Oberhausen. Aus Recherchen und Gesprächen mit Zeitzeugen soll ein Schauspiel entstehen – mit vielen Verbündeten. Das Ergebnis ist nicht nur ein Theaterabend.
Von vermeintlich dröger Pflicht zu kunstvoller Kür: Zu den Pflichtaufgaben des Stadtarchivs gehört auch „die Veröffentlichung von Archivgut“. Doch mit vielen Verbündeten macht Magnus Dellwig als Leiter des Stadtarchivs weit mehr daraus: nämlich eine Theaterproduktion zur Oberhausener Migrationsgeschichte für die Spielzeit 2021/‘22.
Ohne Zuwanderung kein Oberhausen: Schließlich war hier vor 170 Jahren nicht viel mehr als „öde Heide“, wie es damals hieß, und ein brandneuer Bahnanschluss. Und das gemeinsame Projekt von Stadtarchiv und Theater Oberhausen mit dem Verein Kitev (Kultur im Turm) sowie Integrationsrat und kommunalem Integrationszentrum spannt den weiten Bogen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Eine Laiengruppe mit möglichst vielfältigem Hintergrund soll sich finden: „Das ist die Grundorientierung“, erklärte Magnus Dellwig im Kulturausschuss. Und darin liegt derzeit schon die größte Hürde für das ambitionierte Projekt.
Denn im nur leicht gelockerten Lockdown, der selbst die Bühnenprofis zu ständigem Umdisponieren zwingt, lässt sich eine ganz neue Schauspielgruppe noch nicht ins Leben rufen. „Im April entscheiden wir“, so der Leiter des Stadtarchivs, „wie wir dafür werben“.
Kooperation zwischen Kunst und Wissenschaft
Eine wichtige Voraussetzung aus Archiv-Perspektive ist die weitere Anstellung für zwei Jahre von Daniel Simon Böhmer: Der 35-jährige Historiker pflegte bereits in den Vorjahren die Kontakte zwischen den Schulen und dem „Gedächtnis der Stadt“. Mit 100.000 Euro übernimmt die regionale Kulturförderung des Landschaftsverbands LVR das Gros der Personalkosten.
Fast schwärmerisch gratulierte für die SPD Axel J. Scherer zu dieser „Kooperation zwischen Kunst und Wissenschaft“. Tatsächlich sollen die Mitwirkenden auf und hinter der Bühne ja erst jene Texte, Szenen und deren Hintergründe recherchieren, die sich schließlich zu einem abendfüllenden Bühnenwerk verbinden lassen. Akten, Schriften, Karten und Zeitungen aus dem Archiv sieht Magnus Dellwig gleichwertig neben den Erinnerungen von Zeitzeugen. Die für ihn spannende Frage lautet, „ob der Begriff des Schmelztiegels Ruhrgebiet wirklich zutrifft“.
Federführend auf künstlerischer Seite ist die Theaterfaktorei, die sich – von Kleinkindern bis Senioren – um nahezu alle Gruppen der Stadtgesellschaft bemüht. Derzeit bleibt ihr allerdings ebenfalls nur der Wechsel ins Digitale – und damit eingeschränkte theaterpädagogische Möglichkeiten. Zum Anliegen des zweijährigen Förderprojektes mit einem Gesamtvolumen von fast 185.000 Euro zählt schließlich auch, Erfahrungen in Schauspiel und Dramaturgie zu vermitteln. Doch auch wer nicht selbst auf die Bühne treten möchte, versichert Magnus Dellwig, könne sich vielfältig beteiligen.
Fehlt nur noch ein treffender Name
„Befreundete Schulen“ will das Projekt ebenso erreichen wie die unter dem Kitev-Dach beheimatete Freie Universität Oberhausen. Aus dem Kulturausschuss gab’s Komplimente für diese umfassende Arbeit an einem großen Thema. Manfred Flore als Ausschussvorsitzender erinnerte sich seiner eigenen Nachforschungen zu jahrzehntealten Ressentiments gegen polnische Migranten in Sterkrade: „Heute begreifen wir hoffentlich etwas schneller: Die Leute gehören zu uns.“
Nicht nur für einen Theaterabend
In ihrem Ausblickauf die kommende Spielzeit 2021/’22 versprach Simone Sterr, die geschäftsführende Dramaturgin des Theaters Oberhausen, der gemeinsamen Produktion mit dem Stadtarchiv mehr als nur eine Aufführung: „Wir wollen diesen Theaterabend in unserem Repertoire fest verankern.“Kontakt zum Stadtarchiv in der Liricher Eschenstraße 60 und zu Daniel Simon Böhmer können Interessierte per E-Mail über danielsimon.boehmer@oberhausen.de oder unter 0208 3095 209 32 aufnehmen.Die Theaterfaktorei bietet Projekte und Werkräume für alle, die Theater nicht nur als Publikum erleben möchten und ist zu erreichen per Mail an theaterfaktorei@theater-oberhausen.de.
Eigentlich fehlt’s also nur noch an einem treffenden Namen für dieses „kommunale Kulturförderprogramm“ – und an einem Starttermin.