Duisburg. Islam als Ideologie: Ein junger Mann spricht über seine Zeit als Salafist, und erhebt schwere Vorwürfe gegen einen Duisburger Moscheeverein.

Wenn der Glaube zur Ideologie wird: Sieben Jahre ist es her, dass Ahmet (Name geändert) in den Bann radikaler

Islamisten
geriet. In einer
Duisburger Koranschule
fand er eine spirituelle Gemeinschaft, bevor er jeden Halt im Leben verlor. Trotzdem gelang Ahmet der Ausstieg. Jetzt will er warnen, und erzählt seine Geschichte – eine Geschichte von jugendlicher Selbstfindung und vollkommener Unterwerfung.

Ahmet ist kaum anzumerken, dass er noch immer unter Schlafstörungen und Alpträumen leidet. Der 22-Jährige wirkt klug und eloquent, hat ein lockeres Auftreten. Man spürt jedoch seinen Groll, wenn er über die Menschen spricht, die ihn jahrelang manipuliert haben sollen.

Reisebüro in Duisburg-Rheinhausen soll Kämpfer an den IS vermittelt haben

Die Geschichte seiner Radikalisierung beginnt, als er ein Teenager ist. „Mit 14, 15 Jahren“ wünscht sich Ahmet mehr Spiritualität im Leben. Seine aus Afghanistan stammende Familie ist durchaus religiös, aber nicht streng – die Frauen tragen kein Kopftuch, Beten ist kein Muss. „Ich war jung, idealistisch und voller Tatendrang“, sagt Ahmet über seinen Antrieb, sich intensiver mit dem Islam auseinanderzusetzen.


Fündig wird er im Internet. Im virtuellen Raum trifft er Menschen, die dasselbe suchen – und solche, die Antworten versprechen. Manche sind gemäßigt, einige radikal, predigen den Dschihad, den „Heiligen Krieg“.

Mit Gewalt habe er nichts anfangen können, „aber religiös war ich schnell mit denen auf einer Ebene“. Künftig treibt ihn ein Gedanke an: „Unser Islam ist der einzig richtige Islam; jeder, der etwas anderes sagt, ist kein Muslim.“

Ahmet ist davon überzeugt, dass Muslime in Deutschland unterdrückt werden, und dass er Islam und Scharia voranbringen muss.

In den folgenden Monaten hat er nicht nur virtuelle, sondern erstmals auch persönliche Kontakte in die islamistische Szene – nicht in Oberhausen, wo er seit früher Kindheit lebt, sondern in Duisburg. Ein paar Mal besucht er ein Reisebüro in Rheinhausen, das auch Kämpfer für den IS anwirbt. Dieses Umfeld sei ihm aber zu gewaltorientiert gewesen, sagt Ahmet.

Gewand und Bart als Bekenntnis zur salafistischen Lehre

2017 nimmt ein Freund ihn mit zu einem Vortrag nach Duisburg. Beim „Internationalen Kulturverein“ in Hochfeld erlebt Ahmet zum ersten Mal, wie ihm Prediger von Angesicht zu Angesicht den Islam „erklären“. Er nimmt das als intellektuelles Umfeld wahr – Religion als Mittelpunkt des Lebens, ohne Gewalt, dafür mit viel Sinn für Gemeinschaft. Sein Freund fühlt sich nicht angesprochen, aber Ahmet kommt wieder.

„Für mich ging es religiös richtig nach vorne“, sagt er, „ich habe Arabisch gelernt und wie man den Koran richtig liest.“

Zum Beten fährt er fortan nach Hochfeld, sieht in anderen Moscheen Orte für Ungläubige. Auch optisch passt sich Ahmet dem neuen Umfeld an. Er trägt lange Gewänder, rasiert seinen Bart nicht mehr. Er bekommt auch einen neuen arabischen Namen. Als seine Familie deutlich ihre Sorge um ihn äußert, zieht er sein Gewandt erst im Zug nach Duisburg an.

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Die Madrasa Al Furqan, wie sich der Verein nennt, leitet zu diesem Zeitpunkt ein zum Islam konvertierter Deutsch-Italiener.

Ahmet beschreibt ihn als charismatischen Typen, der mit seiner lässigen Sprache gerade bei Jugendlichen gut ankommt. Ein bisschen verrückt tritt er auf, ordnet Menschen bestimmte Tiere zu. Sich selbst sieht er als Oktopus. Für Kursangebote verwendet er modern klingende Begriffe wie „Business Coaching“ oder „Personal Training“.

60-Stunden-Wochen im Einsatz für Duisburger Moscheeverein

Die Kurse und Vorträge ziehen Ahmet tiefer in die salafistische Blase: „Man isoliert sich vor allem wertemäßig und lehnt die Standpunkte anderer Muslime und der restlichen Gesellschaft ab.“

Nach den Vorträgen finden „Brüder-Runden“ statt; Männer sitzen zusammen und sprechen über das Gelernte. Ahmet hat jetzt eine Gemeinschaft, der er sein ganzes Leben widmet: „Ich habe alles getan, worum man mich gebeten hat. Ich habe als Sekretär gearbeitet und die Koranschule organisiert, aber auch die Räume geputzt.“ Er spricht von 60-Stunden-Wochen im Einsatz für die Madrasa Al Furqan – über mehr als zwei Jahre.

