Staatsanwaltschaft Duisburg) und Staatsanwältin Anna Christiana Weiler erläutern, wer auf der Anklagebank Platz nehmen wird und wer nicht: Sechs Mitarbeiter aus dem Baudezernat der Stadt, darunter Planungsdezernent Jürgen Dressler und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent sollen sich dafür vor Gericht verantworten.
Großer Rummel bei der Pressekonferenz: Oberstaatsanwalt Michael Schwarz, Horst Bien (Leiter der Staatsanwaltschaft Duisburg) und Staatsanwältin Anna Christiana Weiler erläutern, wer auf der Anklagebank Platz nehmen wird und wer nicht: Sechs Mitarbeiter aus dem Baudezernat der Stadt, darunter Planungsdezernent Jürgen Dressler und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent sollen sich dafür vor Gericht verantworten. © Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool | WAZ FotoPool
Rückblick: Was am 24. Juli 2010 als fröhliches Techno-Spektakel...
Rückblick: Was am 24. Juli 2010 als fröhliches Techno-Spektakel... © dpa | dpa
... rund um den ehemaligen Güterbahnhof in Duisburg begann,...
... rund um den ehemaligen Güterbahnhof in Duisburg begann,... © dpa | dpa
... endete in einer Tragödie: Der einzige Weg zum und vom Veranstaltungsgelände führte durch einen Tunnel an der Karl-Lehr-Straße. Dort...
... endete in einer Tragödie: Der einzige Weg zum und vom Veranstaltungsgelände führte durch einen Tunnel an der Karl-Lehr-Straße. Dort... © dpa | dpa
... entstand am Nachmittag ein so starkes Gedränge,...
... entstand am Nachmittag ein so starkes Gedränge,... © Peter Malzbender/WAZ FotoPool | Peter Malzbender
... dass es zu einer Massenpanik kam.
... dass es zu einer Massenpanik kam. © dpa | dpa
21 Menschen starben im Gedränge, mehrere Hundert  wurden verletzt, viele Besucher sind bis heute traumatisiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst wegen fahrlässiger Tötung gegen unbekannt.
21 Menschen starben im Gedränge, mehrere Hundert wurden verletzt, viele Besucher sind bis heute traumatisiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst wegen fahrlässiger Tötung gegen unbekannt. © dpa | dpa
25. Juli 2010, die erste Pressekonferenz im Rathaus der Stadt Duisburg nach der Katastrophe: Die Anwesenden - Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe, der stellvertretende Polizeichef Detlef von Schmeling, Lopavent-Chef Rainer Schaller und Oberbürgermeister Adolf Sauerland (v.l.) -...
25. Juli 2010, die erste Pressekonferenz im Rathaus der Stadt Duisburg nach der Katastrophe: Die Anwesenden - Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe, der stellvertretende Polizeichef Detlef von Schmeling, Lopavent-Chef Rainer Schaller und Oberbürgermeister Adolf Sauerland (v.l.) -... © Stephan Eickershoff/WAZFotoPool | WAZ FotoPool
... weisen eine Verantwortung für die Tragödie von sich.
... weisen eine Verantwortung für die Tragödie von sich. © dpa | dpa
Rainer Schaller kündigt an, nie wieder eine Loveparade zu veranstalten.
Rainer Schaller kündigt an, nie wieder eine Loveparade zu veranstalten. © Stephan Eickershoff/WAZFotoPool | WAZ FotoPool
Am 31. Juli 2010 findet in der Duisburger Salvatorkirche die zentrale Trauerfeier für die Loveparade-Opfer statt, zu der unter anderem Kanzlerin Angela Merkel sowie der damalige Bundespräsident Christian Wulff kommt.
Am 31. Juli 2010 findet in der Duisburger Salvatorkirche die zentrale Trauerfeier für die Loveparade-Opfer statt, zu der unter anderem Kanzlerin Angela Merkel sowie der damalige Bundespräsident Christian Wulff kommt. © REUTERS | REUTERS
Hannelore Kraft, zu diesem Zeitpunkt erst seit Kurzem NRW-Ministerpräsidentin, hält - selbst sichtlich bewegt - eine Rede und spricht den Angehörigen ihr Mitgefühl aus.
Hannelore Kraft, zu diesem Zeitpunkt erst seit Kurzem NRW-Ministerpräsidentin, hält - selbst sichtlich bewegt - eine Rede und spricht den Angehörigen ihr Mitgefühl aus. © REUTERS | REUTERS
Der Unglücksort an der Karl-Lehr-Straße...
Der Unglücksort an der Karl-Lehr-Straße... © dpa | dpa
... wird derweil zur Pilgerstätte für Trauernde. Nach der Trauerfeier in der  Salvatorkirche zieht ein Schweigemarsch zum Tunnel.
