Bochum. Obwohl alle im Gerichtssaal von „tragischem Unglücksfall“ ausgehen, wird der 62-jährige Kradfahrer aus Bochum verurteilt. Näheres vom Prozess.
Im Saal bezweifelt niemand, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat. Selbst der Staatsanwalt spricht von einem „tragischen Unglücksfall“. Und dennoch: am Ende wird der Angeklagte Bochumer (62) schuldig gesprochen.
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Die Richterin, Nadine Große-Herzbruch, liest aus ihrer Akte vor: Vor mehr als einem Jahr, am 2. September 2023, fuhr der damals 61-Jährige auf seinem Kraftrad die Castroper Straße hoch in Richtung Autobahn, als eine Seniorin (95) mit ihrem Rollator auf die Fahrbahn lief. Auf Höhe der Matthias-Claudius Straße stießen sie zusammen, stürzten und verletzten sich, wurden beide ins Krankenhaus gebracht. Der Mann konnte sich erholen, die 95-Jährige starb jedoch im Krankenhaus.
Der Angeklagte beteuert: Es war ein tragischer Unfall
„Tötung durch Fahrlässigkeit“ lautet der Vorwurf. Für den Angeklagten und seinen Anwalt war es ein tragischer Unfall: Er habe sie gesehen, jedoch nicht weiter auf sie geachtet, weil sie langsam ging, ohne Fußgängerampel. „Ich dachte, sie wäre stehengeblieben“, wiederholt der Bochumer immer wieder. Er wollte noch bremsen und ausweichen, jedoch vergebens: „Sie ist durch die Luft geschleudert und gegen den Bordstein gerollt“, erinnert sich der Bochumer.
Bei dem Zusammenprall sei er selbst mit dem Roller gestürzt, habe sich an der Hüfte verletzt und musste operiert werden. Fünf Tage lang lag er damals im Krankenhaus. Und dann, mit gebrochener Stimme: „Ich kann es nicht rückgängig machen. Es tut mir leid“.
„Ich kann es nicht rückgängig machen. Es tut mir leid.“
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Ein Arzt wurde Zeuge des Unfalls: „Das hat mich noch lange bedrückt“
Ein 73-jähriger Arzt aus Bochum wurde damals Zeuge des Unfalls. „Das Ganze hat mich noch lange bedrückt“, sagt er. Er sah aus dem Auto, wie die Frau gebückt und „nur auf ihren Rollator konzentriert“ über die Straße ging; dann kam der Kradfahrer und „man sah, was geschehen würde, wenn er nicht bremsen würde“.
„Man sah, was geschehen würde, wenn er nicht bremsen würde.“
Als Arzt reagierte er sofort: Er parkte sein Auto und lief zu der bewusstlosen Frau. Sie hätte keinen Puls gehabt, sagt er. Sie hätte stark geblutet und ihr Unterschenkel wäre „völlig verdreht“ gewesen. Er reanimierte die 95-Jährige.
Der Saal ist sich einig: Es war ein Unfall
Für Richterin Große-Herzbruch gäbe es mehrere Gründe, das Verfahren einzustellen: Die Polizeiakte beschreibt Bremsspuren beschrieben, die mit den Schilderungen des Angeklagten übereinstimmen. Der Mann leide selber psychisch und körperlich unter dem Unfall. Und er sei weder zu schnell, noch alkoholisiert, noch falsch gefahren. Selbst der Staatsanwalt spricht von einem „tragischen Unglücksfall“.
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Und trotzdem: Der Staatsanwalt plädiert auf schuldig. „Man muss von Fahrlässigkeit sprechen“. Zwar hätte sich die Seniorin nicht an die Verkehrsvorschriften gehalten, jedoch galt für den Kradfahrer eine besondere Sorgfaltspflicht. Obwohl man in der Rechtssprechung davon ausgehen dürfe, andere Verkehrsteilnehmer würden sich korrekt verhalten, so gebe es wichtige Ausnahmen: bei Kindern, zum Beispiel, oder bei offensichtlich körperlich oder geistig eingeschränkten Menschen. Und „wie bei Kindern, so bei Alten“, schließt der Staatsanwalt.
So kommt es am Ende doch zu einem Schuldspruch: 60 Tagessätze von 30 Euro muss der Bochumer zahlen. Diese Geldstrafe wurde abgestimmt mit den finanziellen Verhältnissen des Schuldigen, der eine Arbeitsunfähigkeitsrente bezieht.