Gelsenkirchen. Fast ein Drittel seines Lebens war Peter Plessa arbeitslos. Der Gelsenkirchener hatte Höhen und noch mehr Tiefen. Wie er aus der Lebenskrise kam.

Dieser Zustand prägte fast ein Drittel seines ganzen Lebens. Immer war es irgendwie knapp, das Geld und überhaupt, dann dieser Druck, dazu die Belastung. 18 Jahre war der Gelsenkirchener Peter Plessa ohne langfristige Anstellung unterwegs, fast zwei Jahrzehnte langzeitarbeitslos. In dieser Zeit mit wenig Höhen, umso mehr Tiefen – wie kann einer das ertragen, was hat das mit Peter Plessa gemacht? Dies ist seine Geschichte.

Langzeitarbeitslos: Wie der Gelsenkirchener Peter Plessa neue Zuversicht bekam

Und zu seiner Geschichte gehören auch die Momente, in denen er aufgeben musste, aufgeben wollte. Sich, das Leben, die Familie. Aber im Grunde, da steckte er ja immer in ihm, dieser doch auch positive Peter, der er heute ist. Sonst hätte er das alles doch nicht geschafft! Und wäre nicht da, wo er seit Mai 2019 steht – in der Mitte der arbeitenden Bevölkerung. Mit Perspektive.

Es ist der 6. Mai 2019. Der erste Arbeitstag des 60-Jährigen an einem der bekanntesten Orte der Stadt. Dem Teilhabechancengesetz sei Dank wird Peter Plessa im Musiktheater im Revier (MiR), beschäftigt mit der Arbeit an der Haus- und Bühnentechnik dort, neue Zuversicht finden. Eine Zuversicht, die ihn vor fast einem Jahr als Teil der städtischen Imagekampagne „… weil es unsere Stadt ist!“ Sätze sagen lässt wie: „Ich war wie eingeklemmt und fühle mich jetzt so langsam befreit“.

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„Ich bin nicht immer mit allem einverstanden, was in Gelsenkirchen passiert“

Diese Befreiung, sie begleitet ihn wohl auch heute noch. Wie würde er sich selbst beschreiben? „Hilfsbereit“, ist seine erste, sehr nachdenkliche Antwort. Das zehrt: „Ich bleibe da selbst manchmal auf der Strecke“, weiß der 60-Jährige heute, an diesem Tag im Dezember, an dem eigentlich alles gut ist. „Bis auf Corona, aber mit dem Mist haben wir ja alle zu kämpfen.“ Wahre Worte. Mehr braucht es nicht.

Peter Plessa vor dem Gelsenkirchener Musiktheater im Revier: Nach fast zwei Jahrzehnten in der Arbeitslosigkeit hat er hier einen Job mit Perspektive gefunden.
Peter Plessa vor dem Gelsenkirchener Musiktheater im Revier: Nach fast zwei Jahrzehnten in der Arbeitslosigkeit hat er hier einen Job mit Perspektive gefunden. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Peter Plessa wird Anfang September 1960 in dieser Stadt geboren. Er verbringt seine ersten drei Lebensjahre in Scholven. Es folgt ein kurzer Abstecher nach Gladbeck. Und dann: Immer wieder Gelsenkirchen. Seiner Heimat, seiner Stadt, bleibt er treu. Heute wohnt er in Ückendorf und sagt bei aller Liebe Sätze wie: „Ich bin nicht immer mit allem einverstanden, was in Gelsenkirchen passiert.“

Er gründet eine Familie – und wird zum ersten Mal arbeitslos

Er macht eine Lehre zum Kfz-Schlosser, damals noch bei der Bundesbahn, weitere berufliche Stationen kommen mit der Zeit hinzu. Er gründet eine Familie – drei Kinder, darunter Zwillinge. Und dann wird Peter Plessa zum ersten Mal arbeitslos. Es waren familiäre Probleme, die ihn zu einem von denen werden ließen. Der Druck auf den jungen Peter von einst wächst.

