Oberhausen. Wer aus Russland stammt oder auch nur russisch spricht, wird nach dem Überfall der Ukraine oft angefeindet. Dabei gibt es auch große Solidarität.
Beschmierte und eingeschlagene Scheiben in einem osteuropäischen Supermarkt (wir berichteten); Mütter, die ihren Kindern einbläuen, niemandem zu erzählen, dass sie aus Russland stammen – viele Oberhausener, die ihre Wurzeln in einem ehemaligen Sowjetstaat haben, deren Muttersprache Russisch ist, fühlen sich seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine verleumdet und zu Unrecht verdächtigt, den Angriff Putins zu unterstützen. „Unsere Gedanken sind bei den Ukrainern“, sagt Lev Schwarzmann, Leiter der Liberalen Jüdischen Gemeinde Perusch in Oberhausen, deren Mitglieder zum Großteil familiäre Beziehungen zu Russland haben.
Am Gebäude von Schwarzmanns Gemeinde, die 150 Mitglieder hat, hängt seit einigen Tagen eine ukrainische Fahne. Bisher hätte sich niemand darüber beschwert. „Unsere Gemeinde ist vernünftig“, sagt der 75-Jährige. Einige wenige, die vielleicht dagegen sein könnten, würden schweigen. „Die schauen russisches Fernsehen und sind von der russischen Propaganda vergiftet.“ Alle anderen hätten Freunde und Verwandte in der Ukraine – und litten jetzt mit ihnen. „Alle weinen“, sagt Schwarzmann und erzählt von der Schwiegermutter eines Gemeindemitglieds, die sich immer noch in der stark getroffenen Stadt Charkiw befindet. „Sie ist dement und ganz alleine in einem neunstöckigen Gebäude ohne Aufzug. Sie schafft es nicht, in den Keller zu gehen.“
Angst vor Repressalien in der alten Heimat
Aus Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan und vielen anderen Ländern stammen die Angehörigen der Liberalen Jüdischen Gemeinde Perusch, Lev Schwarzmann selbst ist in Moldawien geboren, sein Vater in Russland, seine Mutter in Rumänien. „Das spielt alles keine Rolle“, sagt er. „Wäre ich in Afrika geboren, würde ich mich auch an die Seite der Ukrainer stellen.“ Nicht jeder schafft es, sich so klar zu positionieren. Das müsse man verstehen, erklärt der Ehepartner einer Russin, der gerne anonym bleiben möchte. „Die Leute denken, dass man in Russland einfach so auf die Straße gehen könnte“, sagt er. Tatsächlich ist dies äußerst gefährlich, es gab bereits tausende Verhaftungen. Und auch hier hätten viele Angst, sich Putin-kritisch zu äußern: „Man möchte ja noch einmal hinreisen.“
Linke verurteilt Anschläge auf Laden
„Wir verurteilen diese Anschläge auf das Schärfste“, erklärt die Oberhausener Linke nach den zwei Attacken auf den osteuropäischen Supermarkt „Kauver“. „Diese Angriffe sind eindeutig rassistisch motiviert, mit legitimem Protest gegen den Krieg in der Ukraine hat dieses Vorgehen nichts zu tun“, sagt der Fraktionsvorsitzende der Partei, Yusuf Karaçelik. „Hier soll ein Klima der Angst für die russischstämmige Bevölkerung in unserer Stadt und darüber hinaus geschaffen werden.“Die Linke erklärt sich solidarisch mit den Ladenbesitzern und allen von Anfeindungen betroffenen Menschen: „Wer versucht, die aktuelle schwierige Situation im Kontext des Krieges in der Ukraine für Hetze auszunutzen, muss auf den geschlossenen Widerspruch aller Antifaschist*innen und Friedenskräfte stoßen.“
Die Berichterstattung in den deutschen Medien empfinden viele Russlandstämmige als einseitig. „Die Welt ist nicht schwarz und weiß“, sagt Irina Klychnikova, und zur politischen Lage in Russland und der Ukraine: „Ihr wisst hier auch nicht alles.“ Worauf auch immer die 59-Jährige anspielen will, die in Russland zur Welt gekommen und in Turkmenistan aufgewachsen ist, zum Thema Krieg hat sie eine klare Meinung: „Wir sind keine Feinde.“ Fünf Tage lang habe sie geweint wegen der Gefechte, sich gesorgt um ihre Studienfreundin, die in der Ukraine lebt. „Sie hat es mit ihren Kindern nach Berlin geschafft“, erzählt sie. „Ich will versuchen, sie zu mir nach Oberhausen zu holen.“
Spendensammlung für Kriegsopfer beim vermeintlichen Feind
Im osteuropäischen „Kauver“-Markt an der Seilerstraße haben sie den blinden Hass auf alles, was russisch sein könnte, gleich zwei Mal zu spüren bekommen. Erst wurden die Scheiben mit „Putin Mörder“ beschmiert, dann eingeschlagen. Der Staatsschutz ermittelt wegen einer politisch motivierten Straftat. Der Inhaber, halb Russe, halb Deutscher, will seiner multikulturellen Kundschaft gegenüber neutral bleiben. „Ich bin Geschäftsmann und verkaufe Waren aus vielen verschiedenen Ländern“, sagte er uns bei einem Besuch vor Ort. Russen finden im bunt gemischten Sortiment ebenso ihre Zutaten fürs Lieblingsessen aus der Heimat wie Ukrainer. Politische Meinungen sollen außen vor bleiben. Und dennoch: Seit Kurzem können hier Spenden für die Opfer des Krieges abgegeben werden. Dies sei keine Botschaft in irgendeine Richtung, versichert die Sprecherin der „Kauver“-Kette; „Wir möchten einfach nur helfen.“
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