Oberhausen. Peter Jöttens Montagsrunde debattiert seit 35 Jahren nicht nur Tagespolitik. 60- bis 90-Jährige überwinden ihr Fremdeln mit der Konferenztechnik.

Ist das heute noch so bemerkenswert? Dass ältere Menschen zwischen 60 und 90 souverän mit digitalen Konferenzmedien umgehen – und gerne dranbleiben? Astrid Schröder und Peter Jötten versichern unisono: Ja, das hat noch Ausnahme-Wert. Die Fachbereichsleiterin bei der Volkshochschule, zuständig für die Ressorts Kultur und Gesundheit, räumt ein, dass es selbst Dozenten gibt, „die leider nicht technikaffin sind“.

Erfahrener Moderator: Peter Jötten holte sich seine Anregungen für Online-Konferenzen bei den Bürgerdebatten der Brost-Stiftung.
Erfahrener Moderator: Peter Jötten holte sich seine Anregungen für Online-Konferenzen bei den Bürgerdebatten der Brost-Stiftung. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Peter Jötten ist da anders gewirkt. Stadtbekannt als langjähriger Koordinator beim Paritätischen für die rund hundert Selbsthilfegruppen in Oberhausen, moderiert er auch seit 35 Jahren den Montagskurs „Politik aktuell“, im Programmbuch schon traditionell beziffert als Nr. 1101R. Und gute Traditionen sollte man pflegen – selbst wenn eine Pandemie dazwischen kommt. Die VHS hätte gerne mehr Diskussionsangebote in den virtuellen Raum verlegt, erklärt Astrid Schröder: „Aber die Begeisterung für Online-Formate ist gering.“

„Wir wurden böse erwischt vom Lockdown“, sagt auch Peter Jötten über seinen Traditionskurs. Im Vorjahr hatte er die Gruppe noch zweigeteilt, um so weiter „live“ miteinander im Gespräch zu bleiben. Mit dem zweiten Lockdown seit November war auch diese Option passé. „Die Gruppe ist schon lange beisammen“, sagt der routinierte Moderator schlicht – da siegte die gewachsene Verbundenheit über das Fremdeln mit der Konferenztechnik.

In Hausbesuchen widerspenstige PCs eingerichtet

Zumal sich Peter Jötten alle Mühe gab. Aus den 2020er Bürgerdebatten, ausgerufen von der Brost-Stiftung, hatte er selbst Erfahrungen mit Online-Konferenzen gesammelt. Für den digitalen Neustart von „Politik aktuell“ entschied er sich für das besonders einfach zu handhabende Jitsi. „Und ich habe Hausbesuche gemacht“ – korrekt mit Maske und gebotenem Abstand – um widerspenstige PCs seiner Teilnehmer einzurichten.

Nicht nur Tagespolitik: Montags stehen auch gerne Theaterpremieren zur Debatte, wie hier „Nebraska“. 
Nicht nur Tagespolitik: Montags stehen auch gerne Theaterpremieren zur Debatte, wie hier „Nebraska“.  © Theater Oberhausen | Isabel Machado Rios

Dabei gibt es im neuen/alten Gesprächskreis höhere Hürden als die gar nicht so feindselige Technik: nämlich die Online-Etikette. „Manchmal geht’s hoch her“, sagt Peter Jötten, vernehmlich durch seine Maske schmunzelnd. „Einmal habe ich allen vorlesen müssen, was Moderation ausmacht.“ Nützlich sei das Handsymbol, damit sich alle gesittet beteiligen können. „Etikette heißt, dass jeder zu Wort kommt.“ Darum bemühe er sich auch stets, die Stilleren ins Gespräch zu ziehen.

„Politik aktuell“ bedeutet übrigens nicht, dass wöchentlich allein die Tagespolitik – ob im Weltformat, bundesweit oder auf Stadtebene – diskutiert würde. Peter Jötten freut sich, dass sich die Gruppe im Mai auch munter über Joseph Beuys’ 100. Geburtstag austauschte. Oder über die jüngst gestreamte Theaterpremiere von „Nebraska“ mit Texten von Bruce Springsteen – denn eine Teilnehmerin engagiert sich ehrenamtlich fürs Schauspielhaus. „Wir alle profitieren voneinander.“

Mutmacher: Ein Evergreen vom Flachdach

So debattiere man – orientiert an Tagesthemen, aber auch unbeschwert davon abschweifend – „auf richtig gutem Niveau“. Nach 80 Bildschirm-Minuten allerdings, räumt auch der Kursleiter ein, mag man keine eingekachelten Gesichter mehr sehen – zumal Peter Jötten selbst in seinem Dellwig kabeltechnisch noch immer weit vom Schuss wohnt. Zur Entspannung gibt’s dann schonmal so ein „herzzerreißend schönes Video“ wie jenes, das Mariam Touré vom Flachdach des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums für das Kulturtagebuch ihrer Schule eingesungen hatte: Den Evergreen „Somewhere over the Rainbow“ erlebte die Runde an ihren Notebooks und PCs als Mutmacher.

VHS plant mit Präsenz-Kursen im neuen Programm

Wie geht’s weiter mit der Volkshochschule? „Wir müssen Programmplanung machen“, sagt Astrid Schröder, „als gäbe es kein Corona“. Fixpunkt ist der Stichtag 7. August: Dann werde das digitale Programmbuch freigeschaltet auf vhs.oberhausen.de. Eingestellt hat sich die VHS natürlich auf Hygieneauflagen und kleinere Seminargruppen. Sind die Anmeldungen zahlreicher, müssten gefragte Kurse wohl im 14-tägigen Rhythmus aufgeteilt werden.Für das zweite Halbjahr, also 2022, sagt die Fachbereichsleiterin mit betonten Anführungszeichen, „haben wir beschlossen, dass Corona dann vorbei ist“. Sonst müsste die VHS im Stillstand verharren, wäre Programmplanung gar nicht machbar.

Peter Jötten überlegt, demnächst zu besonderen Themen auch Gäste per Link einzuladen, die seine debattierfreudige Gruppe dann befragen könnte. Doch er kennt auch die eine große Sehnsucht: „Alle wollen wissen, wann wir uns wiedersehen können.“ Ohne Mattscheibe und möglichst unmaskiert.