Und dann kommt dieser Moment, der vielleicht der bedeutendste seines Lebens ist. Als er mit seiner kleinen Tochter unterwegs ist. Ein Spaziergang, mit dem Dreirad. „Unterwegs bin ich zusammengebrochen.“ Peter Plessa kann sich irgendwie nach Hause schleppen, den Notruf wählen. „Im Krankenwagen habe ich gemerkt, wie mein Herz stehen geblieben ist“, berichtet der echte Gelsenkirchener ganz nüchtern. Und man mag ihm seine Worte kaum glauben: „Da habe ich aufgegeben. Habe gesagt, die sollen mich sterben lassen.“

Peter Plessa wird vier Mal reanimiert und wacht im Krankenhaus auf

„Da kam so vieles zusammen, ein irrer Druck war das. Ich war einfach nur froh, dass der ganze Schmerz vorbei war und Ruhe einkehrte.“ Peter Plessa wird vier Mal reanimiert. Er wacht im Krankenhaus auf, will nur „schnell wieder raus“. Seine medizinische Behandlung übernimmt der Hausarzt, das wollte der Gelsenkirchener so. Als „ziemlich niedergeschlagen“ beschreibt er seinen Zustand in dieser Zeit.

Das Teilhabechancengesetz

Das Teilhabechancengesetz schafft mit zwei neu eingerichteten Fördermöglichkeiten neue Chancen für Menschen, die über mehrere Jahre arbeitslos, sind. Es ist am 1. Januar 2019 in Kraft getreten.„Mit intensiver Betreuung, individueller Beratung, wirksamer Förderung und der gezielten Suche nach passenden Arbeitgebern schaffen die neuen Förderungen neue Perspektiven für Menschen, die ohne Unterstützung absehbar keine realistische Chance auf einen regulären Arbeitsplatz haben“, heißt es auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Später dann, es vergingen Jahre, fängt er als LKW-Fahrer an. Und noch so ein bedeutender Moment: Mitten während der Fahrt, mit noch immer schwerer Last auf den Schultern und auf seinem Auflieger, spürt Peter Plessa seine Beine nicht mehr. „Wahrscheinlich war’s meine Hauptschlagader“, sagt er. Den LKW bekommt er zum Stehen, seine gerade angelaufene neue Job-Verpflichtung auch: nach nur anderthalb Wochen verlässt Plessa sofort den Betrieb.

Nach Jahren als Ein-Euro-Jobber folgt wieder die Arbeitslosigkeit

Peter Plessa findet irgendwann in diesem besonderen Leben eine neue Aufgabe: als Ein-Euro-Jobber im Sozialwerk St. Georg. Da gab es viele „wunderbare Erlebnisse“, an die er sich so gerne erinnert. Doch auch hier steht die Endlichkeit im Raum. Und wird später, nach sieben Jahren, Realität. Es folgt wieder: Arbeitslosigkeit.

„Ich habe mich hängen lassen“, erinnert er sich. Im Privaten ist Plessa irgendwann dann zur rechten Zeit am rechten Ort – irgendwie scheint’s, als ob sich alles fügt. Durch einen Zufall kommt er zu den Oldtimern, die jetzt sein Leben bedeuten. Und das als gelernter Kfz-Schlosser! Er bekommt die Chance, ein Oldtimer-Treffen zu organisieren.

„Das ist wie Klein-Hollywood, das kann man sich nicht vorstellen“

Im Mai 2016 findet Plessas erstes Mantatreffen statt – die Resonanz, die Begeisterung ist riesig. „Da war für mich der Punkt: Jetzt geht’s aufwärts!“ Kann man sich nicht ausdenken: Es werden natürlich viele viele weitere folgen. „Diese Aufgabe hat mich so richtig ausgefüllt“, so der Gelsenkirchener. Und sie tut es auch heute noch. Plessa plant schon für’s Jahr 2021, voller Freude und Zuversicht, auf das, was da noch kommt.

„Gearbeitet habe ich ja eigentlich immer“, sagt Peter Plessa auch – und es klingt fast entschuldigend. Nur lange Zeit ohne feste Aussichten. Doch seit Mai 2019 ist eben alles anders: Er könne sich privat wieder was leisten, fühle sich total wohl am MiR. „Wissen Sie“, erzählt der echte Gelsenkirchener Plessa begeistert, „das ist wie Klein-Hollywood, da ist alles selbst hergestellt. Das kann man sich nicht vorstellen.“

Peter Plessa hat am Kennedyplatz seinen Traumjob endlich gefunden, so scheint es. „Ich hab’ das Lachen wieder gelernt“, sagt der Ückendorfer. Vielleicht auch aus einem einfachen Grund: „Weil das Leben einfach schön ist.“