Dortmund. Der Dortmunder Verein „Seniorenglück“ hilft bedürftigen Rentnern. Die Ehrenamtlichen haben viele Lebensgeschichten gehört. „Manchmal macht das Angst.“
Schon eine Stunde vor Beginn stehen die Besucher vor der Tür. Stützen sich auf ihre Rollatoren, setzen sich auf die Stufen des Gemeindehauses. Sie wollen die ersten sein, wenn die Seniorentafel öffnet. Erbsensuppe oder Bohneneintopf, Schokokeks oder Weingummi: Nur wer früh da ist, hat die Auswahl. Nicht immer reicht das Angebot für alle.
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Drei Tafeln für Senioren bietet der Verein „Seniorenglück“ in Dortmund an. In Hörde, Körne und Dorstfeld können sich Rentner dort für einen symbolischen Euro mit Lebensmitteln versorgen. „Die Nachfrage explodiert“, sagt die Vereinsvorsitzende Cornelia Sbosny. „Hier in Körne kamen vor einem Jahr noch etwa zehn Bedürftige zu unserem Termin, letzten Monat waren es 38.“
Dortmunderin hat viele Schicksale kennengelernt
Warum sie kommen, hat viele Gründe. Sbosny kennt viele Schicksale „Die einen sind aus einer Selbstständigkeit in die Schulden gerutscht, die anderen haben den Job aufgegeben, um die Eltern zu pflegen. Oder der Partner ist plötzlich gestorben, und der war der Hauptverdiener.“ So oder so: Am Ende reicht nun die Rente hinten und vorne nicht. Sie alle haben im Monat weniger als 1200 Euro auf dem Konto. „Und am 20. wissen sie oft nicht mehr, wovon sie ihr Essen bezahlen sollen.“
Vor vier Jahren haben Sbosny und ihre Mitstreiter angefangen, etwas dagegen zu tun. „Im Freundeskreis war uns aufgefallen, wie viele alte Menschen in der Stadt Flaschen sammeln, um über die Runden zu kommen. Wir dachten, das darf doch nicht sein.“ Deshalb gründeten sie 2020 den Verein, begannen Spenden zu sammeln – Geld, Lebensmittel, aber auch gebrauchte Kleidung. Inzwischen werden regelmäßig etwa 500 Senioren versorgt, das „Seniorenglück“ zählt 100 Mitglieder und 30 aktive Mitarbeiter.
Dortmunder Verein hilft auch bei großen Anschaffungen
Aus der privaten Initiative ist eine tatkräftige Organisation geworden. Sie betreibt außer den Tafeln in Dortmund auch zwei in Witten und Sprockhövel, in Lünen soll bald die sechste entstehen. Doch der Verein verteilt nicht nur die gesammelten Lebensmittel. Im letzten Jahr hat das „Seniorenglück“ 400.000 Euro an Spendengeldern von Privatleuten und Stiftungen für die Bedürftigen ausgegeben. Waschmaschinen und Möbel bezuschusst, beim Kauf von Zahnersatz und Brillen geholfen. „Klar gibt das Sozialamt auch was dazu“, weiß Sbosny. „Aber als Darlehen, und dann beißt sich die Katze im nächsten Monat wieder in den Schwanz.“
Fordernd, nein, das sei keiner der Bedürftigen, die bei ihr um Unterstützung bitten. Im Gegenteil. Die Vereinsvorsitzende und ihre Helfer erleben vielmehr nur eine große Dankbarkeit. „Ich bekomme so viel mehr zurück als ich gebe“, sagt Hans Goczol, der bei der Seniorentafel in Körne Lebensmittel verteilt. Auch Romina Runz macht es Spaß zu helfen. „Aber auch ein bisschen Angst.“ Denn viele der Bedürftigen, die zum „Seniorenglück“ kommen, haben ähnliche Geschichten wie die 38-jährige, die als Alleinerziehende gerade auf Jobsuche ist.
Die große Mehrheit der Bedürftigen sind Frauen
Ja, oftmals seien es Mütter, die im Rentenalter mit fast leeren Händen dastehen, weiß Sbosny. „Zu uns kommen bestimmt 90 Prozent Frauen.“ Viele von ihnen seien in die Armut gerutscht, weil sie früher nur Teilzeit gearbeitet haben. Die Vorsitzende ärgert sich über den Vorwurf, der oft in diesem Satz mitschwingt. „Dabei ging es doch damals gar nicht anders.“
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Die Vorsitzende hat durch die Arbeit im Verein aber auch Schicksale mit einem ganz anderen Hintergrund kennengelernt. „Anfangs dachte ich: Akademiker haben mit dem Thema Altersarmut nichts zu tun. Ich war ja so blauäugig!“ Heute weiß sie: „Alterarmut kann wirklich jeden treffen.“
Armut bringt Einsamkeit mit sich
Und auch das hat die 67-Jährige erfahren: Armut kommt selten allein. Sie bringt meist Einsamkeit und Krankheit mich sich. „Kaffeetrinken gehen, mal ins Kino, das geht ja alles nicht.“ Diese soziale Isolation will der Verein durchbrechen. Unter dem Titel „Raus aus dem Schneckenhaus!“ bietet er seit einiger Zeit auch gemeinsame Aktivitäten ein. Gemeinsames Essen, Theater- oder Stadionbesuche, derzeit verteilt Sbosny Gutscheine für 1000 Portionen Backfisch auf dem Wochenmarkt. „Wenn ich sehe, wie viele Freundschaften durch diese Aktionen schon entstanden sind, dann geht mir das Herz auf.“
Auch an diesem Dienstag machen sich einige Senioren fröhlich plaudernd gemeinsam auf den Heimweg. Es sind noch einmal mehr gekommen als im Monat zuvor. Der Tisch ist beinahe wie leergefegt, doch es hat gereicht. Und beim nächsten Mal? Romina Runz schluckt: „Manchmal hab ich einen Kloß im Hals.“
So kann man helfen
Wer vom Verein „Seniorenglück“ unterstützt werden möchte, muss in die deutsche Rentenversicherung eingezahlt haben und darf nicht mehr als 1200 Euro Rente beziehen. Die nächsten Seniorentafeln finden am 21. November (Hörde, Gemeindehaus Wellinghofer Straße 21), 25. November (Dorstfeld, Pulsschlag Bürgerhaus) und 26. November (Körne, Gemeindehaus Körner Hellweg 6) , jeweils um 14 Uhr statt.
Wer spenden will: Gesammelt werden haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel, außerdem gut erhaltene Kleidung. Geldspenden gehen an das Vereins-Sparkassenkonto IBAN DE17 4405 0199 0001 1483 97.
Gesucht werden außerdem jederzeit Mitarbeiter, die bei den Aktionen helfen wollen. Zudem würde sich der Verein freuen, wenn ihm Büroräume zur Verfügung gestellt würden. Mehr Infos unter seniorenglueck-lebenshilfe.de, bei Cornelia Sbosny unter 0171/1420230 oder per Mail info@seniorenglueck-lebenshilfe.de.
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