... wird derweil zur Pilgerstätte für Trauernde. Nach der Trauerfeier in der Salvatorkirche zieht ein Schweigemarsch zum Tunnel. © Dirk Bauer/WAZ FotoPool | WAZ FotoPool
September 2010: Ein Gutachten für das NRW-Innenministerium sieht die Verantwortung für die Sicherheit bei der Stadtverwaltung und dem Veranstalter Lopavent. Die Stadt Duisburg weist in ihrem Bericht jede Verantwortung zurück.
September 2010: Ein Gutachten für das NRW-Innenministerium sieht die Verantwortung für die Sicherheit bei der Stadtverwaltung und dem Veranstalter Lopavent. Die Stadt Duisburg weist in ihrem Bericht jede Verantwortung zurück. © REUTERS | REUTERS
18. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen gegen 16 mutmaßlich Verantwortliche auf: gegen den damaligen Einsatzleiter der Polizei sowie gegen Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters Lopavent. Sauerland und Lopavent-Chef Rainer Schaller gehören nicht zu den Beschuldigten.
18. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen gegen 16 mutmaßlich Verantwortliche auf: gegen den damaligen Einsatzleiter der Polizei sowie gegen Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters Lopavent. Sauerland und Lopavent-Chef Rainer Schaller gehören nicht zu den Beschuldigten. © dpa | dpa
11. Juli 2011: Die Loveparade hätte so nicht genehmigt werden dürfen, heißt es in einem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft.
11. Juli 2011: Die Loveparade hätte so nicht genehmigt werden dürfen, heißt es in einem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft. © dpa | dpa
Erst ein knappes Jahr nach der Katastrophe hat Oberbürgermeister Adolf Sauerland sich zum ersten Mal bei den Opfern entschuldigt:
Erst ein knappes Jahr nach der Katastrophe hat Oberbürgermeister Adolf Sauerland sich zum ersten Mal bei den Opfern entschuldigt: "Als Oberbürgermeister dieser Stadt trage ich moralische Verantwortung für dieses Ereignis", sagt er im Juli 2011. Nur wenige Tage später... © REUTERS | REUTERS
... bekräftigt er aber noch einmal seine Sicht der Dinge:
... bekräftigt er aber noch einmal seine Sicht der Dinge: "Die Verwaltung der Stadt Duisburg hat keinen Fehler gemacht, der ursächlich zu dieser schrecklichen Katastrophe geführt hat." Die Stimmen,... © REUTERS | REUTERS
... die eine Abwahl des Oberbürgermeisters fordern, sind da längst unüberhörbar. Eine Bürgerinitiative...
... die eine Abwahl des Oberbürgermeisters fordern, sind da längst unüberhörbar. Eine Bürgerinitiative... © REUTERS | REUTERS
... setzt ein Abwahlverfahren durch. Am 12. Februar 2012 stimmen die Duisburger Bürger mit großer Mehrheit für die Abwahl Sauerlands. Sein Nachfolger...
... setzt ein Abwahlverfahren durch. Am 12. Februar 2012 stimmen die Duisburger Bürger mit großer Mehrheit für die Abwahl Sauerlands. Sein Nachfolger... © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool | WAZ FotoPool
... Sören Link (SPD), der an 1. Juli 2012 zum neuen Oberbürgermeister in Duisburg gewählt wurde, verspricht den Opfern und Angehörigen am zweiten Jahrestag der Katastrophe rückhaltlose Aufklärung.
... Sören Link (SPD), der an 1. Juli 2012 zum neuen Oberbürgermeister in Duisburg gewählt wurde, verspricht den Opfern und Angehörigen am zweiten Jahrestag der Katastrophe rückhaltlose Aufklärung. © dpa | dpa
Link sagt:
Link sagt: "Es war eine einzigartige Tragödie". Der ersten Tragödie sei aber eine zweite gefolgt, "die quälend lange Zeit der Sprachlosigkeit in der Stadt". © dpa | dpa
Sommer 2013: Drei Jahre nach dem Unglück wird endlich...
Sommer 2013: Drei Jahre nach dem Unglück wird endlich... © dpa | dpa
... die Gedenkstätte am Ort der Katastrophe eingeweiht. Um...
... die Gedenkstätte am Ort der Katastrophe eingeweiht. Um... © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool | WAZ FotoPool
... die Gedenkstätte hatte es ein langes Tauziehen zwischen Opfergruppen und dem neuen Besitzer des Geländes, einem Möbelunternehmer gegeben.
... die Gedenkstätte hatte es ein langes Tauziehen zwischen Opfergruppen und dem neuen Besitzer des Geländes, einem Möbelunternehmer gegeben. © dpa | dpa
1/30