Oberhausen. Fotokünstler Patrick Lohse präsentiert sein Projekt „Stadt/Archiv“ als Buch und Ausstellung: Eine anregende Auseinandersetzung mit Straßennamen.

Namen sind Schall und Rauch, heißt es. Dass sie auch den Zeitläuften unterliegen, wissen wir spätestens seit dem beißenden Spott über „Kevin, Matsel und Jackeliene“, deren mutmaßlicher Sozialstatus hübsch vulgärpsychologisch gerne gegen einen Theo oder eine Friederike ausgespielt wird. Und dass Namen auch belastet sein können, zeigt sich an den immer mal wieder aufflammenden Diskussionen über Straßennamen.

Im Mittelalter waren die noch selbsterklärend: In der Tuchmachergasse fanden sich die Weber, am Schweinemarkt wurden ebensolche gehandelt und die Adresse „Am Friedhof“ war auch für Ortsfremde leicht zu finden. Was sich im Zeitalter der Industrialisierung zu ändern begann. Neue Straßen brauchten ihren Namen, die mal mit Sinn und Verstand, oft aber auch aus politischen Gründen vergeben wurden. So zur Erinnerung an vermeintlich „glorreiche“ Schlachten.

Die Autorin Tina Adomako ergänzt Lohses Fotobuch mit einem sehr persönlichen Text.
Die Autorin Tina Adomako ergänzt Lohses Fotobuch mit einem sehr persönlichen Text. © Unbekannt | Tina Adomako

Was heutigen Menschen fragwürdig erscheinen mag, nahm der Bochumer Fotokünstler Patrick Lohse zum Anlass für sein Projekt „Stadt/Archiv“, das nun als Buch bei einer Podiumsdiskussion in der VHS präsentiert wurde. Während seiner zweimonatigen Residenz 2021 im Kunsthaus Mitte, wo „Stadt/Archiv“ jetzt auch als Ausstellung zu sehen ist, forschte der 39-jährige Kamerakünstler zu im Stadtbild bislang nicht sichtbaren Heldinnen und Heroen. Und verknüpfte dies mit einer kritischen Auseinandersetzung jener als „fragwürdig“ anzusehenden Oberhausener Straßennamen.

Was wohl Kuro über diese Ehre gedacht hätte?

Blättert man durch sein gut 140-seitiges Buch, so sieht man im unverkennbaren Stil der Folkwang-Fototradition reichlich schwarz-weiß dokumentierte Stadtansichten. Lohses Kunstgriff kommt völlig harmlos daher, beginnt jede Bildfolge doch mit einem Straßennamen – als erstes „Ricarda-Huch-Straße“. Es folgen weitere Namen, die den wenigsten etwas sagen dürften. Dann freut man sich über die „Fasia-Jansen-Straße“ samt dem einzigen doppelseitigen Foto, erinnert sich angesichts der „Hilmar-Hoffmann-Straße“ versonnen an den großen Kulturpolitiker und Begründer der Kurzfilmtage und fragt sich angesichts einer bieder-bürgerlichen Idylle, was wohl Walter „Kuro“ Kurowski über diese Ehre gedacht hätte.

Wer nun stutzt – „eine Kuro-Straße gibt’s doch gar nicht“ – der hat den politischen Ansatz von Patrick Lohse erkannt. Zeigt der doch mit seinem Projekt, dass ein „Warum eigentlich nicht?“ durchaus seine Berechtigung hat. Weshalb sich nach den Bilderstrecken zu jedem der fiktiven Straßennamen eine Biografie der suggerierten Persönlichkeiten findet samt dem nüchternen Hinweis „Zum Zeitpunkt der Aufnahme hieß die Straße …“ – in Kuros Fall Beselerstraße, die aus patriotischen Gründen weiland einem preußischen General gewidmet wurde.

Paul Reusch (1868 bis 1956), hier porträtiert in einer Bronze aus der „Wendezeiten“-Ausstellung im LVR-Industriemuseum.
Paul Reusch (1868 bis 1956), hier porträtiert in einer Bronze aus der „Wendezeiten“-Ausstellung im LVR-Industriemuseum. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Ein eher harmloses Beispiel für die Frage, wie man heute mit historisch begründeten Straßennamen umgehen sollte. Dass es auch deutlich komplizierter sein kann, zeigt dagegen die seit langem diskutierte, nach dem ehemaligen GHH-Vorstand und Industrie-„Herrscher“ benannte „Paul-Reusch-Straße“. Ist der Name noch unbedenklich, wenn auch kritisch zu sehen, oder doch problematisch, weil politisch belastet? Diese Frage blieb auch nach der lebhaften Podiumsdiskussion offen.

Umbenennung braucht einen ganz langen Atem

Einig war man sich im Bert-Brecht-Haus an der Paul-Reusch-Straße nur darüber, dass die einem rassistischen Kolonialbeamten, der in Afrika schwer gewütet hatte, gewidmete „Wißmannstraße“ (die Schreibweise ist eh diskutabel) umbenannt gehöre. Doch warum eigentlich, könnte man doch mit diesem Namen auch den Popsänger Konrad Wissmann oder den ehemaligen Präsidenten des Bundessozialgerichts, Helmut Wißmann, verbinden. Schließlich gilt immer noch das berühmte soziologische Diktum: „Der Interpret ist für seine Interpretationen selbst verantwortlich.“

Was kritische Reflexionen ja keinesfalls ausschließt, für das Patrick Lohses Buch „Stadt/Archiv“ reichlich Anregungen bietet. Dass es für eine erfolgreiche Umbenennung einer Straße einen ganz langen Atem braucht, steht ohnehin auf einem anderen Blatt.