Duisburg. In der nächsten Woche trauern beim neunten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe wieder zahlreiche Hinterbliebene bei der Gedenkfeier in Duisburg.

Der neunte Jahrestag der Loveparade-Katastrophe steht in der kommenden Woche an. Die interessierte Bürgerschaft kann im Rahmen zweier öffentlicher Zeremonien wieder jener 21 junger Menschen gedenken, die am 24. Juli 2010 am Fuße der Rampe im Karl-Lehr-Tunnel ums Leben gekommen waren.

Am Jahrestag selbst gibt es ab 17 Uhr die öffentliche Begegnung an der Gedenkstätte im Tunnel. „Eltern und Hinterbliebene von etwa zwei Dritteln der 21 Opfer wollen persönlich nach Duisburg kommen – darunter die Angehörigen aller ausländischen Verstorbenen“, sagte Jürgen Widera, Pfarrer und Vorstandsmitglied der Stiftung „Duisburg 24.7.2010“. Zu 18 der betroffenen Familien habe man in den vergangenen neun Jahren Verbindungen aufgebaut und gepflegt, nicht alle wollen und können am nächsten Dienstag und Mittwoch vor Ort sein, weil einige das nach wie vor emotional überfordere, weiß Widera. Drei Opferfamilien aus Deutschland hätten von Beginn an jegliche Kontaktaufnahme abgelehnt. Und das bis heute.


An der Gedenkstätte in Duisburg erklingen am Jahrestag wieder Glockenschläge

Bei der Zeremonie selbst setzen die Organisatoren auf „Kontinuität ohne Routine“, wie es Jürgen Thiesbonenkamp, der Sprecher des Stiftungskuratoriums, beschreibt. Eltern und Angehörige können an jenem Ort, an dem ihre Liebsten einst im tödlichen Gedränge verstorben waren, gemeinsam trauern. Seit drei Jahren darf auch die Öffentlichkeit in diesem intimen Moment dabei sei, nur Film-, Bild- und Tonaufnahmen sind untersagt. Es werden wieder 22 Glockenschläge erklingen – einer für jedes Opfer und einer für die Verletzten und Traumatisierten der Katastrophe. Die musikalische Begleitung übernehmen diesmal Judith und Norbert Schneider vom Akkordeon-Orchester Rheinhausen 1950. „Wir wollen ein würdiges Gedenken gestalten“, so Thiesbonenkamp.


„Nacht der 1000 Lichter“ lockt am Vorabend des Jahrestages in den Karl-Lehr-Tunnel

Die „Nacht der 1000 Lichter“ steigt stets am Vorabend des Jahrestages der Loveparade-Katastrophe an der Gedenkstätte im Duisburger Karl-Lehr-Tunnel.
Die „Nacht der 1000 Lichter“ steigt stets am Vorabend des Jahrestages der Loveparade-Katastrophe an der Gedenkstätte im Duisburger Karl-Lehr-Tunnel. © Funke Foto Services | Jakob Studnar


Am Abend zuvor steigt wie gewohnt die „Nacht der 1000 Lichter“, die vom Verein Bürger für Bürger organisiert wird. Rolf Karling und seine Mitstreiter werden ab 16 Uhr bis zum späten Abend an der Gedenkstätte sein. Die 1000 Kerzen wurde wie bereits in den Vorjahren auch diesmal wieder von einem Hamburger Unternehmen gespendet. Viele Betroffene kämen lieber zur Nacht der 1000 Lichter als zur Gedenkfeier, so Karling, weil die Atmosphäre da eine andere, eine ruhigere sei. Ab 20 Uhr wird es wieder einen Gottesdienst in der Salvatorkirche geben. Dieser ist aber ausschließlich für die Familien und Angehörigen gedacht, nicht aber für die Öffentlichkeit. Von dort aus machen sich die meisten Hinterbliebenen noch auf dem Weg zur „Nacht der 1000 Lichter“.

Loveparade-Prozess in Düsseldorf geht weiter

Viele der betroffenen Eltern hat der bisherige Verlauf des Loveparade-Prozesses arg frustriert. Inzwischen wurde das Verfahren gegen sieben der insgesamt zehn Angeklagten eingestellt (wir berichteten) – darunter alle sechs angeklagten Mitarbeiter der Stadt Duisburg. Verhandelt wird noch gegen drei Beschäftigte des Loveparade-Veranstalters Lopavent. Auch ihr Verfahren wäre bei Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 10.000 Euro eingestellt worden, hatten die Richter nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Duisburg in Aussicht gestellt. Das lehnten die Anwälte des Trios aber ab, so dass seitdem der Prozess mit verringertem Angeklagtenkreis fortgeführt wird.

