Oberhausen. Mit der Kommunalwahl am 13. September 2020 erlebt der Oberhausener Stadtrat einen gewaltigen Umbruch – allen voran die SPD-Fraktion.
Mit dieser Kommunalwahl tritt im Rat der Stadt Oberhausen eine ganze Generation erfahrener Politiker ab, die die Politik in der Stadt viele Jahre geprägt und bestimmt hat. Vor allem die heute 23-köpfige Ratsfraktion der SPD steht vor einem radikalen Umbruch, die beiden einzigen verbliebenen FDP-Ratspolitiker Hans-Otto Runkler und Regina Boos scheiden nach innerparteilichen Streitigkeiten komplett aus, die Grüne-Fraktion verliert ihre frühere Chefin Regina Wittmann – und das Bürgerbündnis Oberhausener Bürger (BOB) mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Gründer Karl-Heinz Mellis. Zusammen mit dem langjährigen SPD-Fraktionschef Wolfgang Große Brömer gehen ausgerechnet diejenigen Führungskräfte, die 2014 das erste Dreierbündnis im Oberhausener Rat mit SPD, Grünen und FDP schmiedeten – die Ampelkoalition, die Ende 2018 auseinanderbrach.
Entscheidende Weichenstellungen für Oberhausen
Seit Anfang der 90er Jahre ist der Osterfelder Wolfgang Große Brömer einflussreiches Mitglied der SPD-Ratsfraktion, von 2001 bis Mitte 2019 war er der Vorsitzende der größten Fraktion im Rat. Mit dem früheren Oberbürgermeister Klaus Wehling, dem heutigen Geschäftsführer der Stadttochter OGM, Hartmut Schmidt, und dem einstigen NRW-SPD-Chef Michael Groschek verbindet den 68-Jährigen zum Teil eine lange menschliche und politische Freundschaft.
Das Macht-Quartett tüftelte entscheidende Weichenstellungen für Oberhausen aus. Es erlebte die Hoch-Zeit der Sozialdemokratie mit absoluter Mehrheit und politischer Dominanz in Oberhausen genauso mit wie den stufenweisen Niedergang der SPD.
Mit ihm scheiden aus dem Rat nun die Bürgermeisterin Elia Albrecht-Mainz, die früheren stellv. Fraktionschefs Karl-Heinz Emmerich (Stadtplanung) und Kirsten Oberste-Kleinbeck (Soziales und Schule), Bezirksbürgermeisterin Dorothee Radtke, das Vorstandsmitglied und einer der dienstältesten Ratsherren, Horst Wolter (72), sowie Integrationsrats-Geschäftsführer Ercan Telli. Nicht mehr aufgestellt sind von der SPD auch noch Beatriks Brands, René Derksen, Manuel Dröhne, das Ehepaar Klaus und Anja Kösling sowie Yannah Selinke.
Mandat immer schwerer zu stemmen
„Jeder hat seine eigenen Motive, warum er nicht mehr im Rat arbeiten will oder kann. Die Arbeit im Rat ist für jeden immer zeitaufwändiger geworden und immer schwerer neben einem normalen Beruf zu stemmen. Insgesamt ist das ein sehr starker Verlust an Erfahrung für unsere Fraktion, die steht nun vor einem Neuanfang“, sagt Wolfgang Große Brömer. Im Sommer 2019 hatte er bereits die Fraktionsführung an Sonja Bongers abgegeben – trotz dieses schrittweisen Abschieds meint er nun: „Wie es sich wirklich nach so langer Ratsarbeit anfühlt, werde ich wohl erst nach meiner letzten Ratssitzung wissen. Es macht sich eine gewisse Traurigkeit breit, aber auch eine Erleichterung darüber, nicht mehr so viel Verantwortung tragen zu müssen.“
Ältester Ratsherr scheidet aus
Im Gegensatz zur SPD hat die zweitgrößte Ratsfraktion, die CDU, ihren Umbruch schon vor Jahren hinter sich gebracht. Bei dieser Wahl scheiden sicher nur zwei Ratsmitglieder aus: Der mit 79 Jahren älteste Ratsherr Hans-Jürgen Köhler und der langjährige CDU-Sozialpolitiker Hans Josef Tscharke.
Regina Wittmann, Stadtplanerin und Leiterin des NRW-Baukunstarchivs in Dortmund, war für die Grünen seit mehr als zehn Jahren im Oberhausener Rat und vier Jahre lang Vorsitzende der fünfköpfigen Fraktion. „Das war eine sehr schöne Arbeit, die Stadt mitzugestalten, aber sie benötigt viel Zeit und Energie.“ Zeit, die sie nun durch ihren Beruf nicht mehr habe.
Klimawandel auf der politischen Agenda
Stolz ist sie darauf, dass sie die Probleme des Klimawandels auf die politische Agenda der Stadt heben und die Einrichtung eines Gestaltungsbeirates mit Profis für große Bauprojekte erfolgreich vorantreiben konnte, um Oberhausens Stadtbauten schöner zu machen. Und immer noch äußerst bedauerlich findet sie, dass Planungs- und Umweltdezernentin Sabine Lauxen vom Rat nicht mehr wiedergewählt wurde: „Ich bin darüber bestürzt, mit ihr haben wir viel umsetzen können.“
Kein freiwilliger Ausstieg aus dem Rat
Nicht freiwillig geben FDP-Gruppenvorsitzender Hans-Otto Runkler und die FDP-Ratsfraktionsgeschäftsführerin sowie versierte Schulpolitikerin Regina Boos ihre Ratsmandate mit der Kommunalwahl 2020 ab. Die Jungliberalen mit dem Bundestagsabgeordneten Roman Müller-Böhm haben den Oberhausener Kreisverband geschickt erobert und einen Generationenwechsel erzwungen.
Runkler war auch in der Hochphase der FDP als Steuersenkungspartei ein stets wohl formulierender Kritiker des damals rein neoliberalen Kurses seiner Partei in Bund und Land. Der 67-jährige hätte im Oberhausener Rat gerne weitergemacht, freut sich nun aber darüber, dass „wir in den vergangenen Jahrzehnten viel erreicht haben“ – trotz der kleinen Truppe. Man habe vor 30 Jahren die geplante Sondermüllanlage verhindert, die Dach- und Fassadenbegrünung öffentlicher Gebäude auf den Weg gebracht, den Kauf von Elektrobussen bei der Stoag durchgesetzt und den Plan eines Taubenhauses angestoßen.
Die Linken-Fraktion verliert einen ihrer pfiffigsten Köpfe: Sozial- und Politikwissenschaftler Martin Goeke fiel durch Sachkenntnis und pointierte klare Reden im Rat auf. Der Wahlkreis-Mitarbeiter des Linken-Bundestagsabgeordneten Niema Movassat, der im nächsten Jahr zur Bundestagswahl nicht mehr antritt, hat einen neuen Job in Köln gefunden.
Viele Stunden pro Woche für die Ratsarbeit
„Für die Ratsarbeit benötigt man einige Stunden in der Woche; es ist schwierig, die Arbeit bei einem kommunalen Unternehmen in Köln, meine Familie in Oberhausen und ein Ratsmandat unter einen Hut zu bringen.“ Goeke war sechs Jahre lang im Rat – und auch dabei, wenn die Linken bei Themen wie OGM-Rekommunalisierung oder Parkgebühren-Reduzierung am Kaisergarten mit der politisch weit entfernten CDU paktierte. „Das war politisch interessant: In der Kommunalpolitik überschreitet man auch ideologische Grenzen, wenn es um Sacharbeit geht.“