Oberhausen. 1934 rückten Arbeiterkolonnen zum Autobahnbau im Sterkrader Wald an: Für das NS-Regime ein Dilemma, wie ein Oberhausener Heimatforscher meint.
Seit dem Sommer 2016 läuft in Oberhausen eine intensive Autobahndebatte. Soll das Autobahnkreuz im Sterkrader Wald ausgebaut werden? Ein breites Bürgerbündnis hat sich im Stadtnorden von Oberhausen gegen diese Pläne des Bundesverkehrsministeriums formiert. Noch gibt es keinen Planfeststellungsbeschluss. Das Jahr 2022 könnte entscheidende Weichenstellungen bringen.
Einen ähnlich großen Auftritt in der Berichterstattung hatte der Sterkrader Wald vor fast 90 Jahren, allerdings unter völlig entgegengesetzten Vorzeichen. Damals gab es keine freie Debatte über Sinn und Zweck des Autobahnbaus; das NS-Regime ordnete das Projekt an – und die Baukolonnen rückten an.
In den Jahren 1934 bis 1936 wurde für den Bau der Autobahn Oberhausen-Berlin eine 26 Meter breite Schneise durch den Sterkrader Wald gefräst. Das berichtet der Schmachtendorfer Heimatforscher Tobias Szczepanski, der dieses spezielle Kapitel der Oberhausener Stadtgeschichte ein wenig erforscht hat.
Die zu diesem Zeitpunkt längst gleichgeschaltete Presse, etwa der Duisburger General-Anzeiger, stellte mit Blick auf die Rodungen im Sterkrader Wald am 29. Juli 1935 lakonisch und zugleich umständlich fest: „Der Sterkrader Wald wird zwar durch die Autobahn in zwei Hälften geteilt, aber die Notwendigkeit war nicht zu umgehen.“
Andere Zeitungen hätten sich in jenen Jahren ähnlich schwammig geäußert, berichtet Tobias Szczepanski – was eventuell darauf hindeutet, dass es in der lokalen Bevölkerung so manche Bedenken gegen das rigorose Abholzen der Bäume gegeben haben mag. Bedenken, die allerdings nicht frei in der Öffentlichkeit geäußert werden konnten, ohne eine Verfolgung durch die NS-Machthaber befürchten zu müssen.
Der Wald als Propaganda-Instrument
Tatsächlich habe die NS-Regierung mit dem Autobahnbau und dem Abholzen größerer Waldflächen in einem gewissen Dilemma gesteckt, so Tobias Szczepanski. Einerseits habe man den technischen Fortschritt als Beleg für eine angebliche eigene Überlegenheit propagieren wollen, andererseits habe die NS-Ideologie den Wald gerne als „Quelle allen Deutschtums“ stilisiert – eine Quelle, die es zu schützen und zu erhalten gelte.
Erste Autobahn schon 1932
Die Nazis sind keineswegs die „Erfinder“ der Autobahn, wie vielfach immer noch behauptet. So gab es in Deutschland schon ab 1932 eine erste kreuzungsfreie Autostrecke, die damalige Rheinische Provinzialstraße zwischen Köln und Bonn; heute die Autobahn 555.Diese 20 Kilometer lange Strecke wurde 1932, also noch in der Weimarer Republik, vom damaligen Kölner Oberbürgermeister und späteren, ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer eröffnet.
Tobias Szczepanski hält das allerdings für pure nationalsozialistische Propaganda, denn: „Ein wirkliches Interesse am Wald hatte die NS-Regierung nur, wenn es darum ging, den Ertrag zu steigern“, formuliert der Heimatforscher aus Schmachtendorf. Man müsse versuchen, „so viel wie möglich aus dem deutschen Wald herauszuholen“, sei zum Beispiel als ein Zitat von Hermann Göring dokumentiert.
Als ab dem Jahr 1934 die Baukolonnen zum Autobahnbau im Sterkrader Wald anrückten, sei das für die Schmachtendorfer Kinder allerdings eine echte Attraktion gewesen, ergänzt der Schmachtendorfer Heimatforscher. Die Kinder der Umgebung hätten den großen Maschinen gern und neugierig bei der Arbeit zugeschaut. Findige Anwohner der Hiesfelder Straße hätten diesen Ansturm junger Schaulustiger gut zu nutzen gewusst und aus ihren Küchenfenstern heraus gewinnbringend Speiseeis verkauft.
Tobias Szczepanski: „Heute sind all diese Geschichten längst Teil der Vergangenheit, der Wald ist erschlossen, seit dem Jahr 1950 ist er im Besitz der Stadt Oberhausen, die ihn damals für eine Million DM vom Freiherrn von Nagell als Erholungsraum für die Bevölkerung erwarb.“
Legende um einen Baumstumpf
Zeuge dieser vergangenen Zeit sei der gewaltige Baumstumpf am Bürgermeistersweg in der Nähe des Parkplatzes Hiesfelder Straße. Ob dieser Baumstumpf, wie es die Legende besagt, tatsächlich einmal der Grenzbaum zwischen den Gemeinden Hiesfeld und Sterkrade gewesen sei, lasse sich heute allerdings nicht mehr belegen.