Duisburg.. Frühstücksbistro, Kneipe, Beratungsstelle, Zahnarztpraxis: Die blaue Trinkhalle an der Amtsgerichtsstraße in Ruhrort ist von allem ein bisschen. Für Stephan Killewald ist das traditionsreiche Büdchen ein Neuanfang. Die WAZ sucht Duisburgs schönste Bude.
Es ist ein kleinteiliges Geschäft, sagt Stephan Killewald. Weingummidrachen und Lakritzschnecken abzählen für die bunte Tüte. Brötchen mit Leberwurst schmieren für die frühen Vögel. Zigaretten ausgeben, auch einzelne, für die, die sich keine ganze Schachtel mehr leisten können. Und natürlich: zuhören.
Der Mann, der seit Oktober hinter dem Tresen des blauen Würfels in der Amtsgerichtsstraße Bonbons und Bier verwaltet, hat selbst viel erlebt. Vielleicht hat er darum so viel Sinn für die Geschichten, die ihm durch das kleine Fenster seiner Bude gereicht werden wie 10-Cent Stücke.
Ein Stück Ruhrort für 4000 Euro
„Ich hätte nicht gedacht, dass eine Bude für so viele Menschen so viel Heimat ist“, sagt Stephan Killewald. Heimat, die bis in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurückreicht; die während des Dritten Reiches Bombenangriffe überstanden und in den Nachkriegsjahren Vandalismus und immer wieder Renovierungen über sich hat ergehen lassen. Heimat, die der 49-jährige Schreiner Killewald und seine Frau Andrea Geserick, Schnittdirectrice bei einem großen Textilunternehmen, in einem Spontanentschluss gekauft haben. Ein Stück Ruhrort für 4000 Euro. „Das war eine völlige Bauchentscheidung“, sagt Andrea Geserick. „Meine Idee.“
Auch interessant
Mit knallharten Folgen für ihren Mann - denn jemand musste ja den Laden schmeißen. „Ich habe meinen Job gekündigt.“ Stephan Killewald erzählt das wie einen Lausbubenstreich. „Jetzt sitz’ ich hier von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends.“ Pause. „Sie sehen ja, was ich manchmal mache.“ Zeigt auf das Solitairespiel auf seinem Tabletcomputer. Der Umsatz, sagt Killewald, könnte besser sein. So eine Trinkhalle braucht Zeit. „Ich habe schon viele Sachen gemacht. Aber ich war noch nie so überzeugt von etwas, wie von dieser Bude.“ Das sagt Killewald auch.
Morgens Kaffee und abends Pils
Und so verkauft der Herr des Büdchens morgens Kaffee und abends Pils und zwischendurch so allerlei. An Monika*, die gerade angeschlurft kommt aus dem Haus gegenüber und ein Hanuta verlangt. „Ich hab nur 20 Cent. Den Rest bring ich Dir morgen um eins, Ok?“ Ok, Killewald kennt Monika. „Ich weiß, auf die kann ich mich verlassen.“ Auf andere nicht. Darum darf bei Killewald auch nicht jeder anschreiben lassen. Er zieht ein Büchlein aus dem Regal, darin stehen Namen und Listen. Nie über 20 Euro, lautet eine goldene Budenregel. Die andere: Lass Dich nicht übers Ohr hauen.
„Manchen treffe ich täglich, den Wolle* mit Hund, den Kai*, Alkoholiker, ein netter Kerl, die Gaby*, die kommt oft im Schlafanzug.“ Man lernt hier. „Wenn einer gar nichts hat, hat er immer noch ‘n Hund.“ Und: „Den Schnitt durch die Gesellschaft erkennst Du an den Zähnen.“ Hajo*, der sich einen Klaren an der Bude holt, um seine Schmerzen wegzuspülen: „Ich bin kein Zahnarzt, aber irgendwie doch“, sagt Killewald und kratzt sich am Ohr. Leben in der Bude: „Zum Einjährigen wollen wir feiern“, sagt das Paar. Mit Würstchen und einem Clown für die Kinder. Mit Monika und Hajo und so allerlei. Vielleicht sogar mit Gewinn. (*Namen geändert)
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.