Bochum-Innenstadt. Guy Dermosessian hat auf zwölf Quadratmetern das Bochumer „Cute Community Radio“ gegründet. Welchen Künstlern er damit eine Plattform geben will.

Donnerstags geht es auf nur zwölf Quadratmetern rund: Wenn das „Cute Community Radio“ live auf Sendung geht, dann bevölkern Musik- und Kunstliebhaber das kleine Ladenlokal im Viertel Am Kortländer, und manchmal auch den Gehweg davor. Das Projekt hat der freischaffende Künstler Guy Dermosessian ins Leben gerufen.

Denn Leerstände waren schon immer sein Ding: „Als ich 2007 nach Bochum kam, fing ich an, in leeren Ladenlokalen in der Innenstadt und im Ehrenfeld sowie im öffentlichen Raum Veranstaltungen zu machen.“ Nicht immer war es leicht, Vermieter von sich zu überzeugen: „Ich musste mitunter deutsche Freunde vorschicken, denn meine Optik schreckte so manchen ab“, erinnert er sich. Er selbst kam 2003 aus Beirut nach Deutschland, lebte zunächst drei Jahre lang in Karlsruhe.

Plattform für Bochumer mit Migrationsgeschichte

So stand früh für ihn fest, dass er Menschen mit Migrationsgeschichte eine Plattform bieten will, die in normalen Clubs weniger Auftrittschancen finden, Motto: „Wer hat Zugang als Künstler, als DJ?“ Zu Anfang gab der 38-Jährige Konzerte, legte für Tanzabende auf. Nach und nach erfuhren andere Künstler von dem Konzept: „Einige meldeten sich und wollten etwa ihre Werke in dem jeweiligen Leerstand ausstellen.“ Guy (sprich: Gi) Dermosessian will, wie er sagt, „migrantische Perspektiven sichtbar machen“.

Dann wurde alles eine Nummer größer: Von 2009 bis 2016 gab’s den jährlichen „Rundlauf Bochum“, bei dem Ladenlokale, vor allem aber Wohnungen bespielt wurden. Menschen stellten ihre Wohnung für Videos, Fotografie und Performance zur Verfügung.

Mit dem Bollerwagen in den Hammer Park

Dann kam die Pandemie und vereitelte jeglichen künstlerischen Treffen. „Da bastelte ich mir eine solar- und batteriebetriebene Stromquelle, nahm den Bollerwagen meiner Kinder und zog in den Hammer Park. Es war alles da: Musik, Kamera – ich konnte senden.“ Die Geburtsstunde des Radioformats, damals das „Kalakuta Soul Radio“ im Streamingformat.

2022 stellte Dermosessian in Zusammenarbeit mit der Ko-Fabrik einen Förderantrag bei „Ecce“ in Dortmund (european centre for creative economy GmbH), eine Verknüpfungsstelle des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft, um das heutige „Cute Community Radio“ verwirklichen zu können. Die Förderung fiel mit 49.170 Euro üppig aus. „Wir konnten mit dem Geld eine mobile Infrastruktur samt Pult und Lautsprecher bauen, die es uns möglich machte, ins Internet zu gehen.“ In der Quartiershalle der Ko-Fabrik fand das Radio eine Bleibe.

Donnerstag wird zum Live-Treffen in der Nachbarschaft

Das Radio etablierte sich, Bands, DJs und Kulturschaffende lieferten Beiträge. Bis heute ist „Cute Community Radio“ ein hybrides Format: Nutzer können auf der Website cute-community.com Live- und Archivbeiträge anklicken. Der Donnerstagabend wurde zum regelmäßigen Live-Treffen für die Nachbarschaft.

Nachteil der Ko-Fabrik: Die Radiomacher mussten ihr gesamtes Equipment nach jeder Sendung wieder komplett auseinanderschrauben und verpacken, damit die Halle auch von anderen Gruppen genutzt werden konnte. „Das dauerte jedes Mal mehrere Stunden.“

Ein fester Ort musste her, um dauerhaft senden zu können. Aber auch, um die Anliegen der Künstler sichtbar zu machen. Der Bochumer entdeckte ein leerstehendes Ladenlokal an der Herner Straße am Kortländer. Im Dezember 2022 endete die Ecce-Förderung. „Ich bekam kalte Füße. Wie sollte es weitergehen?“ Dennoch mietete der Familienvater den Laden.

Farbenspiel: In Aufnahmestudio am Kortländer herrschen die Farben Gelb, Blau und Rosa vor.
Farbenspiel: In Aufnahmestudio am Kortländer herrschen die Farben Gelb, Blau und Rosa vor. © FUNKE Foto Services | Jonas Richter

Und Guy Dermosessian hat die Farben des Raums mit Bedacht gewählt. DJ-Pult und Lautsprecher sind sattgelb, die feuerfesten Vorhänge in der Komplementärfarbe Blau, die Wände wiederum rosa. Heute lebt er als freischaffender Künstler. Das gelang nicht immer: Zuvor arbeitete er bei der Zukunftsakademie NRW und im Schauspielhaus Düsseldorf.

Die Rettung kam über Bochum-Fonds. Dem Projekt der „Bochum Strategie“ gefiel die Idee des „Cute Community Space“ als bunter und weltoffener Ort, der sich Musik, Kunst und Pop-Kultur widmet. 25.000 Euro gab es. Damit werden in diesem Jahr die Fixkosten wie Miete gedeckt, zudem zahlt der 38-Jährige jedem auftretenden Künstler ein Honorar.

Jeder Künstler hat seine Leute im Schlepptau

Anfang Februar gab es die ersten Veranstaltungen, zunächst mit Leuten aus der unmittelbaren Nachbarschaft. „Jeder Künstler, der live performt, hat ein paar Leute im Schlepptau, sodass der Laden immer gut gefüllt ist.“ Bis zu 25 Künstler aus Bochum und den Nachbarstädten gehören zum festen Radio-Team.

Nach der Sommerpause geht es im Oktober wieder richtig los. Doch der Herbst zeigt auch, die finanzielle Unterstützung von Bochum-Fonds läuft bald aus. „Ich mache mich dann wieder auf die Suche nach weiteren Fördermöglichkeiten. Und vielleicht kann es uns irgendwann gelingen, das Projekt unabhängig als nachbarschaftliche Initiative zu tragen.“