Duisburg. Was erklärt die vielen Corona-Toten in Duisburg? Infrage kommen auch Gründe, die für Gelsenkirchen und Herne zutreffen. Eine Ursachenforschung.

In Duisburg wurden mehr Corona-Tote als in den meisten anderen NRW-Städten gemeldet, was trotz der Teil-Lockdowns offenbar eine Übersterblichkeit zur Folge hatte. Einfache Erklärungen gibt es für eine hohe Sterblichkeit in der Pandemie nicht. Sie hängt wie das Infektionsgeschehen vom Zusammenspiel mehrerer Faktoren ab, manchmal auch von der Nähe zu Hotspots, von Zufällen und vom Verhalten Einzelner. Die folgende Annäherung prüft vier grundsätzliche mögliche Ursachen für die vielen Todesopfer.

44 % der Duisburger Corona-Toten wohnten in Senioren- und Pflegeheimen

1. „Vulnerable Gruppen“: Corona gefährdet vor allem Ältere und Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften wie Asyl-, Pflege- und Seniorenheimen. In Duisburg waren bis Anfang Februar 44 Prozent der Covid-Toten in Seniorenheimen untergebracht, sagt Stadtsprecher Jörn Esser. Für die im NRW-Vergleich überdurchschnittlich vielen Todesfälle seien „Ausbrüche in Einrichtungen der Altenhilfe, die mit einer hohen Sterblichkeit verbunden sind, sicherlich einer der Gründe“.

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So gut wie in Duisburg waren die Bewohner gleichwohl zumindest seit dem 22. Dezember in vielen anderen NRW-Städten nicht geschützt: Dass die Stadt mit den Hilfsorganisationen vor den Heimen Schnelltestzentren für Besucher errichtete und bis heute sieben weiter betreibt, loben auch die Träger der Heime. Vergleichszahlen liegen nicht vor – auch nicht zur Anzahl der Heimbewohner in den Städten. In anderen Kommunen und Bundesländern war jedoch der bekannte Anteil von Heimbewohnern unter den Corona-Toten viel höher.

Auch Duisburgs Fall-Verstorbenen-Anteil liefert keine Indizien für eine über die allerorten besondere Betroffenheit der Heimbewohner hinaus. Am 10. Februar kamen in Duisburg auf 100 Corona-Fälle 2,7 Todesfälle, weniger als in 15 der 53 NRW-Städte/-Kreise. Deutlich mehr Verstorbene je 100 Fälle gab es etwa in Mettmann (3,6) und Heinsberg (3,5), aber auch „nebenan“ in Mülheim (3,4) und Oberhausen (3,3).

Beim Blick auf die Altersverteilung fällt zudem auf, dass NRW-weit 77,2 % der Todesopfer mindestens 80 Jahre alt waren – in Duisburg dagegen „nur“ 58,5 %. Auch das spricht gegen besonders viele Covid-Tote in Duisburger Seniorenheimen.

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Besonders alt sind die Duisburger nicht

2. Alter der Bevölkerung: Da mit dem Alter das Risiko von Vorerkrankungen und schweren Verläufen steigt, kommt auch die Altersstruktur der Einwohner als Erklärung für viele Todesfälle in Betracht.

Allerdings: 87,2 % der in Corona-Toten in NRW waren bislang 70 Jahre oder älter, in Duisburg waren es „nur“ 82,1 % (Stand: 10.2.). Und anteilig deutlich mehr Hochbetagte (80+) als im NRW-Schnitt (2019: 6,8 %) leben etwa in Mülheim (8 %) und im Kreis Mettmann (7,9 %) – nicht aber in Duisburg (6,9 %).

Auch ein besonders hohes Durchschnittsalter der Bevölkerung kommt als Grund für die vergleichsweise vielen Toten in Duisburg also nicht infrage.

Geringe Lebenserwartung durch sozial-ökonomische Nachteile

3. Lebenserwartung: Viel größer ist Duisburgs Abweichung bei der „Mittleren Lebenserwartung bei der Geburt“, für die das Landeszentrum Gesundheit NRW (LZG) einen Drei-Jahres-Mittelwert (2016 bis 2018) errechnet hat.

