Bottrop. Schule? Das heißt aktuell Distanzunterricht. Doch was, wenn man sich Laptop, Tablet und Co. nicht leisten kann? Eine Bottroper Familie berichtet.
Wenn die zehnjährige Emely zur Schule geht, bedeutet das für sie, dass sie ihr Tablet anschaltet. Videokonferenzen und digitale Aufgaben - so sieht für die Fünftklässlerin der Alltag aus. Doch so richtig folgen kann sie dem Unterricht eigentlich erst seit Dezember. Seitdem hat sie ein eigenes Tablet. Wobei: Streng genommen ist das Gerät nur eine Dauerleihgabe, organisiert vom Stadtteilbüro Batenbrock.
Denn Emelys Eltern können sich die digitale Schulausstattung, die derzeit nötig ist, nicht mal eben leisten. Und die Leihgeräte, die die Stadt Bottrop für genau solche Fälle anschaffen will, lassen nach wie vor auf sich warten. An einigen Schulen gibt es zwar vom Förderverein finanzierte Leihgeräte, aber das ist eben immer auch abhängig von der Finanzkraft der Vereine - verlassen kann man sich darauf nicht.
Vorher hat die Bottroper Schülerin dem Unterricht am Handy folgen müssen
Emely hat noch zwei Geschwister, eines davon geht jetzt schon zur Grundschule, das andere wird im Sommer eingeschult. Die Mutter ist Verkäuferin, doch arbeitet derzeit nicht, der Vater ist ebenfalls Verkäufer, coronabedingt jedoch in Kurzarbeit. Große Sprünge sind schon im regulären Alltag nicht drin, jetzt erst recht nicht.
"Ich bin froh, jetzt das Pad zu haben, so kann ich inzwischen etwas besser mitmachen", sagt Emely. Vorher stand lediglich das Handy der Eltern zur Verfügung, doch da kommen natürlich auch immer wieder Anrufe an, dazu sind längst nicht alle Funktionen nutzbar. Barbara Josfeld, Sozialarbeiterin im Stadtteilbüro, kennt aus ihrem Alltag im Quartier viele Familie, denen es so geht. "Die machen das dann irgendwie, aber genau das ist das Problem, vieles bleibt da auf der Strecke", befürchtet sie und berichtet von einer Schülerin, die ihr letztens erzählt hat, sie habe 100 Seiten handschriftlich abgeschrieben. "Die Familie hat keinen Drucker, um so etwas auszudrucken, und am Handybildschirm waren die Aufgaben nicht zu bearbeiten." Nun können Kinder ihre Aufgaben im Stadtteilbüro ausdrucken lassen.
Bei den Eltern mischen sich Sorge und Wut
Auch jetzt, mit dem Tablet, habe sie das Gefühl, dass der Lehrer weit weg sei, sagt Emely Auf dem kleinen Handy-Bildschirm sei es noch viel schlimmer gewesen, so die Zehnjährige, die erst seit dem Sommer die Janusz-Korczak-Gesamtschule besucht. Mutter Nadja legt viel Wert auf Schule, achtet darauf, dass Emely auch im Distanzunterricht immer am Ball bleibt.
Dass ihre Tochter nun so kämpfen muss macht sie traurig, aber auch sauer. Und Wut ist nicht rational: Da mischt sich die Wut auf dieses Virus, was das ganze bisherige Leben über den Haufen wirft, mit dem Zorn auf Politiker, die ihre Versprechen nicht oder nur langsam umsetzen. Außerdem vermisst sie eine Perspektive. Dazu kommt die Sorge, ob die Schule auch genug tut. Ihr Eindruck: An anderen Schulen gebe es auch Distanzunterricht nach Stundenplan, für Emely seien es nur einzelne Stunden, dazu liegt viel Zeit zwischen den einzelnen Aufgaben.
Sozialarbeiterin fürchtet, dass sich negative Folgen des Distanzunterrichts spät zeigen
Nadja Voß ist kämpferisch, trotzdem bleibt am Ende an einigen Stellen die Hilflosigkeit und die Sorge, dass die eigenen Kinder zurückbleiben - auch weil es den Eltern eben nicht so leicht fällt, die notwendige Ausstattung fürs Homeschooling anzuschaffen.
Und das sei eben bei einigen Familien so, sagt Barbara Josfeld. Und da sehe sie bei manchem auch die Gefahr, dass es irgendwann kippt und ganze Familien im Schulalltag resignieren - je nachdem wie lang Lockdown und Distanzunterricht noch andauern. "Meine Sorge ist, dass viel mehr Kinder hinterher auf der Strecke bleiben, weil die Betroffenen jetzt noch gar nicht mitbekommen, wie groß die Lücken schon sind." Mit anderen Worten: Erst wenn alle wieder gemeinsam im Klassenraum sitzen, wird auffallen, was der Distanzunterricht tatsächlich angerichtet hat.
Manchen Familien fehlt schon das Geld für Tintenpatronen
Barbara Josfeld berichtet von Familien, die sich nicht einmal die Tintenpatronen für den Drucker leisten können, von Familien, in denen der Fünftklässler derjenige ist, der am besten Deutsch spricht und neben dem Distanzunterricht auch für den Rest der Familie dolmetschen und den Kontakt zu Ämtern halten muss. Wie soll so jemand im Distanzunterricht am Ball bleiben?
Anderswo gebe es vielleicht einen Rechner, der wird aber für Homeoffice und drei Schulkinder benötigt. "Da muss der Oberstufenschüler dann zurückstecken und nachts arbeiten", sagt Barbara Josfeld. "Man darf die Kinder nicht vergessen", appelliert Emelys Mutter angesichts dessen. Leider aber hätten vor allem viele Jugendliche derzeit das Gefühl, sie würden nicht mehr gesehen, so Barbara Josfeld.
Große Resonanz auf den Spendenaufruf des Bottroper Stadtteilbüros
Der Arbeiter-Samariter-Bund hat deshalb ein Programm aufgelegt, Kinder an Laptop und Tablet geschult - darunter auch Emely. Zehn Kinder konnten auf diesem Weg über das Stadtteilbüro mit Leihgeräten versorgt werden. Wissenschaftlich begleitet wird das Programm von der Fachhochschule Bielefeld.
Außerdem hat das Stadtteilbüro einen Spendenaufruf gestartet, sammelt gebrauchte Laptops und Tablets. Die Resonanz ist groß. "Nach zwei Tagen hatten wir schon zehn Geräte", sagt Barbara Josfeld. Ehrenamtliche Helfer bereiten sie auf, spielen die notwendigen Programme drauf, dann werden sie Schülern zur Verfügung gestellt, die keine eigenen Geräte haben und deren Eltern sich eine Anschaffung nicht leisten können.
>>> INFO - Spendenabgabe
Das Stadtteilbüro Batenbrock nimmt weiter gebrauchte Laptops und Tablets an, um sie dann Kindern und Jugendlichen zur Verfügung zu stellen. Die Annahme erfolgt kontaktlos, die Corona-Anforderungen sind erfüllt.
Das Büro an der Horster Straße 228 ist donnerstags von 9 bis 13 und von 15 bis 17 Uhr geöffnet. In der Zeit können die Geräte in einer Box vor der Tür deponiert werden. Alternativ können auch individuelle Übergabetermine vereinbart werden unter: 0176-301 734 88 oder per E-Mail:barbara.josfeld@batenbrock.de.