Duisburg. Ein neuer Stolperstein in Duisburg erinnert an ein Nazi-Opfer aus Neumühl. Der Musiker wurde 1940 in einer Gaskammer ermordet. Seine Geschichte.

Der Neumühler Berufsmusiker Willi Martin Kahl war 26 Jahre alt, als er 1934 mit der Diagnose Schizophrenie dauerhaft in die Heilanstalt Bedburg-Hau eingewiesen wurde. Seinen weiteren Lebens- und Leidensweg recherchierten in ihrem Stolpersteinprojekt Besucher und Besucherinnen sowie Mitarbeitende der Kontakt- und Beratungsstelle des Sozialpsychiatrischen Zentrums (SPZ) in Neumühl.

Bei der feierlichen Stolpersteinverlegung vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Kahl in der Wolframstraße fasste Christian Junghans, der Leiter des SPZ Nord zusammen, was seine Projektgruppe in mehrjähriger Recherche über Willi Kahl und andere Duisburger mit seelischen Behinderungen herausgefunden hat.

Duisburger verlegen Stolperstein für den Neumühler Musiker Wille Martin Kahl

Der junge Musiker stammte aus einer Bergarbeiterfamilie im niederschlesischen Kohlerevier rund um die Stadt Waldenburg. Die Familie Kahl war wie viele andere Bergleute dem Ruf ins Ruhrgebiet gefolgt, wo bessere Arbeitsbedingungen lockten. Sie wurde in Neumühl ansässig. Seit 1931 lebte Willi Kahl mit der Diagnose Schizophrenie, an anderer Stelle wurde ihm eine „Kopfgrippe“ bescheinigt.

Der neue Stolperstein vor dem damaligen Wohnhaus der Familie Kahl in der Wolframstraße.
Der neue Stolperstein vor dem damaligen Wohnhaus der Familie Kahl in der Wolframstraße. © Sabine Merkelt-Rahm

Er wurde entmündigt, sein gesetzlicher Betreuer wurde der damalige Rektor der Comenius-Schule. Drei Jahre nach seiner Diagnose und einigen Klinikaufenthalten kam er nach Bedburg-Hau. Dort griffen schon neun Monate später die unmenschlichen Maßnahmen der nationalsozialistischen Ideologie. Kahl wurde einer gerichtlich angeordneten Zwangssterilisation unterzogen.

Zwar hatte sein Betreuer mutig Widerspruch gegen den Eingriff eingelegt, aber vergeblich. Der Rassenwahn der Nazis vom sogenannten „erbgesunden Nachwuchs“ war Argumenten längst nicht mehr zugänglich. Man raubte Willi Kahl die Möglichkeit, Kinder zu haben. Damit nicht genug.

Kahl wurde von den Nazis in einer Gaskammer in Brandenburg ermordet

Kahl wurde sechs Jahre später im März 1940 in eine Tötungsstation in Brandenburg an der Havel deportiert und dort noch am selben Tag, vermutlich in einer Gaskammer, ermordet. Die Aktion T4, der Massenmord an 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in den Jahren 1940 und 1941 bildete den furchtbaren Höhepunkt der systematischen Verfolgung und Entrechtung von Menschen mit Behinderungen im Dritten Reich.

Jetzt erinnert also ein Stolperstein an Willi Martin Kahl. „Es ist gut, dass wir in Duisburg kontinuierlich Stolpersteine verlegen“, sagte Bürgermeisterin Edeltraud Klabuhn bei der gut besuchten Zeremonie, „die wach gehaltene Erinnerung ist ein wirksamer Schutz vor Ideologien, in denen Menschen verfolgt, gequält und ermordet werden.“

Stadtjugendring hat die Verlegung des Stolpersteins organisiert

Das Stolpersteinprojekt der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft arbeitete für die Recherche zu Willi Kahl und den vielen anderen Duisburger Opfern der Aktion T4 eng mit dem Zentrum für Erinnerungskultur und mit dem Kultur- und Stadthistorischen Museum Duisburgs zusammen. Organisiert werden die Stolpersteinverlegungen in Duisburg durch den Stadtjugendring.

Die Geschäftsführerin der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft (PHG) Duisburg, Birgit Richterich erinnerte an die schwierigen Lebensbedingungen psychisch erkrankter Menschen in der Coronazeit, in der auch das Stolperstein-Projekt seinen Anfang nahm. Sie freute sich besonders darüber, dass zwei Projektteilnehmer mit Psychiatrie-Erfahrung sich zum Thema äußerten.

Der Stadtjugendring hat die Verlegung des Stolpersteins organisiert.
Der Stadtjugendring hat die Verlegung des Stolpersteins organisiert. © PHG Duisburg gGmbH

Markus Bergs, der nach einer psychotischen Krise vor zehn Jahren inzwischen als Genesungsbegleiter bei der PHG arbeitet und Sebastiaan Weiden zogen Parallelen zur Gegenwart. „Ich sehe es als meine schwere Aufgabe, Vorurteile abbauen zu helfen, auch wenn ich dabei immer wieder Sachen gefragt werde wie: Bist du gefährlich? Du hast doch bestimmt früher Drogen genommen? Oder hattest du eine ganz schlimme Kindheit?“ sagte Bergs.

„Wie die Europawahl gezeigt hat, gibt es heute wieder viele Vertreter gefährlicher rechter Ideologien.“ Und Sebastiaan Weiden fügte hinzu: „Nazis töten! Man darf ihren Wahn der Perfektion nicht vergessen, wenn wir gemeinsam unsere Demokratie verteidigen wollen.“