Gelsenkirchen-Buer. Zufall oder Himmelsgeschenk? Warum der Gelsenkirchener Pfarrer Pottbäcker trotz blauer Briefe nicht sitzenblieb. Schüler fand damals „alles doof“
Er gilt als Manager, Macher und Medienliebling in katholischer Mission. Doch es hätte anders kommen können für Stadtdechant Markus Pottbäcker, der als Pfarrer von St. Augustinus und St. Urbanus die zwei größten deutschen Pfarreien leitet: Wenn die Post damals zwei „blaue Briefe“ rechtzeitig zugestellt hätte, wäre er als Achtklässler nicht versetzt worden. Damit steht ein Fast-Sitzenbleiber im Mittelpunkt der letzten Folge der Sommer-Serie „Ehrenrunde: kein Weltuntergang“, der von sich selbst schmunzelnd sagt: „Mit meinem Abi-Schnitt konnte ich nur noch Theologie studieren!“
Es waren die Fächer Chemie und Physik, die dem Duisburger Anfang der 1980er-Jahre das Leben zur Hölle machten. Ausgerechnet mit diesen naturwissenschaftlichen Fächern, die dem lieben Gott auf die Finger zu schauen versuchen, stand der Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Meiderich auf Kriegsfuß.
Gelsenkirchener Propst: „Null-Bock-Phase“ in der Pubertät war schuld an Noten
„Ich war nun mal mitten in der Pubertät und fand alles doof“, erinnert sich der 56-Jährige schmunzelnd an diese Null-Bock-Phase. Dass seine „sehr netten Lehrer“ den Stoff auch nicht so anschaulich hätten erklären können, habe die Situation noch zusätzlich erschwert. [Lesen Sie auch:Gelsenkirchener Dechant würde „Queere“ weiterbeschäftigen]
Als dann die zwei „blauen Briefe“ ins Haus flatterten, seien seine Eltern „total stinkig“ gewesen, auch weil er und seine vier Jahre ältere Schwester zur ersten Generation in der Familie zählten, die auf ein Gymnasium gingen und die Chance hatten, Abitur zu machen.
Gelsenkirchener Propst Pottbäcker hatte als Kind große Angst, sitzenzubleiben
Taschengeldentzug oder Stubenarrest hätten der Schreiner und die gelernte Einzelhandelskauffrau, die damals im Pfarrbüro arbeitete, zwar nicht verordnet. „Aber sie haben schon klare Anweisungen gegeben, mich mehr anzustrengen.“
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Ob Zufall, Schicksal oder Himmelsgeschenk: Weil die „blauen Briefe“ eben nicht versetzungswirksam waren, dienten sie dem Achtklässler als Warnschuss. „Ich hatte große Angst, sitzenzubleiben, denn ich wollte nicht aus meiner Klasse raus. Also habe ich schon mehr getan.“
Lehrerwechsel beflügelte Neustart - heute findet Gelsenkirchener Chemie faszinierend
Den Neustart beflügelte überdies ein Lehrerwechsel. „Wir bekamen eine Lehrerin in Chemie, Mathe und Biologie, die wir alle verehrt und geliebt haben, weil sie so anschaulich erklären konnte. Auf einmal habe ich Sachen verstanden, die mir vorher völlig unklar gewesen waren.“ So sehr sprang der Funke für diese naturwissenschaftlichen Fächer über, dass Pottbäcker in der Oberstufe gar Chemie als Leistungskurs wählte („Ich stand bei dieser Lehrerin schließlich ,sehr gut’“).
Dass den Kurs dann zwar erneut der vorige Pädagoge übernahm, bei dem Pottbäcker sich eine Fünf eingehandelt hatte, dämpfte die Leidenschaft für die Eigenschaften chemischer Elemente etwas. Aber er war nie wieder in Gefahr, eine Ehrenrunde drehen zu müssen. Am Ende schloss er 1985 sein Abitur in den Prüfungsfächern Chemie, Geschichte, Religion und Französisch mit einem Schnitt von 2,8 ab. „Nicht so prickelnd“, findet er im Rückblick.
Nach den Noten in Klasse acht und einer Ehrenrunde fragt heute niemand mehr
Allerdings war er heilfroh, als „durchschnittlicher Schüler“ durch die Gymnasialzeit gekommen zu sein. Für die Wiederholung einer Klasse hätte er sich damals ziemlich geschämt.
Erfolgreich im Leben trotz Ehrenrunde
Jeder kennt jemanden, der nicht in die nächste Klasse versetzt wurde. Welche Spuren dies bei ihm oder ihr hinterlassen hat, wie das Leben für ihn oder sie weitergegangen ist, wissen aber wenige. Stattdessen greift gerne das Klischee des Versagers, der Schule und später wohl auch den Job nicht so richtig auf die Reihe kriegt.In der neuen Sommerserie spricht die Redaktion mit Betroffenen aus Gelsenkirchen, die trotz – oder gerade wegen – der Wiederholung einer Klasse etwas aus ihrem Leben gemacht haben, erfolgreich sind und als bestes Beispiel dafür dienen: Eine Ehrenrunde ist kein Weltuntergang!
Auch ist er dankbar, dass er durch die Versetzung beruflich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war: Nach dem Theologie-Studium in Bochum und Luzern und der Priesterweihe 1994 wurde er Kaplan in Alt-Oberhausen, wechselte dann als Stadtjugendseelsorger nach Essen, wo er später Diözesanseelsorger des Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ) wurde und schließlich in Bredeney als Pastor eine Gemeinde übernahm. 2014 wurde er Propst in St. Urbanus in Buer, 2015 Stadtdechant und 2017 Propst von St. Augustinus.
„Wer weiß, ob ich hier in Gelsenkirchen säße, wenn ich eine Ehrenrunde hätte drehen müssen“, fragt er sich. Nach den Noten in Klasse acht und einer Ehrenrunde fragt heute niemand mehr. Was zählt, sind ganz andere Qualitäten, die er als Fast-Sitzenbleiber freilich besonders trainiert hat: Durchhaltevermögen, auch wenn’s unangenehm wird.
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