Mülheim. Mülheims Wohnungsbaugenossenschaft wird 125 Jahre alt. MWB-Chef Frank Esser spricht über Krisen und Lösungen in einer bewegten Geschichte.

Es sind vielleicht nur 30 von 180 Seiten über die Geschichte der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft (MWB). Für den Vorstandsvorsitzenden Frank Esser sind es aber wohl die drängendsten ihres 125-jährigen Bestehens: „Mir ging es um die Frage, inwieweit unsere Genossenschaft in die Geschehnisse des Nationalsozialismus verstrickt war.“ Der Mülheimer Historiker und Journalist Thomas Emons arbeitete diese für die MWB auf. Und so wird der 125. Jahrestag der Mülheimer Institution ein Grund zu feiern, aber auch Grund, eine nachdenkliche Bilanz zu ziehen.

Eine Konsequenz aus ihrer NS-Zeit zumindest zog die Genossenschaft schon vor rund 20 Jahren, indem sie der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) beitrat. Doch konkret belegen lässt es sich nicht, dass die Genossenschaft Zwangsarbeiter beschäftigt habe, sagt der Historiker Emons.

Hat die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft Zwangsarbeiter beschäftigt?

Auch aus diesem Grund: Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden zwar für die Beseitigung von Trümmern etwa nach Luftangriffen abgestellt. Auch die damals 1800 Wohnungen der MWB waren von Bomben geschädigt und teils zerstört worden, wie ein aufgebrachter Brief des einstigen MWB-Chefs Heinrich Genner an die Polizei im Oktober 1942 verrät. Doch offiziell wurden Zwangsarbeiter weiter bei den Unternehmen geführt, bei denen sie beschäftigt waren. Selbst wenn sie für andere Arbeiten verliehen wurden.

Belegt indes sind zwei Wiedergutmachungsansprüche von jüdischen Familien, deren Eigentum zugunsten der MWB enteignet wurde. Ein Einsatz von Zwangsarbeitern lasse sich aber auch nicht ausschließen, sagt der Historiker Emons. Denn der damalige MWB-Geschäftsführer Heinrich Genner war ebenso Propagandaleiter der NSDAP Ortsgruppe Heißen sowie zuvor Geschäftsführer der Spar- und Baugenossenschaft Eigenheim Mülheim. Diese fusionierte am 1. November 1942 mit dem Mülheimer Spar- und Bauverein zur heutigen MWB. Genners Nähe zum Regime lässt den Einsatz von Zwangsarbeitern also möglich erscheinen, wenn nicht sogar wahrscheinlich.

Was für die Genossen ansteht: Energiewende und Dekarbonisierung

Nach der dunklen Zeit sahen die Genossen in den 1950 Jahren wieder Licht: Der Bauboom bescherte ihnen 1954 eine Steigerung der Wohnungen auf 1536 und wirtschaftlichen Erfolg in Höhe von 183.400 D-Mark Reingewinn.

125 Jahre MWB sind jedoch nicht nur eine Chance für die Aufarbeitung relevanter Epochen für die Genossenschaft. Für Esser geht es auch um den Blick nach vorne. Wichtige Herausforderungen stehen an: „Die Decarbonisierung“, nennt der Vorsitzende selbst. Schließlich verfügt die Genossenschaft aktuell über rund 5100 eigene Wohnungen in 876 Häusern (Stand: 31.12.2022).

„Es geht darum, in der seriellen Bauweise Kosten und Ressourcen zu sparen, ohne auf Qualität zu verzichten“, sagt Esser. Dabei stehen für den Bestand weitere Fragen zur künftigen Wärmeversorgung etwa durch Fernwärme an, aber auch Fragen der Veränderungen bei den Wohnungsgrößen und -zuschnitten. Genauer will’s Esser noch nicht sagen, denn in den nächsten Tagen wird der Vorstand die Pläne dem Aufsichtsrat vorstellen.

