Gelsenkirchen. Corona ändert die Streik-Formate: Auf dem Parkplatz am Amphitheater wollen Gelsenkirchener Metaller protestieren. Das sind ihre Tarif-Positionen.
Die Metallbranche hat in Gelsenkirchen im vergangenen Jahr Federn gelassen. Traditionsbetriebe wie Seppelfricke oder die Küppersbusch Großküchentechnik wurden abgewickelt. Die Corona-Pandemie hat zudem deutliche Spuren hinterlassen – mental wie wirtschaftlich. Dennoch: Die Gesamtsituation ist deutlich besser als befürchtet, manche Sparten arbeiten längst unter Volllast, auch beim Stahl geht es deutlich aufwärts. Das sollte sich in der Tarifrunde 2021 der Elektro- und Metallindustrie spiegeln, finden Gewerkschafter und schalten auf Kampfmodus im Tarifstreit.
Gelsenkirchener Gewerkschafter sehen keinen Grund für Bescheidenheit
Die IG Metall geht „von einem Wirtschaftswachstum von vier Prozent für unseren Bereich aus“, so der kommissarische 1. Bevollmächtigte Ralf Goller. Entsprechend ist es für Betriebsräte und Gewerkschafter nicht an der Zeit, sich nach einer Nullrunde 2020 (Goller: „Da ging es vor allem um Bestandssicherung“) weiter in Bescheidenheit zu üben. Vier Verhandlungsrunden haben die Tarifparteien in den meisten Bezirken hinter sich. Lohnforderungen der Gewerkschaft in Höhe von vier Prozent stehen aus Sicht der IG Metall null Entgegenkommen von Arbeitgeberseite entgegen. „Es gibt nichts zur Beschäftigungssicherung, zur Entgeltzahlung, zur Ausbildungsübernahme“, ärgern sich Goller und Ugur Coskun, der 2. Bevollmächtigte der IG Metall Gelsenkirchen und Betriebsratsvorsitzender beim Automobilzulieferer ZF in Schalke-Nord ist.
Die Belegschaften wünschen sich mehr Wertschätzung
In den Belegschaften, stellen beide fest, brodele es. „Wir registrieren viel Wut in den Betrieben“, sagt Goller. „Die Enttäuschung der Arbeitnehmer“ nach einem Arbeitsjahr oftmals voller Ein- und Beschränkungen durch Kurzarbeit, aber auch mit harter, disziplinierter Arbeit unter Pandemie-Schutzbedingungen und ohne einen größeren Coronafall in den Betrieben sei „schon riesig“, so Coskun. Die Belegschaften wünschten sich mehr Wertschätzung, eben auch durch eine Tariferhöhung
Die letzte tabellenwirksame Entgelterhöhung hat es 2018 gegeben. Ginge es nach den Arbeitgebern, so Goller, solle das bis 2023 so bleiben. „Damit haben die Beschäftigten real Verluste“. Doch der Weg aus der Krise führe auch über die Binnennachfrage, eben den steigenden Konsum. „Das geht nicht ohne Geld.“ Daher soll der Druck nach Ende der Friedenspflicht erhöht werden.
Die Gewerkschaft erprobt in Corona-Zeiten ein neues Streikformat
Auch die Protestaktionen haben sich durch Corona verändert. Die Gewerkschaft erprobt – in besonderen Zeiten geradezu zwingend – ein neues Streikformat. Und erstmals in der Historie der Tarifauseinandersetzungen geht es dabei auch um Hygienekonzepte samt Zustimmung von Gesundheitsämtern: IG-Metall-Trucks touren durchs Land, die Beschäftigten kommen im Auto zum Protestort, besetzt mit maximal zwei Personen. Am 4. März wird von 13 bis 15 Uhr der Parkplatz am Amphitheater direkt an der Grothusstraße zum Kundgebungsort mit Reden, Videoclips und Musik.
Kundgebungsort Parkplatz
Für rund 700.000 Metaller verhandelt die Gewerkschaft in NRW. Mit ihren Kundgebungen auf Parkplätzen hat die IG Metall Dienstag begonnen. Der IG Metall-Truck macht am 4. März von 13 bis 15 Uhr am Parkplatz des Amphitheaters Station. Die Teilnehmer der Aktion werden aus ihren Autos heraus Reden, Musik und Video-Botschaften verfolgen.Bezirksleiter Knut Giesler, Verhandlungsführer der IG Metall NRW, wird als Hauptredner erwartet.
600 Beschäftigte ins sechs lokalen Betrieben werden allein in Gelsenkirchen zum Warnstreik aufgerufen. Da die IG Metaller in Gelsenkirchen, Mülheim, Essen und Oberhausen gemeinsam die Tarifaktion im „Autokino-Format“ planen, wird Verstärkung aus den betreffenden Städten erwartet. Laut Goller sollen sich von dort rund 15 weitere Firmenbelegschaften an der Aktion beteiligen.
Ralf Goller: „Wir sollten nicht Rituale um des Rituals willen pflegen“
Eine Einigung während der Friedenspflicht ist nicht gelungen. Arbeitgeber sehen in der heterogenen und fragilen Lage Arbeitsplätze gefährdet, drücken auf die Kostenbremse. Vor allem in Süddeutschland sei der Widerstand auf Arbeitgeberseite besonders groß, stellt Goller fest. Der Gewerkschafter betont: „Wir sollten nicht Rituale um des Rituals willen pflegen, aber wenn keine Bewegung sichtbar ist, sind wir gehalten zu zeigen, dass Gewerkschaften auch in solchen Zeiten handlungsfähig sind und PS auf die Straße bringen.“
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Angst und Sorge um Arbeitsplätze und Jobverlust haben 2020 bestimmt. Das beschäftigt die Kollegen“, sagt Ugur Coskun. Die Tarifrunde könne dazu beitragen, dass „alle gesund aus der Krise kommen“. Die bisherige Haltung der Arbeitgeberseite, stellt der Betriebsrat fest, habe erst den Protestwillen der Belegschaften „wachgeküsst“, auch nach dem 4. März könne man nachlegen. „Eskalation können wir. Wir sind steigerungsfähig.“
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