Duisburg. In Duisburg gibt es nur vier Realschulen. Warum das System neben den großen Gesamtschulen und Gymnasien wichtig ist und wer profitieren kann.
Die Realschulen in Duisburg waren schon mal abgeschrieben, damals in den 90er Jahren, als der Gesamtschul-Hype begann. Aber Totgesagte leben länger und die vier Realschulen der Stadt sind stark nachgefragt. Warum Schüler, Eltern und Lehrer für die Schulform einstehen. Ein Besuch in der Karl-Lehr-Realschule in Wanheimerort.
In der Klasse 7 steht eine Klassenarbeit bevor. Die vorbereitende Übung sorgt für Jubelschreie und hochgereckte Arme: Mit der App Kahoot hat Lehrer Arne Gerland ein Quiz vorbereitet: Auf dem Whiteboard ploppen die Avatare von Celine, Boran, Jason und allen anderen auf, ein Countdown läuft und los geht‘s: „Woraus setzt sich der passive Bewegungsapparat zusammen?“ „Knochen, Knorpel, Bänder und Sehnen“ ist die richtige Antwort aus vier Möglichkeiten. Was ist der Meniskus und wo sitzt der Musculus Quadrizeps Femoris? Die Kinder beantworten nicht nur die Fragen, sondern bekommen auch anschauliche Hilfe: Gerland springt auf und zeigt auf den Muskel an seinem Oberschenkel, der für die Kniebeuge zuständig ist. Er holt aus einem Koffer Modelle von Gelenken, damit sein Kurs den Meniskus und andere Körperteile präzise verorten und benennen kann. Der Reaktion der Schüler ist anzumerken: Das macht er nicht, weil die Presse im Haus ist, sondern weil es so verständlich und einprägsam zugleich ist, Sprachbarrieren überwindet.
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Realschule mit Sport-Schwerpunkt
An dieser Realschule ist Sport ein Schwerpunkt, im Wahlpflichtbereich kann es als Hauptfach gewählt werden: Zwei Stunden Theorie und eine Stunde Praxis pro Woche, eine Klausur ist Pflicht. Die Kurse sind kleiner als die Klassen, da hat Gerland mehr Zeit für die Schülerinnen und Schüler. Corona habe bei den Siebtklässlern Spuren hinterlassen, findet er. Heftführung, Schriftbild, wie man einen Streit in einer Gruppe schlichtet, das Wissen fehle vielen, „erzieherische Aufgaben nehmen insgesamt zu“, sagt der Lehrer.
Er schätzt die digitalen Möglichkeiten: Skelette dreidimensional betrachten, in Geschichte Zeitzeugenberichte schauen oder virtuell durch Pyramiden gehen. „Das eröffnet neue Welten“, sagt Gerland begeistert, aber zum Trainieren des Schriftbilds greife er auch regelmäßig zu Stift und Papier.
Sporttalente an der Schule entdecken
Den Sportschwerpunkt gibt es erst seit dem Sommer, aber erste Talente hat Hannah Müller schon entdecken können. Die Lehrerin hat den neuen Wahlpflichtbereich mit hochgezogen. „Das läuft gut an, macht viel Spaß“, freut sie sich. Sie mag Realschulen, das System sei kleiner, „persönlicher als an Gymnasien oder Gesamtschulen“. Und es biete alle Möglichkeiten, vom Übergang in die Berufswelt bis zur Qualifikation für die Oberstufe und das Abitur.
Mit Blick auf die in Duisburg nicht so gut angenommenen Sekundarschulen betont sie, dass es eigentlich mehr Raum geben müsse für leistungsschwächere Kinder. „Sie müssen da abgeholt werden, wo sie sind.“ Auch die Größe des Systems könne einen Unterschied machen. Mit 600 Kindern könne man mehr Nähe schaffen als mit 1200. „Ich kenne fast alle Schüler mit Vor- und Zunamen“, betont Hannah Müller. „Durch das persönliche System werden wir den Kindern eher gerecht. Hier stehen einem alle Türen offen, bis zum Abitur.“
„Das ist hier nicht so abgehoben“, ergänzt Kollegin Laura Keuenhoff. „Ich mag die Schülerschaft, ich mag es, Elternarbeit zu leisten, erzieherisch tätig zu sein“, so die Lehrerin für Germanistik und Anglistik. Der Quereinsteigerin fehlt noch ein bisschen die soziale Durchmischung am Standort, „aber wir sind jetzt sportbetonte Schule, das spricht sicher noch mehr Eltern an“.