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MWB-Chef Esser: „Wir können nicht überall Wärmepumpen installieren“

Dann wird diskutiert. „Wir sind nicht die ersten, die eine Strategie entwickelt haben“, so Esser, doch die lange Hängepartie im Bund um das Gebäudeenergiegesetz habe auch der Planung der Genossenschaft einige Geduld abverlangt. „Wir können nicht überall Wärmepumpen installieren“, ist der MWB-Chef über nun mögliche Alternativen erleichtert. Und auch die Modernisierungskosten sollen im Gedanken der Genossenschaft moderat bleiben – erst Anfang 2022 hatte die MWB wegen gestiegener Baukosten die Mieten bei 2700 Wohnungen um maximal 20 Prozent anheben müssen.

Bislang liege die niedrigste Nettokaltmiete bei 6,14 Euro pro Quadratmeter, inklusive Betriebskosten (ohne Heizung) bei 7,91 Euro. „Niedrige Mieten von fünf bis sechs Euro sind wichtig, weil sich einige nicht mehr leisten können. Auf Teufel komm raus zu modernisieren, ist deshalb völliger Stuss“, argumentiert Esser nun mit Blick auf die durch die Energiewende steigenden Mietkosten. „Wir müssen unserer eigenen Antworten finden.“

Vorstand: Andere sollen beurteilen, was wir gemacht haben

Moderat will die Genossenschaft auch das eigene Jubiläum feiern, denn „in der Ukraine tobt ein Krieg, viele Menschen haben Sorgen aufgrund der hohen Energiekosten und auch wir werden durch die wirtschaftliche Lage belastet“, kündigt Esser ein „bodenständiges Jubiläumsjahr“ an mit einer zentralen Jubiläumsfeier und kleinen Mieterfesten in den Quartieren, „um unserer Heimatstadt und den Mitgliedern Danke zu sagen“.

Über seine eigene Bilanz als Vorsitzender seit gut 20 Jahren will Esser nicht viel sagen – und auch der nun 180 Seiten starke Jubiläumsband endet am Ende des 20. Jahrhunderts als dieser das Steuer der Genossenschaft von Hans-Jürgen Willmann mit übernimmt: Heute biete die einst aus der Wohnungsnot und ehrenamtlich gestartete Genossenschaft rund 100 Arbeitsplätze. Aber „wir wollten bewusst nicht selbst bewerten, was wir gemacht haben. Das sollen nach uns andere beurteilen.“

So fing die MWB in Mülheim an

Gründungstag der MWB war der 22. Juni 1898 im Haus Tersteegensruh im Witthausbusch. Dort kamen 23 Arbeiter und Handwerker des Evangelischen Bürger- und Arbeitervereins zusammen – „man traute den Katholiken nicht“, merkt Esser augenzwinkernd an.

Antriebsmotor bei der Gründung der Wohnungsbaugenossenschaft – damals noch Spar- und Bauverein der evangelischen Arbeiter und Bürger – war der stellvertretende Vereinsvorsitzende August Kirchberg. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum war mit ein Auslöser für die Gründung. Denn innerhalb eines Jahrhunderts war die Stadt von 12.000 auf rund 100.000 Einwohner gewachsen.

Kirchberg galt als Liberaler und führte die Genossenschaft ab 1900 als hauptamtlicher Geschäftsführer, bis er 1942 durch Heinrich Genner ersetzt wurde. Er verstarb am 31. August 1945.

Zehn Jahre hat der Journalist und Historiker Thomas Emons an der Aufarbeitung der Genossenschaftsgeschichte gearbeitet. „Viele Dokumente sind im Zweiten Weltkrieg durch Bomben vernichtet worden. Das Stadtarchiv, die Geschäftsberichte der Genossenschaft, aber auch die Berichterstattung in der Presse waren aber wertvolle Quellen.“

Die Chronik gibt es als PDF unter: www.mwb.info/fileadmin/user_upload/MWB-Chronik-125-Jahre_web.pdf

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