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Diese Lebenserwartung lag in Duisburg vor der Pandemie bei 81,46 Jahren für Frauen und 76,79 Jahren für Männer – deutlich unter der in NRW (Frauen: 82,76 Jahre, Männer: 77,55). Ähnlich verkürzt wie für Duisburger (Frauen: -1,3/Männer: -1,39) ist das Leben demnach nur für Bewohner anderer Städte, die ebenfalls als Corona-Hochrisikogebiete auffielen: in Herne (Frauen: -1,42/Männer: -2,32), Gelsenkirchen (-1,86/-2,18), Hagen (-1,13/-1,48) und Oberhausen (-1,09/-1,45).

Ein gesundes Leben hängt stark von Bildungsstatus, Einkommen und anderen sozioökonomischen Faktoren ab. „Besonders ausgeprägt“ ist laut LZG der Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und regionaler Verteilung von Arbeitslosigkeit. Eine Studie der AOK Rheinland/Hamburg und der Uniklinik Düsseldorf hat bereits gezeigt, dass Arbeitslose stärker gefährdet sind, wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden zu müssen.

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Arm und krank gehören vor und in der Pandemie zusammen – und Duisburg ist bei der Armut Teil von „Deutschlands Problemregion Nummer 1“, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband das Ruhrgebiet im Armutsbericht 2020 nennt. Im Revier liegt die Armutsquote bei 21,4 %. Der Anteil der nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II – „Hartz IV-Gesetz“) Leistungsberechtigten war in Duisburg 2019 mit 18,1 % so hoch wie 2008. Unter den drei NRW-Städten, die eine noch höhere „SGB-II-Quote“ hatten, sind mit Gelsenkirchen (24,4 %) und Herne (18,6 %) abermals zwei Dauer-Hotspots.

Die soziale Situation der Covid-Toten wird nicht erfasst, aber die Sozial- und Gesundheitsdaten liefern Hinweise auf einen starken Zusammenhang zwischen Armut und hoher Corona-Sterberate.

In armen Städten gilt: Je mehr Corona-Infizierte, desto mehr Tote

4. Infektionsrate: Wo es viele Corona-Fälle gibt, ist das Risiko für gefährdete Gruppen noch größer. Das gilt vor allem in pandemieunerfahrenen Regionen, die den Schutz der Risikogruppen noch nicht gelernt haben – also auch in Deutschland und Duisburg. Hier war die Infektionsrate Mitte November so hoch wie in keiner anderen Großstadt Deutschlands: am 15. November kamen auf 100.000 Einwohner bereits 1746,2 labordiagnostisch bestätigte Fälle.

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Seither sind die Zahlen in Sachsen explodiert und in Duisburg gesunken. Bundesweit ist der Kreis Bautzen (Sachsen) nun mit 6106,1 gemeldeten Fällen je 100.000 Einwohner am stärksten betroffen, am schwächsten der Kreis Plön (Schleswig-Holstein). Duisburg verzeichnet 3650,5 Fälle und zählt in NRW weiter zur traurigen Spitzengruppe der Dauer-Hotspots.

Höhere Infektionsraten hatten in NRW nur Herne (3819), Hagen (3741,8), Gelsenkirchen (3710,3) und Solingen (3670,3) zu verkraften (Stand: 10.2.). Wie in Duisburg ist die Lebenserwartung wegen der prekären Lebenssituation vieler Einwohner auch dort vergleichsweise niedrig (siehe oben). Was wiederum zu den unterschiedlichen Duisburger Bezirksinzidenzen und den Ergebnissen erster Studien passt: Das Ansteckungsrisiko ist in ärmeren Vierteln mit hoher Einwohnerdichte und weniger Pro-Kopf-Wohnfläche am größten.

Armut im Ruhrgebiet – eine plausible Erklärung für viele Infektionen und viele Tote

Die damit einhergehende, erhöhte Ansteckungsgefahr auch für Kranke und Ältere muss als einer der Hauptgründe für die hohe Sterblichkeit in Duisburg betrachtet werden. Dafür spricht zudem: NRW-weit erfassten nur sechs Großstädte anteilig mehr Todesopfer … Gelsenkirchen, Herne, Oberhausen und Hagen.