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Schüler loben: Lehrer können gut erklären
Die Schüler scheinen sich wohl zu fühlen, altersübliche Faxen hier, ein heimliches Foto vom Lehrer von der Seite, leises Flüstern, lautes Lachen, Fingerschnipsen. Kerem (12) sieht man die gute Laune an, die das Quiz gerade verbreitet hat. Er lässt sich lobend über „die guten Lehrer“ aus: „Sie denken an uns Schüler, bereiten uns gut auf Klausuren vor.“
Klassenkameradin Miley lobt, dass „die Lehrer gut erklären können“. Da ihre Mama auch schon diese Schule besucht hat, habe sie nach der Grundschule nicht lange überlegt, berichtet die 12-Jährige. Als Schülersprecherin will sie jetzt für eine Cafeteria kämpfen. „Meine Freundin geht zur Gesamtschule Süd, die haben sowas“, erzählt sie.
Eltern schätzen den engen Draht zu den Lehrern
Maria-Stella Riga, die Schulpflegschaftsvorsitzende, setzt an der Realschule ebenfalls eine Familientradition fort, auch sie war selbst Schülerin an der Schule. Ihr älterer Sohn wäre an einer Gesamtschule untergegangen, glaubt Riga. Er hat ADHS und bekommt hier die Aufmerksamkeit, die er braucht, sagt sie. Und wenn es hakt, suchen die Lehrer schnell das Gespräch mit den Eltern, zimmern an Lösungen. Positiv findet sie auch, dass die Schule bis halb drei geht, „dann haben sie noch Freizeit“.
Wenn Eltern sie nach Vorteilen fragen, dann lobt sie immer den engen persönlichen Kontakt zu den Lehrern. Das übersichtliche System mache zudem den Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule leichter.
Schulformsprecher: Duisburg könnte eine weitere Realschule gut vertragen
Überzeugt von seiner Schulform ist auch Schulleiter Stan Orlovic. Er glaubt, dass in den Köpfen mancher Grundschulleiter immer noch der Beschluss präsent ist, dass die Realschulen geschlossen werden. „Offiziell gibt es den auch immer noch“, aber gültig sei er so nicht mehr. Es habe Signale aus dem Schulamt gegeben, dass eine fünfte Realschule denkbar sei. „Wir arbeiten daran.“ 93 interessierte Familien allein an seinem Tag der offenen Tür zeugen jedenfalls von Interesse.
Die Kooperation mit den Gymnasien sei gut. „Wir fangen die Schulformwechsler auf und die Gymnasien nehmen nach der 10 unsere Kinder.“ Umgekehrt gab es zuletzt auch Lob von der Schulformsprecherin der Gymnasien, die betonte, dass die Realschulen gute pädagogische Arbeit leisten. An der Karl-Lehr-Realschule würden rund 60 Prozent die Qualifikation für die Oberstufe bekommen. „Viele gehen danach an ein Berufskolleg, wenige direkt in eine Ausbildung“, so Orlovic.
Nur ganz wenige Kinder der Realschulen würden pro Jahrgang abgeschult. Für sie gibt es nur die Hauptschule in Walsum oder eine der beiden Sekundarschulen. In der Regel setze man eher darauf, die Erprobungsstufe um ein Jahr zu verlängern. „Wir haben Kinder mit einer Hauptschul-Empfehlung, die nachher die Quali machen“, betont der Schulformsprecher. Das kleinere Realschulsystem mache solche Entwicklungssprünge möglich.
>>WÜNSCHE UND HERAUSFORDERUNGEN DER REALSCHULEN
- Realschulen, die als Schule des Gemeinsamen Lernens fungieren, haben Kinder mit allen Förderbedarfen in den Klassen sitzen. „Wir haben die Ressourcen dafür weder personell noch sachlich“, betont der Schulformsprecher. Hier gebe es Nachholbedarf.
- Für Schulleiter Stan Orlovic ist zudem klar, dass jeder Standort Schulsozialarbeiter braucht, „nicht nur als kapitalisierte Lehrerstellen, sondern on top!“
- Die Digitalisierung schreite an allen Schulen voran, deshalb seien fortlaufend Fortbildungen nötig. „Das System Schule wird in zehn Jahren total anders aussehen.“