Duisburg-Homberg. Dirk Lachmann hat zum Thema Zwangsarbeit geforscht. Dabei erscheint die Rolle des damaligen Zechendirektors wichtiger, als er zugeben wollte.
Heinrich Kost ist einer der Großen des deutschen Bergbaus. Als führendes Mitglied der bergbaulichen Verbände und als Generaldirektor der Deutschen Kohlenbergbau-Leitung (DKBL) hat er die Entwicklung des Deutschen Bergbaus maßgeblich geprägt. Beschrieben wird Kost als fleißige, fachlich kompetente, selbst- und standesbewusste, charakterstarke, pflicht- und verantwortungsbewusste und dem Gemeinwohl verpflichtete Persönlichkeit“. In seiner Charakterisierung im LVR-Portal Rheinische Geschichte lobt Stefan Przigoda auch Offenheit, Humor und Kosts verbindliches Auftreten, das bei aller Härte in der Sache doch manche Interessengegensätze hätte überbrücken können. Mehrfach wurde Kost ausgezeichnet, unter anderem zwei Mal mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik und der Ehrenbürgerwürde Hombergs. Über seine Rolle im Nationalsozialismus hat Kost im Entnazifizierungsprozess nach dem zweiten Weltkrieg aber nicht ganz die Wahrheit gesagt, so dass seine Karriere bruchlos verlaufen konnte.
Erst das Hinsehen, so heißt es, macht die Seele frei
Diese Rolle steht im Mittelpunkt des neuen Kapitels zum Thema Zwangsarbeit in der Reihe „Homberg unterm Hakenkreuz“, mit dem sich Dirk Lachmann vom Freundeskreis Historisches Homberg beschäftigt hat. Der 80-Jährige, der für die SPD viele Jahre, zuletzt bis 2004 als Fraktionschef im Stadtrat saß, befasst sich schon mit dem nächsten Kapitel, der Euthanasie.
Für den pensionierten Lehrer, der Kontakte zum Franz-Haniel-Gymnasium und der Erich-Kästner-Gesamtschule pflegt, ist das Forschungsprojekt vor allem ein pädagogisches Anliegen. Der Blick auf die Lokalgeschichte könne durch ihre Nähe und den direkten Bezug besonders lehrreich sein. Eine abstrakte Beschäftigung mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten sei dagegen so gut wie wertlos. Die Beschäftigung ist für ihn umso drängender, weil Rechtsextremismus und Alltagsrassismus zunehmen. Für Lachmann ist ein Zitat des Pädagogen Theodor Litt leitend: „Nicht das Wegsehen, sondern das Hinsehen macht die Seele frei.“
In der Geschichtsschreibung war das Thema Zwangsarbeit im Nationalsozialismus über viele Jahrzehnte ein blinder Fleck. Auch bei Entschädigungszahlungen gingen Opfer, die weder aus politischen noch aus rassistischen Gründen gelitten haben, lange weitgehend leer aus.
Die Quellenlage ist dünn
Die Quellenlage ist dünn und das aus mehrfachem Grund. Himmler hatte angeordnet, die Akten zu vernichten, viele Unterlagen gingen bei den Bombenangriffen der Alliierten verloren, weitere, um sich in den Entnazifizierungsprozessen nicht zu belasten und schließlich sind im Laufe der Jahrzehnte die meisten Zeugen gestorben. Und es gibt auch Problemfälle, Gefälligkeitsgutachten, damit ein Belasteter doch noch einen Persilschein bekommt und damit als unbelastet gilt. Man geht von insgesamt rund 12 Millionen Zwangsarbeitern in Deutschland aus, von denen 2,5 Millionen starben. Im Altkreis Moers seien über 900 Todesopfer beurkundet. „Damit ist es die größte Opfergruppe, noch weit vor der Zahl der von hier stammenden ermordeten Juden“, betont Lachmann.
Besonders auffällig ist das Totschweigen der Schicksale der Arbeitssklaven in den Publikationen des Bergbaus. Die Veröffentlichungen werden in der Regel vom Stolz auf den technischen Fortschritt und die unternehmerische Leistung getragen. Das spiegelt sich auch in der 1957 erschienenen Festschrift zu 100 Jahre Rheinpreußen wider, in der dieses Kapitel ausgespart bleibt. Lachmann sieht für dieses Tabu mehrere Gründe: Untertage waren die Arbeitsbedingungen besonders brutal, hier wurden vor allem Russen eingesetzt, die in der Hierarchie der Zwangsarbeit ganz am Ende standen und besonders menschenverachtend als Untermenschen und Sklaven behandelt wurden. Nachweislich 558 Russen starben im Altkreis.
Heinrich Kost spielte eine zentrale Rolle. Der Bergwerksdirektor und Wehrwirtschaftsführer forderte, zur Leistungssteigerung des Kohlebergbaus alle Anstrengungen zu unternehmen, „um bei den verantwortlichen Stellen die beschleunigte Zuführung von 20.000 Ostarbeitern durchzusetzen.“ Frühzeit hatte Kost Schlüsselpositionen im Staatsapparat inne, war er Mitglied im Kreisausschuss, der den gewählten Kreistag ersetzte und einer von nur 14 Ratsherrn in Homberg, die Bürgermeister Friedrich Sonnen berieten. Seit 1934 war er auch Mitglied der NSDAP, zuvor war seine Gesinnung stramm deutsch-national.
