Duisburg. Vier Stolpersteine, die an Duisburger Opfer des Holocaust erinnern sollen, sind verschwunden. Was passiert sein könnte und was jetzt folgt.

In Duisburg erinnern über 300 Stolpersteine an Menschen, die während der Zeit des Zweiten Weltkriegs zum Opfer des Nationalsozialismus wurden. Vier Steine, die in Höhe der Koloniestraße 135 in Neudorf verlegt waren, sind jedoch seit ein paar Wochen verschwunden. Statt der goldglänzenden Plaketten liegen ein paar Steine im Gehweg.

Der Jugendring Duisburg, der sich organisatorisch um Stolperstein-Verlegungen in Duisburg kümmert, hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Denn in diesem Fall besteht der Eindruck, dass die Steine aus anderen Gründen verschwunden sind als es sonst der Fall war, sagt Lars Szalek. Es gehe vermutlich um Diebstahl.

Bereits 2019 hatte Martin Dietzsch, Forscher des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), aufgedeckt, dass zehn Stolpersteine spurlos verschwunden waren. Er hatte alle 300 verlegten Stolpersteine in ganz Duisburg aufgesucht und fotografiert. Minus zehn, von denen er nichts dokumentieren konnte, weil sie fehlen.

Stolpersteine in Duisburg: Zehn von ihnen verschwanden durch Bauarbeiten

Bei der Ursachenforschung stellte sich heraus, dass an den Standorten zumeist Bauarbeiten stattgefunden hatten. Die Wirtschaftsbetriebe betonten damals, dass es nicht ihre Baustellen waren, weil sie in der Regel im Straßenbereich und nicht auf den Gehwegen Arbeiten durchführen. Unklar ist daher, wer das Pflaster wegräumte.

Im aktuellen Fall gab es aber keine Baustelle auf der Koloniestraße, sagt Lars Szalek. Er befürchtet, dass hier Diebe am Werk waren. „Die Leute haben vermutlich gedacht, dass die Platten auf den Steinen was wert sind. Der Materialwert ist aber gering.“ 120 Euro kostet ein Stolperstein, der Hauptbestandteil ist Beton, obendrauf kommt eine dünne Messingplatte für die Gravur. Der Preis berücksichtigt außerdem die Kosten der Stiftung von der Recherche über die Anreise und Verlegung bis zur pädagogischen Begleitung von Besuchergruppen wie Schulklassen.

Stolpersteine erinnerten an vier Frauen, die 1943 in Auschwitz getötet wurden

Bei der betroffenen Familie, deren Steine verschwunden sind, handelt es sich um Rosa, Klara, Ida und Anna-Maria Atsch, die nach Auschwitz deportiert und 1943 umgebracht wurden. Nur von Anna-Maria war das Geburtsjahr 1918 eingraviert.

Laut Recherchen des WDR, der Standorte und Infos der Stolpersteine in Deutschland aus den analogen Stolpersteinakten des Künstlers Gunter Demnig sowie aus weiteren Archiven zusammengetragen hat, wurden die Gedenksteine für die vier Frauen 2006 verlegt.

Anna-Maria gehört laut WDR zur Gruppe der Sintizze und Romnja, die als „Zigeuner“ diffamiert und von den Nazis unterdrückt wurden. Sie ist 25 Jahre alt, als sie deportiert wird. Auch Rosa, Ida und Klara galten in der NS-Ideologie als „asozial“, wegen angeblicher „Gemeinschaftsfremdheit“ wurden sie ebenfalls verhaftet. Ida ist 24 Jahre alt, als sie deportiert wird, Klara 35, Rosa 66.

Die Historie der Familie Atsch ist unter anderem in einem Magazin über die Verfolgung der Duisburger Sinti festgehalten, die das Zentrum für Erinnerungskultur herausgegeben hat. Demnach waren Selma Atsch und ihre Angehörigen eine Artistenfamilie, Selma hatte vor dem Krieg einen Zirkusbesitzer aus dem Elsass geheiratet. Da sie als „Zigeuner“ galten, durften sie ab 1939 Duisburg nicht mehr verlassen, auch nicht für Auftritte. Weil sie nichts mehr verdienen konnten, mussten sie betteln und wurden so durch die NS-Rassenpolitik zu „Asozialen“ gemacht. Sie lebten mit 15 Familienmitgliedern in zwei Wohnwagen auf einem Stellplatz in Hamborn, von wo aus über ein Dutzend von ihnen, darunter auch die vier Frauen, von der Kripo festgenommen und deportiert wurden.

Mindestens 317 Stolpersteine in Duisburg verlegt

Insgesamt soll es in Duisburg mindestens 317 Stolpersteine geben, von deutschlandweit rund 85.000. Zuletzt wurde zur Erinnerung an den Neumühler Berufsmusiker Willi Martin Kahl ein Stein verlegt. Auch die vier fehlenden Steine sollen wieder dazukommen, betont Lars Szalek. Da sie aber neu gebaut werden müssen, werde das bis zu einem Jahr dauern.

Die Stadt Duisburg weist darauf hin, dass jeder Stolperstein-Pate werden kann. Dafür müsse man die Daten der Opfer ermitteln und einen Vorschlag für die Inschrift erstellen. Bei der Ermittlung biografischer Daten helfe das Zentrum für Erinnerungskultur, Anfragen können per Mail gestellt werden an zfe@stadt-duisburg.de. Die Koordination übernimmt der Jugendring, weitere Infos gibt es auf der Webseite: www.jugendring-duisburg.de

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>>STOLPERSTEINE IN DUISBURG

  • Die meisten der über 300 Stolpersteine in Duisburg erinnern an Menschen mit jüdischen Wurzeln.
  • Die zweitgrößte Gruppe ist die der Antifaschisten, also Duisburger, die als Gewerkschafter aktiv waren oder Parteien wie der KPD, SPD, SAP oder FAUD angehörten.
  • Auch Homosexuelle, Zwangsarbeiter, behinderte oder psychisch kranke Menschen, als „Zigeuner“ diffamierte Personen sowie „Arbeitsscheue“ wurden zum Opfer der NS-Diktatur.
  • Eine Karte verzeichnet alle 300 Stolpersteine, die bis 2019 in Duisburg verlegt wurden: Stolpersteine Duisburg, weitere Infos auf www.diss-duisburg.de

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