Bochum. Anwohner der Straße in Altenbochum zieht so schnell nichts weg. Der „Glockengarten“ leidet kaum an Durchgangsverkehr und Häuser aus den 30er Jahren verbreiten historisches Flair. Spaziergänger genießen die Ruhe und entdecken kulturelle Kleinode wie die Scharoun-Kirche und ein Mosaik von Otto Herbert Hajek.
Der Parkplatz am Steinring eröffnet den Glockengarten. So sachlich die Straße dort mit dem Verwaltungssitz der Hochschule für Gesundheit am Glockengarten 1 beginnt, umso romantischer wird sie im Verlauf unseres Rendezvous. Die Straße kennenzulernen, heißt, sie von oben bis unten anzuschauen, hinter ihre Fassaden zu blicken und sie nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu befragen.
„Viele Menschen, die hier wohnen, leben schon sehr lange hier“, weiß Hanna Hülsebus (58), die mit ihrer Familie seit 25 Jahren ein Haus am Glockengarten besitzt.
Neuer Spielplatz wird eröffnet
Neben alteingesessenen gibt es zugezogene Anwohner, wie in der Neubausiedlung am alten Eistreff, die gleich hinter dem Parkplatz beginnt. Dort finden Familien ein modernes, stadtnahes Zuhause. Die anschließende Springorum-Trasse (1) markiert die grüne Grenze zum städtischen Verkehr. Hier macht sich Ruhe breit, denn von dieser Seite aus lässt die Straße keine Autos ‘rein. Anne Kompa (63) fährt rund 8000 Kilometer im Jahr mit dem Rad: „Über die Trassen zu fahren, finde ich immer gut“, freut sie sich über den Ausbau der alten Eisenbahnstrecke. Dann wird der Blick von der Kleingartenanlage „Friederika“ (Glockengarten 16) angezogen und bleibt davor an Klettertürmen aus hellem Holz haften. Sie erinnern an Tipis in einem freundlichen Indianerdorf (2). Noch ist die Tobefläche, die für rund 120 000 Euro nach Kinderwünschen gestaltet wurde, mit einem Bauzaun gesperrt. „Spätestens am 20. Mai soll der Spielplatz offiziell eröffnet werden“, informiert Stadtsprecher Oliver Trappe. Dann wird sich dort der Nachwuchs tummeln, während wenige Hausnummern weiter rund 240 Menschen ihren Lebensabend verbringen.
Den Eingang der städtischen Senioreneinrichtung „Haus am Glockengarten“ schmückt, etwas versteckt von Hecken, ein Mosaik des 1927 geborenen und 2005 verstorbenen Bildhauers Otto Herbert Hajek (3). Das Werk auf Beton soll Anfang der 60er Jahre in Auftrag gegeben worden sein und gilt als untypische Arbeit des Künstlers. „Es wird überlegt, wie das Werk erhalten werden kann, wenn das Gebäude abgerissen wird“, weiß ein Passant, der seinen Namen nicht nennen möchte.
BoSy schätzen Scharoun-Kirche
Unübersehbar und trotzdem bescheiden im Auftritt folgt auf der rechten Straßenseite die von Stararchitekt Hans Scharoun entworfene Johanneskirche aus dem Jahr 1966 (4). „Es hat sich eine gute Freundschaft zu den Bochumer Symphonikern entwickelt, die hier gerne Konzerte geben, auch wegen der guten Akustik“, sagt Ingetraud Rüsen vom Freundeskreis Scharoun-Kirche. Seit 1997 ist die ungewöhnliche Kirche als Baudenkmal des 20. Jahrhunderts unter Denkmalschutz gestellt. Bis zur Ecke Velsstraße dominieren den Glockengarten Gebäude aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Dann wird es urig. „Ab der Velsstraße sind viele Häuser in den 30er Jahren entstanden“, erläutert Hanna Hülsebus, deren eigenes Haus 1938 fertig wurde. „Mir gefällt hier die Nähe zur Stadt und die unglaubliche Ruhe, weil Garten an Garten schließt“, schildert sie und zeigt ihre Terrasse. „Wenn es dunkel ist, haben Sie wirklich das Gefühl, Sie sitzen in einem Park“, fügt sie an. Der Blick auf ihre meterhohen Fliederbüsche und einen prächtigen Nachbargarten lässt an diesem Eindruck keinen Zweifel. Im Souterrain ihres Hauses betreibt Hanna Hülsebus ihren Zigarrenladen. Von der Straße aus ist er mit Kronleuchtern und edlen Sitzmöbeln ein Blickfang. Auf der Naturstein-Terrasse vor dem Haus lässt es sich herrlich schmauchen. Trotz der Nähe zur Wittener Straße, in die der Glockengarten mit der Hausnummer 90 mündet, ist es an Nr .78 ruhig. „Das halbmondförmige Gebäude am Straßenende wirkt wie ein Lärmschutz“, erklärt Hülsebus.
Straßenname erinnert an Glockengießerei
Die Wohn- und Anliegerstraße „Glockengarten“ hieß vor der Eingemeindung am 1. April 1926 Neuer Hellweg. Ihr heutiger Name geht zurück auf die Altenbochumer Glockengießerei Joh. Michael Stocky in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; damals war Altenbochum eine eigenständige Ortschaft, die sich „eine halbe Stunde von der Stadt, an der Landstraße, die von Bochum nach Dortmund führt“, befand (so eine Notiz von 1750). Die Siedlung war geprägt von der Landwirtschaft und von handwerklichen sowie ersten vor-industriellen Betrieben, etwa der Glockengießerei Stocky.
Glockengarten
1733 wurde in der Manufaktur die zweite Glocke der heutigen Propsteikirche gegossen. Sie ersetzte die Betglocke von 1519 und trägt die Inschrift „St. Paulus heiß ich, die Todten begrab ich, die Lebendigen beruf ich, die Donnerwetter zerbrech ich.“ Es folgt der Zusatz: „Bochum, den 03. Juli 1773 bin ich von Michael Stocky allhier gegossen auf Kosten der drey Religionsverwandten“.
Weitere in Altenbochum produzierte Glocken von Johannes Stocky sind in der Kirche zu Wengern/Ruhr und in der Kapelle von Zurstraße/Breckerfeld südlich von Hagen nachweisbar.