Oberhausen. 340 Ukrainerinnen und Ukrainer finden derzeit im Louise-Schroeder-Heim eine Notunterkunft. Doch in Gedanken können sie dem Krieg nicht entfliehen.
Der Krieg in der Ukraine nimmt kein Ende und auch in Oberhausen kommen immer mehr Geflüchtete an. Die Stadt muss bei ihrer Unterbringung erfinderisch werden. Seit dem 15. März steht hierfür auch ein leerstehendes Gebäude des Louise-Schroeder-Heims in Osterfeld zur Verfügung. 340 Menschen haben dort zurzeit eine vorübergehende Bleibe gefunden, darunter 80 Kinder. Während auf den Gängen noch alles genauso aussieht, wie es in einem in die Jahre gekommenen deutschen Altersheim aussieht, öffnen sich hinter jeder einzelnen Tür Geschichten, die erschüttern und berühren. Ein Besuch in einer völlig anderen Realität, die in unserer direkten Nachbarschaft stattfindet.
Iryna Amirovas Sohn ist sieben Jahre alt. „Wann gehen wir endlich nach Hause“, fragt er seine Mutter, mindestens einmal am Tag. „Ich weiß es nicht“, antwortet die 42-Jährige. Sie will ihn nicht anlügen. Zusammen mit ihrer Schwester und deren erwachsener Tochter ist sie aus ihrer Heimatstadt Charkiw geflüchtet, mit 1,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Nun teilen sie sich zu viert dieses Zimmer. Ihre spärlichen persönlichen Dinge haben sie in die hellbraunen Regale gestellt, mit Tüchern vor den Deckenlichtern haben sie es sich etwas wohnlicher gemacht. Auf der Fensterbank und zwischen den Betten schleichen die beiden Sphynx-Katzen Frank und Faraon umher.
Kämpfe in Charkiw: 14 Raketen in drei Tagen
Als Charkiw innerhalb von drei Tagen von 14 Raketen bombardiert wurde, sagt Iryna Amirova, „da dachten wir, es geht nicht mehr. Wir müssen hier weg“. Am nächsten Morgen fuhren Bekannte sie zum Bahnhof, in den Taschen nur ein paar Dokumente und Medizin. Was nimmt man mit, wenn man sein Zuhause verlässt, nicht wissend, ob man es jemals wiedersieht? Iryna Amirova und die beiden anderen Frauen haben keine Antwort auf diese Frage. Sie hatten wahrscheinlich gar keine Zeit, sie sich zu stellen, sie haben rein instinktiv gehandelt. „Die Katzen waren das wichtigste“, sagt Irynas Schwester Lybor Baitserova.
Mit dem Zug ging es zunächst nach Lwiw im Westen des Landes, von wo aus sie zu Fuß die Grenze nach Polen überquerten. „Dort sagte man uns: Polen ist voll, ihr müsst nach Deutschland.“ Mit dem Zug kamen sie in Hannover an, fanden dort jedoch keine Bleibe, in der sie die Katzen hätten mitnehmen dürfen. In Oberhausen war es dann möglich, jedoch nur hier an der Siepenstraße, zurzeit die einzige Notunterkunft in der Stadt, die auch Tiere aufnimmt.
In Sicherheit vor dem Krieg, doch das Herz ist gebrochen
Von ihrem Mann musste Iryna sich auf unbestimmte Zeit verabschieden. Er darf das Land nicht verlassen, musste sich jedoch zum Glück noch nicht am Kampf beteiligen. Morgens und abends telefonieren sie miteinander. „Mein Herz ist gebrochen“, sagt Iryna. Sie macht sich große Sorgen. Mit eigenen Augen hat sie gesehen, wie erbarmungslos der Krieg in ihrer aller Leben hereingebrochen ist. „Unsere Stadt existiert nicht mehr“, sagt die Unternehmerin. Zusammen mit ihrer Schwester betreibt sie eine Baufirma. Die Geschäfte stehen schon lange still. Die Fabriken produzieren nichts und niemand braucht gerade ihre Dienstleistungen. Die Scheiben des Büros sind zersplittert, sie haben es notdürftig mit Holz verbarrikadiert.
„Es wird viel Arbeit für uns geben, wenn der Krieg vorüber ist“, sagt Iryna. „Aber im Moment denken wir nur daran, dass der Krieg endlich endet und wir wieder nach Hause können“, fügt ihre Schwester Lybor hinzu. Sie kann ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Ihre Stimme versagt. Kateryna Baitserova, ihre 28-jährige Tochter, die bisher still dem Gespräch gefolgt ist, übernimmt: „Es ist gut, in Sicherheit zu sein, aber es hilft innerlich nicht. Es frisst einen auf, dass Familie und Freunde noch dort sind.“
Ihre Worte erinnern daran, dass die Frauen, Männer und Kinder im Louise-Schroeder-Heim nicht nur ihre Katzen und Hunde dabei haben. Auch die Angst und die Sorge, die Trauer und Wut ist im Gepäck, wenn sie hier ankommen. Man kann nur hoffen, dass diese Gefühle bald weniger werden.