Oberhausen. Ernst Kircher landet als Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime im Börgermoor. Bei einer Zirkusvorführung der Gefangenen nutzt er seine Chance.
Wussten Sie, dass der Oberhausener Ernst Kircher den Nationalsozialisten in seiner Rolle als Zirkusdirektor einst ihre Grausamkeit vor Augen hielt? Der Widerstandskämpfer aus unserer Stadt riskierte viel. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar erinnert der Oberhausener Historiker Klaus Oberschewen an seine längst vergessene Geschichte. Hier ist sie.
Ernst Kircher wurde am 3. Februar 1909 in Oberhausen geboren. „Er war Mitglied der KPD und bis 1933 Stadtverordneter", erzählt Oberschewen. Nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler und die NSDAP habe er illegal in Oberhausen und Umgebung leben müssen, „weil er aufgrund seiner Bekanntheit in Oberhausen ständig mit der Verhaftung rechnen musste". Doch alle Vorsicht half nicht: Am 6. Mai 1933 erwischte es ihn.
Im Sommer 1933 wurde er ins Emslandlager Börgermoor bei Papenburg gebracht. Dort mussten die Gefangenen die unfruchtbaren Moore urbar machen und Torf abbauen. Hier trafen sich viele Antifaschisten aus dem Ruhrgebiet wieder, sie organisierten den Widerstand in den Lagern.
Der Gruppe um den Düsseldorfer Regisseur Wolfgang Langhoff angeschlossen
Ernst Kircher schloss sich einer Gruppe um den Regisseur Wolfgang Langhoff aus Düsseldorf an, die unter dem Namen „Zirkus Konzentrazani" sogar eine Revue vor zahlreichen SA-Wächtern und rund 600 Gefangenen aufführte, die später einige Berühmtheit erlangen sollte. „Am 27. August 1933 wurde das dreistündige Stück mit Ernst Kircher als Direktor Konzentrazani uraufgeführt, der mit hintergründigem Witz die Sketche miteinander in Verbindung setzte", führt Klaus Oberschewen aus. „Die Zirkusaufführung selbst schilderte in Form einer Persiflage die Sorgen und Nöte der Häftlinge in humorvoller, bisweilen sogar frecher Weise." Getarnt durch eine ordentliche Prise Ironie habe der „Zirkus Konzentrazani“ die Verhältnisse im Lager aber auch heftig kritisiert.
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Kircher spielte den Zirkusdirektor mit einem aus Karton gebastelten Zylinder und langer Peitsche. Dazu schrieb Hans Müller, sein späterer Weggefährte im Oberhausener Widerstand, in „Führung gut – politisch unzuverlässig. Lebensstationen eines Nazigegners aus Oberhausen": In Anspielung auf die Behandlungspraktiken der Bewachung habe Kircher eine Raubtierdressur vorgeführt, wobei bräunlich angetönte Raubtiere ihren Opfern nachjagten und Panik erzeugten. „Ein Clown lief ständig mit einem meterlangen Fernrohr durch die Manege und suchte nach dem verschwundenen Teil der immer kleiner werdenden Verpflegungsportionen", heißt es bei Müller weiter.
Als Schlussnummer kündigte Kircher übrigens den Gefangenenchor an, der zum ersten Mal das „Moorsoldatenlied“ vortragen sollte. „Das war die Welturaufführung eines Liedes, das Sinnbild für Widerstand und Solidarität bis zum heutigen Tag geblieben ist", sagt Oberschewen.
Verurteilt wegen Vorbereitung zum Hochverrat
Ernst Kircher schloss sich später in Oberhausen der Widerstandsgruppe um Hans Müller und Robert Rentmeister an, die im Keller des Josefs-Hospitals antifaschistische Flugschriften herstellten und im Stadtgebiet unter Lebensgefahr verteilten. Alle Mitglieder dieser Gruppe sollten erneut verhaftet werden.
Kircher wurde am 20. April 1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat vom Oberlandesgericht Hamm zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Haft wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Am 23. April 1944 wurde er aus dem Konzentrationslager Flossenbürg nach Oberhausen entlassen.
Den Weg für die Demokratie freimachen
Als Abgeordneter der KPD gehörte Kircher nach Kriegsende dem ersten Oberhausener Stadtparlament an. Dort und in seiner Partei übernahm er zahlreiche Aufgaben im Bereich der kulturellen Bildung und der Geschichte der Arbeiterbewegung. „Mit dem ebenfalls im Widerstand aktiven Sozialdemokraten Heinrich Jochem aus Lirich war er Sprecher eines Ausschusses zur Wiedererrichtung des Denkmals für die Gefallenen der Märzrevolution 1920, das von den Nazis zerstört worden war", fand Oberschewen heraus.
Am 26. Mai 1946 wurde das neue Denkmal der Öffentlichkeit übergeben. Ernst Kircher hielt dabei die Festrede. Darin sagte er: „Heute gilt es zu vollenden, was 1848 nur schwach begonnen wurde. Es gilt heute, den Weg freizumachen für die demokratische Gestaltung unseres gesamten Lebens."
Ernst Kircher wohnte an der Lothringer Straße 132. Er verstarb am 28. Juli 1958 im Alter von 49 Jahren in Oberhausen.