Irgendwann wächst bei Ahmet die Unzufriedenheit: „Ich hatte das Gefühl, nichts erreicht zu haben. Religiös war alles super, aber ich hatte keine Ausbildung und kein Studium abgeschlossen und habe immer noch bei meinen Eltern gewohnt.“

Auch die Beziehung mit einer Frau bringt ihn in innere Konflikte – heiraten oder loslassen, was anderes sieht seine Glaubenslehre nicht vor. Er rutscht in eine Depression.

Unterstützung habe er in dieser Phase nicht bekommen, sagt Ahmet. Stattdessen habe man ihm eingeredet, von einem Dämon besessen zu ein, einem „Dschinn“, wie es auf Arabisch heißt: „Ich habe das geglaubt und mich einem Exorzismus unterzogen.“ In dieser Zeit habe er jede Selbstbestimmung verloren: „Ich habe nur noch auf andere gehört. Man hat mir gesagt, mit wem ich mich treffen soll und mit wem nicht, was ich tun soll und was nicht.“

Duisburger Ex-Salafist berichtet von Drohungen und Verleumdungen

Dass er sich letztlich doch von der Moschee und der salafistischen Ideologie lösen konnte, macht Ahmet an zwei Entwicklungen fest.

„Zuerst habe ich angefangen, mich außerhalb des Vereins religiös weiterzubilden. Dadurch habe ich erst gemerkt, dass es tatsächlich so etwas wie den Salafismus gibt. Vorher war ich davon überzeugt, das sei nur ein Kampfbegriff von Islam-Feinden.“ Er habe begriffen, wie der Salafismus alle Menschen ausgrenzt, die sich nicht nach dessen Regelwerk verhalten.

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Ungefähr zeitgleich fängt er an, Kampfsport zu betreiben. „Sport soll gut gegen Depressionen sein, also habe ich das mal ausprobiert. Der Trainer hat mir mir neues Selbstvertrauen gegeben und gezeigt, dass ich zu mehr in der Lage bin.“

Ahmets schrittweiser Rückzug aus der Moschee sei jedoch nicht ohne Widerstand abgelaufen. Menschen aus dem Verein hätten in seinem engsten Umfeld Lügen über ihn verbreitet, berichtet er. „Es wurde behauptet, dass ich mit Drogen und Prostitution zu tun habe. Das haben Leute geglaubt, sogar in meiner Familie.“ Man habe Ahmet damit gedroht, ihn „zu vernichten“.

Der „Internationale Kulturverein“ ist dem Verfassungsschutz bekannt

Die Madrasa Al Furqan streitet die Vorwürfe entschieden ab – und sieht sich selbst als Opfer. Die Anschuldigungen seien haltlos und dienten nur dem Zweck, dem Ruf des Vereins zu schaden, teilt dieser auf Anfrage der Redaktion mit. Weiter möchte man sich öffentlich nicht äußern.


Der Verfassungsschutz bestätigt die salafistische Ausrichtung der Moschee. Sie spiele jedoch in der Duisburger Szene „eine untergeordnete Rolle“, erklärt ein Sprecher des Landesinnenministeriums. Auch der Duisburger Polizei ist der Verein in diesem Zusammenhang bekannt. Sprecher Stefan Hausch fügt aber hinzu: „Es gibt keine aktuellen Hinweise, dass von dort Gefahr ausgeht.“

Im Internet findet sich ein kurzes Werbevideo. Es stellt die neuen Räumlichkeiten vor, die der Verein vor kurzem bezogen hat. Der knapp achtminütige Clip zeigt aufmerksame Kinder im Koranunterricht, später fröhliche Gesichter beim gemeinsamen Grillen. Im Hintergrund läuft Gesang in arabischer Sprache. Gleich zu Beginn wird ein Hinweis eingeblendet: „Achtung! Bitte dieses Video nicht in den öffentlichen Medien teilen.“

„Manipulative Tricks“ – Gefahr durch Duisburger Koranschule?

Der Sprecher des Videos ruft zu Spenden auf: „Sammelt auch im Familien- und Freundeskreis für dieses gesegnete Projekt. Es geht um unsere Kinder, unsere Zukunft.“ Demnach hat die Madrasa Al Furqan rund 200 Schüler, „die von professionell ausgebildeten Lehrern unterrichtet werden“.

Die Gefahr des Vereins sei gerade für Kinder und Jugendliche groß, meint Ahmet, „weil die am wenigsten Rüstzeug haben, um das alles in Frage zu stellen.“ Auch die Eltern wüssten oft nicht genau, wo sie ihre Kinder da überhaupt hinschicken: „Nach außen wird so getan, als sei es eine normale Koranschule. Aber mit den immer gleichen manipulativen Tricks werden die Jugendlichen isoliert und in der salafistischen Gedankenblase fixiert.“

Mittlerweile habe er einen Zugang zum Glauben gefunden, der ihn zufrieden leben lässt, sagt Ahmet. „Religiös hat sich eigentlich gar nicht so viel verändert. Aber ich sehe meinen Glauben nicht mehr so ideologisch.“ Ein Dreivierteljahr Jahr nach seinem Ausstieg gebe es noch immer Drohungen durch die einstigen Freunde. Einschüchtern lassen wolle er sich aber nicht: „Das ist ja genau das, was die wollen.“


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