Bochum. Mehr Geld für Schulen mit Problemen, weniger für die anderen: Diese Idee wird in Bochum diskutiert. Die Reaktion mancher Schule überrascht.
Gleiche Ausstattung in allen Schulen, gleiche Chancen für alle Schülerinnen und Schüler: Von dieser Wunschvorstellung ist Bochum – wie viele andere Städte – weit entfernt. Immer wieder gibt es Überlegungen, wie man Bildungsgerechtigkeit schafft. Eine interessante Idee kommt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bochum.
„Könnte die Stadt nicht mehr Geld an diejenigen Schulen geben, die einen schlechten Sozialindex haben?“, fragen sich Ulrich Kriegesmann und Rebecca Sirsch aus der GEW sowie Eray Savas, Mitglied im Vorstand der Bochumer Bezirksschülervertretung (BSV).
- Eine Gesamtschule und fünf Bochumer Grundschulen haben einen sehr hohen Sozialindex erhalten. Die Bedeutung – und warum das auch Chance ist.
Mehr Geld für Bochumer Schulen mit schlechtem Sozialindex, weniger für den Rest?
Zur Erklärung vorweg: Beim Schulsozialindex erhalten alle Schulen in NRW eine Einstufung auf einer Skala von eins bis neun. Das passiert anhand von vier Indikatoren: der Kinder- und Jugendarmut sowie dem Anteil der Schülerinnen und Schülern mit vorwiegend nichtdeutscher Familiensprache, derer die aus dem Ausland zugezogen sind, und derer mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt. Je höher der Wert, desto schwieriger die Bedingungen an der Schule. In Bochum sind zwischen eins und sechs alle Werte vertreten.
Die Stadt müsse doch gerade die Schulen besser ausstatten, die bisher schlechter gestellt sind als andere, meint die GEW. „Dass der Schulsozialindex bei der Neuberechung des Schulbudgets nicht berücksichtigt wurde, hat mich geärgert“, sagt Sirsch, die an einer Schule im Ruhrgebiet unterrichtet und sich ehrenamtlich bei der GEW in Bochum engagiert. Dem schließt sich Eray Savas aus der BSV an und fordert: „Bildungsgerechtigkeit für alle“.
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Am 16. Dezember 2021 hat der Rat der Stadt Bochum die Berechnung der Schulbudgets angepasst. Demnach erhält beispielsweise jede Schule einen Grundbetrag von 2700 Euro, hinzu kommt ein gewisser Betrag je Schülerin und Schüler, abhängig von der Schulform. Jährlich zahlt die Stadt seit 2022 an alle Schulen zusammen rund 243.000 Euro.
Schulbudget nach Sozialindex verteilen: Das sagen die Schulen
Die Frauenlobschule in Bochum hat beispielsweise den Schulsozialindex eins, schon seit einigen Jahren. Sie würde dem Vorschlag folgend also künftig rein theoretisch weniger Geld bekommen. „Leider wird der Index nicht regelmäßig überprüft und neu geregelt. Die Bewertung ist für uns nicht transparent“, erklärt Anja Stauch, kommissarische Schulleiterin.
Aufgrund des Sozialindex’ habe man nur sehr wenig Geld aus dem Topf „Extrageld Integration“ bekommen. „Auch Alltagshelfer, die bei Lehrermangel an allen Schulen hilfreich sind, bleiben uns aufgrund des Index´ verwehrt“, so Strauch weiter.
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Mittlerweile gebe es einen wesentlich höheren Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, Kindern die kein Deutsch sprechen oder solchen mit Förderbedarf. Stauch: „Ebenso wächst der Anteil von Kindern aus sozial benachteiligten Familien an unserer Schule stetig.“ Wenn das Budget nun nach Sozialindex verteilt würde, erhielte die Frauenlobschule am wenigsten, trotz der verschiedenen, oben genannten Aspekte.
„Wir versuchen derzeit, Ansprechpartner für eine Neuanpassung des Sozialindex an die jetzigen Gegebenheiten zu finden, um diese Änderung eventuell veranlassen zu können“, sagt die kommissarische Schulleiterin.
„Ich halte nichts davon, anderen Schülern etwas wegzunehmen“
Ähnlich sieht das Kerstin Guse‑Becker, Leiterin des Märkischen Gymnasiums in Wattenscheid. Der Sozialindex sei nicht transparent. Ihre Schule habe beispielsweise eine Bewertung von eins. „Die gefühlte Wahrheit in Wattenscheid ist anders“, sagt sie. Die Einstufung sei schwer nachzuvollziehen.
Die Liselotte-Rauner-Hauptschule ist auf der Skala dem Index-Wert fünf zugeordnet. Schulleiter Marcel Schnürer erklärt zu dem Vorschlag der GEW: „Grundsätzlich freut sich jeder über Geld. Doch Bildung kann man sich nicht alleine kaufen, man muss die Manpower haben.“
Geld sei gut und wichtig, führe aber nicht automatisch zu besseren Abschlüssen. Dazu führe vielmehr Unterstützung durch Menschen, über die Lehrkräfte hinaus. Das unterscheide die sozial schlechter- oftmals von den bessergestellten: das Engagement der Eltern, die starken Fördervereine. „Unser Schulverein wird quasi von den Lehrern betrieben“, sagt Schnürer.
Beim Budget, das die Schulen erhalten, handle es sich um eine Grundausstattung, die jeder zustehe. „Wovon ich gar nichts halte, wäre es, anderen Schülern etwas wegzunehmen.“
Eine Entscheidung müsst der Rat der Stadt Bochum treffen
Die Stadt Bochum erklärt auf Anfrage: „Eine Zuteilung nur nach dem Sozialindex würde nicht alle Aspekte (z. B. Anzahl der OGS-Kinder, kein Index für Berufskollegs) umfassen, sodass weitere Kriterien herangezogen werden müssten“, so Sprecher Thomas Sprenger. Eine individuelle finanzielle Unterstützung erfolge für sozial schwächere Schülerinnen und Schüler aus dem Programm Bildung und Teilhabe. Entscheiden könnte die Stadt Bochum zudem nicht selbst, dafür wäre der Rat verantwortlich.