„Viele Eltern der Opfer schauen bereits auf das Jahr 2020“, weiß Thiesbonenkamp. Denn dann endet die Verjährungsfrist in diesem komplexen und umfangreichen Verfahren. „Wird der Prozess dann einfach eingestellt? Oder gibt es kurz vor der Verjährung doch noch ein erstinstanzliches Urteil? Diese Fragen beschäftigen die Angehörigen nach wie vor sehr“, weiß auch Pfarrer Widera.

Frühere NRW-Ministerpräsidentin Kraft hatte stets engen Kontakt zu Hinterbliebenen

Ob auch diesmal Hannelore Kraft mit den Hinterbliebenen trauern werde, wisse er noch nicht, sagte Widera. Die frühere NRW-Ministerpräsidentin hatte sich in all den Jahren sehr um die Angehörigen gekümmert und zu vielen ein persönliches Verhältnis aufgebaut. Anders als der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland hatte Kraft vom Tag der Katastrophe an die nötige Empathie und Courage aufgebracht, um auf die Angehörigen zuzugehen und ihr Mitgefühl auszudrücken. Bei den bisherigen Gedenkfeiern war sie in all den Jahren zugegen.

Zu im Internet kursierenden Gerüchten, die Stiftung würde im kommenden Jahr ihre Arbeit einstellen, sagte Jürgen Widera: „Das stimmt nicht! Unsere Arbeit war bei der Stiftungsgründung 2015 zunächst auf zehn Jahre angelegt. Bis 2025 machen wir also mindestens weiter.“

Vandalismusschäden an der Gedenkstätte sind spürbar zurückgegangen

Die Pflege der Gedenkstätte übernimmt im Auftrag der Stiftung die Gesellschaft für Beschäftigungsförderung.
Die Pflege der Gedenkstätte übernimmt im Auftrag der Stiftung die Gesellschaft für Beschäftigungsförderung. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich


Zu den Kernaufgaben der Stiftung zählte bislang auch die Pflege der Gedenkstätte im Tunnel. Diese Aufgabe wird nun von der städtischen Gesellschaft für Beschäftigungsförderung (GfB) übernommen. Die Zahl der Vandalismusschäden sei in den vergangenen zwölf Monaten stark zurückgegangen, so die Stiftung. Derzeit wird noch vor dem Jahrestag versucht, seltsame Flecken zu entfernen, die auf und neben der Gedenkplatte entdeckt wurden.

Ulrike Stender aus dem Vorstand der Stiftung „Duisburg 24.7.2010“ hat einen Großteil der bislang 134 Verhandlungstage im Loveparade-Prozess in der Messe Düsseldorf mitverfolgt. Zuletzt seien Polizisten aller Hierarchieebenen und Lopavent-Beschäftigte vernommen worden.

Dabei sei zum Vorschein gekommen, so Stender, dass der umstrittene Schichtwechsel unter den Polizeibeamten, der ausgerechnet während der Hauptankunftszeit der Besucher am Veranstaltungsgelände stattfand, aufgrund eines Erlasses des NRW-Innenministeriums vollzogen werden musste. Die Polizisten selbst wollten an dem Veranstaltungstag lieber einen extrem langen Einsatz von morgens bis in die Nacht absolvieren, um die personelle Kontinuität zu gewährleisten. Da eine Arbeitsschicht aber maximal zwölf Stunden betragen dürfe, schritt das Innenministerium ein und verfasste den Erlass zum Schichtwechsel.

Prozessbegleiterin der Stiftung schildert ihre Eindrücke vom Verfahren

Zudem sei bei den Vernehmungen herausgekommen, dass viele Polizisten im Vorfeld Bedenken gegen die Durchführung der Loveparade angemeldet hätten, damit aber bei den Verantwortlichen nicht durchgedrungen seien, schildert Stender ihre Prozessbeobachtungen.

Die Maßnahme der Einrichtung von Polizeiketten auf der Zugangsrampe sei von vielen Beamten verteidigt worden, so Stender. So sollte der Zufluss zum Gelände gestoppt werden, um den mit Menschen überfüllten Bereich am Kopf der Zugangsrampe freizumachen. Gleichzeitig sollte aber auch der Zufluss von den Straßen in den Tunnel durch die Vereinzelungsanlagen gestoppt werden. Diese hielten aber dem gigantischen Ansturm ab einem gewissen Zeitpunkt nicht stand. So drängten immer mehr Menschen in Richtung Rampe, wo es kein Fortkommen aufs Gelände mehr gab und so das tödliche Gedränge entstand.