Bottrop. Die Bottroper Schuldnerberatung blickt mit Sorge auf die steigenden Preise. Warum sich die Beratungsstelle auf ganz neue Situationen einstellt.

„Da rollt eine Welle auf uns zu.“ Marion Kemper, die Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung in Bottrop fürchtet schlimmes mit Blick auf die steigenden Lebenshaltungskosten. Bei den Beratungsstellen treffe so etwas ja immer erst mit Verzögerung ein, doch schon jetzt seien Probleme absehbar. Denn noch befassen sich die Beraterinnen und Berater mit den finanziellen Auswirkungen von Corona. Kurzarbeit oder auch der Verlust des Arbeitsplatzes zeigen jetzt ihre Auswirkungen. Dazu kommen nun die Auswirkungen durch die steigenden Lebenshaltungskosten.

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Marion Kemper stellt sich daher auch auf eine neue Situation ein. „Die Leute können schlicht ihre Existenz nicht mehr sichern“, so ihre Warnung. Es gehe immer stärker darum, nicht alte Schulden abzubauen, sondern neue zu vermeiden, so ihre Befürchtung. Und diese neuen Schulden resultierten nämlich daraus, dass das Einkommen der Menschen angesichts der steigenden Preise nicht mehr reiche, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Angekündigte Soforthilfen sind nicht mehr als „ein Tropfen auf den heißen Stein“

Im vergangenen Jahr waren rund drei Viertel der Klienten der Beratungsstelle Menschen, die Arbeitslosengeld II, Wohngeld, oder Grundsicherung erhielten oder aber eine Rente oder ein Einkommen nur knapp oberhalb dessen. Ein Viertel der Klienten verfügte über ein höheres Einkommen. In diesem Jahr, so ihre Einschätzung mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen, werde wohl rund die Hälfte der Hilfesuchenden aus der Gruppe mit einem höheren Einkommen kommen.

Marion Kemper leitet seit 1986 die Schuldner- und Insolvenzberatung der evangelischen Kirche in Bottrop.
Marion Kemper leitet seit 1986 die Schuldner- und Insolvenzberatung der evangelischen Kirche in Bottrop. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Ein Problem: An vielen Stellen seien nämlich inzwischen auch Rücklagen aufgebraucht, kommen nun hohe Forderungen bei den Energiekosten, das sei nicht zu stemmen. Soforthilfen, die angekündigt sind und in den nächsten Wochen und Monaten fließen sollen, bezeichnet die Diplom-Sozialarbeiterin als „Tropfen auf den heißen Stein“.

Bottroper Berater wollen ihren Klienten am Ende ein schuldenfreies Leben ermöglichen

Zumal diese Hilfen oft nicht bis zum Ende gedacht seien und teils auch von den Gläubigern verschlungen würden. Dann müsse man für jede einzelne dieser Hilfen eine Bescheinigung für die Klienten ausstellen, damit sie auch tatsächlich über das Geld verfügen können, schildert Marion Kemper.

Das Ziel der Bottroper Beratungsstelle ist es, den Menschen ein schuldenfreies Leben zu ermöglichen. Doch Marion Kemper fürchtet, dass dafür künftig vermehrt das Mittel der Privatinsolvenz mit der anschließenden Restschuldbefreiung nötig sein wird – es sich also in diese Richtung verschiebt. Der Grund: Die Schuldner müssten mehr Geld für ihren Lebensunterhalt ausgeben, es ist kein Geld mehr übrig, um etwas umzuschichten oder vielleicht einen Vergleich mit den Gläubigern zu suchen, sagt die erfahrene Schuldnerberaterin.

Als die Beratungsstelle startete, war die Situation noch ganz anders

Manchmal müsse man die Klienten aber auch auf staatliche Hilfen hinweisen, auf die sie einen Anspruch hätten, dazu komme, dass man viele Menschen auch erst einmal wieder aufbauen müsse. „Derjenige, der zu uns kommt, muss erst einmal so weit wieder hergestellt werden, dass er in der Lage ist zu überblicken, was zu tun ist.“

Seit 1986 arbeitet sie in Bottrop, hat die Beratungsstelle mit aufgebaut und seither viele Veränderungen erlebt. Damals habe es mit den Verbraucherkrediten angefangen, hätten Banken offensiv damit geworben und zum Teil auch sittenwidrige Verträge abgeschlossen, erinnert sie sich. Heute dagegen hätten die Klienten wesentlich mehr Gläubiger. Daher beginne jede Beratung damit, sich einen Überblick zu verschaffen.

Politische Lobbyarbeit für die Klienten

Gleichzeitig stellt sie fest, dass nicht selten der Kopf zu früh in den Sand gesteckt werde. Ihre dringende Empfehlung daher: Briefe öffnen und im Zweifel frühzeitig professionelle Hilfe organisieren. 530 Menschen hat die Beratungsstelle im vergangenen Jahr begleitet. Dabei gehe man immer nach Dringlichkeit der Fälle, sagt Marion Kemper. Wer in einer akuten Krise sei, dem werde auch sofort geholfen, stellt sie klar. Gleichzeitig sollten Betroffene versuchen, vorrangige Kosten wie Strom, Miete oder Unterhaltszahlungen zu bedienen.

Neben der konkreten Hilfe für jeden Einzelnen gehört aber auch die politische Lobbyarbeit für ihre Klienten zum Kern der Schuldnerberatung – nicht nur in Bottrop. So hat Marion Kemper konkrete Vorschläge, wie zumindest einem Teil der Betroffenen zielgerichtet geholfen werden könnte. „Es wäre gut, wenn Strom nicht aus dem Regelsatz bezahlt werden müsste. Eine solche Variable sollte, so wie auch Heizkosten oder die Miete, übernommen werden“, sagt sie mit Blick auf Leistungsbezieher. Denkbar sei eine Deckelung der übernommen Kosten ab einem bestimmten Betrag.

Beratungsstelle steht jedermann offen

Die Schuldner- und Insolvenzberatung der evangelischen Kirche in Bottrop steht jedermann offen. Das unterscheidet sie von manchen anderen Beratungsstellen, die beispielsweise nur Schuldner im Regelbezug beraten dürfen, also Menschen, die arbeitslos sind. Das hängt oftmals mit der jeweiligen Förderung der Beratungsstelle zusammen. Informationen zur Bottroper Beratungsstelle gibt es auch im Internet unter: www.schuldnerberatung-bottrop.de. Ein telefonischer Erstkontakt ist möglich unter 02041 317040, immer montags bis freitags von 9 bis 12.30 Uhr sowie montags von 14 bis 17 Uhr.