Das Treibstoffwerk in Moers-Meerbeck
Die Einrichtung eines Gefangenen- bzw. Zwangsarbeitslagers auf dem Gelände von Rheinpreußen Schacht III muss zwischen ihm und Sonnen beschlossen worden sein, „da nur Kost über das Betriebsgelände verfügen konnte“, folgert Lachmann. „Kost hatte nicht nur Kenntnis von Zwangsarbeit, er war auch Verantwortlicher, also Täter, gegenüber „seinen“ Zwangsarbeitern bei Rheinpreußen“, fasst er zusammen. 1941 war er dann von höchster Stelle zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt worden und übernahm im April 1942 den Vorsitz im „Russenausschuss“. Dort wurden auch Überlegungen beschlossen, wie die Leistungsfähigkeit der russischen Kriegsgefangenen unter Tage durch bessere Ernährung gesteigert werden können. „Diese Input-Output-Strategie zeigte auf, dass der russische Kriegsgefangene nicht als Mensch, sondern wie ein Sklave behandelt wurde.“ Kriegswichtig wurde das Treibstoffwerk in Moers-Meerbeck, das 1939 mit großem Propagandaaufwand eingeweiht wurde. Hier wurde im nach dem im Mülheimer Max-Planck-Institut entwickelten Fischer-Tropsch-Verfahren aus Kohle Sprit hergestellt, der dringend für die Panzer benötigt wurde.
Nach dem Krieg verschwieg Kost seine Rolle im Russenausschuss - vor der Spruchkammer wie auch in seinen Lebenserinnerungen, in denen das Thema Kriegsgefangene und Zwangsarbeit mit wenigen Zeilen abgehandelt werde. Er galt als unbelastet, nicht mal als Mitläufer oder minderbelastet. Er wusste, welches Leid die Zwangsarbeiter erlitten, wie sie bestraft und im schlimmsten Fall zu Tode kamen. „Im Sinne der Rechtsprechung nach dem Nürnberger Tribunal hatte er sich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht“, folgert Lachmann.
Zwei konkrete Fälle aus dem Steinkohlenwerk Rheinpreußen führt er an. In einem Fall wurde ein holländischer Zivilarbeiters im Januar 1943 in der Toilette des Treibstoffwerks beim Rauchen erwischt, was verboten war. In einem Schreiben an die Gestapo fordert Kost, da sich sich solche Verstöße in der Belegschaft häuften, „mit aller Schärfe vorzugehen.“ Bis Mai 1944 war der Mann dann im KZ Sachsenhausen gefangen. Ebenfalls im Januar 1943, allerdings nicht von Kost unterzeichnet, wurde eine Klage gegen einen anderen Holländer eingereicht, der arbeitsunwillig sei und sich der Betriebsordnung widersetze. Er kam ins KZ Buchenwald, wo er zwei Monate später starb.
Stefan Przigoda urteilt im LVR-Portal großzügiger zugunsten Kosts: „Für einen Spitzenunternehmer wie Kost war es zumindest schwierig, sich der Verstrickung in das NS-System zu entziehen.“ Die Mehrheit der Bergbauunternehmer sei dem Regime „mit einer Mischung aus Distanz und Akzeptanz begegnet.“ Zudem habe Kost in seiner Jagdhütte in Winnekendonk gegen Kriegsende die jüdische Ehefrau des Bergrats Werner Lieber versteckt. So warnt Przigoda, der den Russenausschuss zwar erwähnt, aber dessen Funktion nicht erläutert, vor Pauschalurteilen.
Lachmann dagegen sagt, dass Kost sich das in seiner Position habe leisten können, weil er auf unterschiedlichen Ebenen Einfluss nehmen konnte. „Gegen Heinrich Kost hätte damals ein öffentliches Anklageverfahren eingeleitet werden müssen. Das geschah aber nicht. In keinem städtischen Verwaltungsbericht ist nachzulesen, inwieweit sich Kost zum Wohle der Stadt Homberg verdient gemacht hat.“ Bei diesem sibyllinischen Schlusssatz belässt er es, ohne daraus die nahe liegende Forderung auf Aberkennung der Ehrenbürgerwürde abzuleiten.
Sämtliche Unternehmer hatten Bedarf
Auch der Mittelstand hatte dringend Bedarf an Zwangsarbeitern. Lachmann zitiert einen Brief des Stielfabrikanten Peter Maaßen an Bürgermeister Sonnen, in dem das NSDAP- und Ratsmitglied im August 1940 darauf drängt, die Unternehmen mit arbeitsfähigen Kriegsgefangenen zu versorgen und per Rundfrage den konkreten Bedarf abfragt, da es an Arbeitskräften mangelt. Bedarf hätten die Wurstfabriken, das Sägewerk und die Maschinenfabriken. Die Initiative verlief erst im Sande. Mehrfach musste 1941 und 1942 nachgehakt werden. Zu den Bittstellern nach billigen ausländischen Arbeitskräften gehörten nahezu alle wichtigen Industrie- und mittelständischen Unternehmen der Stadt.