Gelsenkirchen. Herbert Knebels Affentheater präsentiert sich nach der Corona-Pause mit „Außer Rand und Band“ im Musiktheater. 34 Bühnen-Jahre merkt man nicht.

Die Kernfrage kommt noch vor dem ersten Akkord: „Wer steht hier alles auf Schlager? Dann seid ihr hier total verkehrt.“ Zwei Jahre hatten sie mit ihren Karten über die Corona-Pause ausgeharrt, jetzt wollten alle im Großen Haus des Musiktheaters im Revier hören, was sie immer hören wollen: Herbert Knebels Affentheater, das ganz tief in die Mottenkiste und vor allem heftig in die Saiten greift. Willkommen bei „Außer Rand und Band“.

Die Gelsenkirchener Fans beweisen ihre Geduld

Im Musiktheater herrscht weiter die Maskenpflicht, auch das erinnert die Fans an diesem Abend, dass noch längst nicht alles vorbei ist. Deutschlands bekanntester Frührentner schlurft mit seiner „Kapelle“ auf die Bühne wie eh und je und eröffnet zwei Stunden Vollgas-Programm bezeichnenderweise mit „Should I stay or should I go“ (The Clash). Die Fangemeinde antwortet darauf gar nicht erst. Denn dass sie alle hier sind, zeigt ihre Geduld.

Sie spielen sich die Bälle zu: „Ozzy Ostermann“ und Herbert Knebel sind „Außer Rand und Band“.
Sie spielen sich die Bälle zu: „Ozzy Ostermann“ und Herbert Knebel sind „Außer Rand und Band“. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Denn von Anfang Juni 2020 wurde das Konzert erst auf den Dezember, dann den Juni 2021 und auf den Januar 2022 geschoben.

Das müssen Ikonen abkönnen

Knebel zeigt, wo es langgehen wird und rockt und zuckt und reimt ohne Rücksicht auf Ikonen der Musikgeschichte gleich schon mal „Johnny Rotten“ auf „Hottentotten“. Das muss ein Punker abkönnen. Auch, dass Knebel die „Pogo-Polonäse“ fordert.

Es soll ja eigentlich das 100. Programm sein, hat die Truppe vorweg geschickt. Aber das wäre ja sowieso kein Grund zu feiern, weil „strenggenommen ist es erst das 15. Alle anderen – in Zahlen, 85 – sind der kritischen Selbstzensur zum Opfer gefallen. Immer wieder hieß es kurz vor der Premiere, „och nee, dat könn wir nich bringen. Zu lang, zu laut, zu krass, zu rund, zu lustig, zu gefährlich.“ Das gilt heute alles nicht, über zwei Stunden stemmt die „Kapelle“.

„Boah, glaubste“: Nach 34 Jahren im Affentheater darf sich der Frührentner auch mal setzen.
„Boah, glaubste“: Nach 34 Jahren im Affentheater darf sich der Frührentner auch mal setzen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Virtuose Instrumentalisten kalauern munter

Diesmal lässt sich Herbert bei den Solopartien auch schon einmal ablösen, da überbrücken Zwiegespräche oder zeigen „Ozzy Ostermann“, „Ernst Pichl“ und der „Trainer“ was sie solo an der Leadgitarre, am Bass und am Schlagzeug drauf haben.

Die Zeit hat es gut, vielleicht gnädig gemeint mit dem Affentheater, aber zwischen den schweißtreibenden („Ker, wat läuft die Suppe“) Songs stellen sie auch klar: Das Alter fordert Tribut, hinterlässt Spuren.

Hochzeitstag und Weltmeister

So gibt Frontmann Knebel zu, dass er schon mal Daten vergisst. Etwa seinen Hochzeitstag, „oder den von meine Frau“. So ganz einfach kann auch keiner sagen, wie oft Belgien Fußballweltmeister geworden ist. „Oder meinste etwa Brasilien?“ Klar schon mal: „Wat konnt ich mich früher erinnern. Nee, dat weiß ich schon gar nich mehr.“

Sie spielen die Bälle aus den kurzen Szenen weiter, die Musikgeschichte hat Vorlagen, die überall passen. Wenn Knebel seinen „Bachelor als Eintänzer inne Tanzschule“ gibt, schwebt das epochemachende „Let’s dance“ von David Bowie durch die Reihen.

Freikarten für Holzminden

Das Affentheater gesteht zu „Außer Rand und Band“ offen: „Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten, und 100 Programme haben ihre Spuren hinterlassen. Aber das hält uns nicht davon ab, auf der Bühne außer Rand und Band zu sein, wenn auch nur für einen kurzen Moment.“ Wer genau den dann entdeckt, erhält zwei Freikarten für den Auftritt direkt neben dem Don Bosco-Heim in Holzminden, heißt es.Wer diesen Schauplatz dann allerdings vergeblich bei den einschlägigen Ticket-Plattformen sucht, sei getröstet: Das Affentheater kommt mit seinem neuen, nächsten Programm „Fahr zur Hölle, Baby!“ am 21. September wieder. Und gar nicht so weit weg, es gastiert im Gemeinschaftshaus in Wulfen.

Sie legen nach, lassen nicht nach, und sie verzichten auch trotz des lang erwarteten Konzert-Termins nicht auf ihr Treffen der Selbsthilfegruppe der Anonymen Verkehrssünder, um ihre „Traumatas aufzuarbeiten“. Immerhin ist ja auch nicht zu akzeptieren, dass man „inne Fußgängerzone mit 120 geblitzt wird - dabei gibbet da gar kein Tempolimit“.

Das setzen sie dann respektlos um und spielen zu den Klängen aus Pink Floyds „Another brick in the wall“ ihr freches „Wir woll’n keine Politessen“.

Im Home Office recherchiert

Als Knebel dann mal wieder Luft holen muss, präsentiert er, was er im Home Office während Corona recherchiert hat. „Wisster dat, dat wir seit 34 Jahren auffe Bühne sind?“. Hat wohl keiner auf dem Schirm gehabt, Applaus, Jubel.

Aber „ein’ ham wer noch“, dafür ist das Affentheater gut. Der King, den „Ozzy Ostermann“ zum Schuss fast angekündigt hätte, „der kann nich“, aber die Queen. Tatsächlich kommt Knebel mit Perücke und Chintz-Kleidchen und bietet Tina Turner. Nur klingt sein „Simply the best“ nach zwei schweißtreibenden Stunden ganz klar wie „Ich stink’ wie die Pest.“