Gelsenkirchen. Eine blinde Berlinerin macht einer Gelsenkirchener Tierarztpraxis schwere Vorwürfe: Ihren Hund habe man verbluten lassen. Was die Praxis sagt.
- Corinna Schneider, 55 Jahre alt, zwei Prozent Sehkraft, seit 30 Jahren im Rollstuhl, besuchte eine Tierarztpraxis in Gelsenkirchen, weil ihr Blindenhund blutete und sich mehrmals übergeben musste.
- Doch dort wollte man dem Tier Schneider zufolge nicht sofort helfen, ohne 170 Euro für eine Blutuntersuchung zu fordern. Schneider selbst hatte nicht genug Geld dabei.
- Aber kann man als Tierarztpraxis eine lebensnotwendige Behandlung aus Kostengründen verschieben? Die Praxis sagt: Der Hund sei noch fit gewesen, als er ankam. Wenig später aber musste Oli eingeschläfert werden.
Alle paar Jahre besucht die Berlinerin Corinna Schneider ihre Schwester in Gelsenkirchen. Jetzt wird die fast blinde Frau im Rollstuhl das Ruhrgebiet als jenen Ort in Erinnerung behalten, wo ihr treuer Blindenhund Oli sterben musste.
Gelsenkirchen war für die 55-Jährige, die nur noch weniger als zwei Prozent Sehkraft hat, ein Zwischenstopp. „Ich wollte zum Ausbilder nach Österreich“, erzählt sie. Schwierig sei es, Hundeausbilder zu finden, die die Tiere sowohl für die Begleitung im Rollstuhl als auch für die Blindenführung schulen – deshalb nahm sie die lange Reise in Kauf. Weiter ausgebildet werden sollte ihr neuer weißer Schäferhund, der Oli bis Ende des Jahres ablösen sollte. Schneider ist mit zwei Hunden nach Gelsenkirchen gekommen. Verlassen hat sie die Stadt mit einem.
Berlinerin hat Anzeige wegen Verletzung des Tierschutzgesetzes erstattet
Was passierte bis zu jenem Zeitpunkt, als Oli in der Tierklinik Recklinghausen, vermutlich aufgrund seines enormen Blutverlustes und einer Sepsis, eingeschläfert werden musste? Dazu gibt es mehrere Sichtweisen. Sicher ist, dass der Schweizer Schäferhund nicht mehr lebt. Corinna Schneider, die ihren Hund am Samstag, 9. Juli, beim Smartvet Tiergesundheitszentrum Gelsenkirchen vorstellte, als Blut aus seinem After kam, wirft der Praxis in Schalke unterlassene Hilfeleistung vor. Auch eine Anzeige bei der Polizei Gelsenkirchen wegen Verletzung des Tierschutzgesetzes hat sie erstattet.
„Man wollte Oli nicht behandeln, ohne dass ich in Vorkasse trete“, behauptet Schneider, die nach eigener Aussage 100 Euro dabei hatte – zu wenig für die aufwendige Untersuchung. Mal eben neues Geld abzuheben? Für die fast komplett blinde Frau im Rollstuhl nicht so einfach möglich. Einen EC-Pin hat sie nicht, Geld bekommt sie nur nach Vorzeigen ihrer Personalien von einem Bank-Mitarbeitenden. „Ich habe deshalb angeboten, per Paypal, Rechnung oder Kreditkarte zu bezahlen, aber alles wurde abgelehnt“, sagt Scheider. Geweint habe sie sogar in der Praxis. „Ich war fertig!“
Als Schneider in Schalke nicht die Hilfe für ihren Hund bekam, die sie bekommen wollte, versuchte sie es auf anderer Ebene: Sie kontaktierte die Feuerwehr Gelsenkirchen und das Tierheim.
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Bei der Feuerwehr teilt man uns mit, es habe sich um keinen üblichen Einsatz gehandelt. Normalerweise rücke man eher bei herrenlosen Tieren aus, nicht wenn Besitzer vor Ort sind. Nach Angaben eines Sprechers ist man aufgrund der Hilfsbedürftigkeit von Frau Schneider dennoch erschienen. Vor Ort sei durch einen Arzt der Tierpraxis dann bestätigt worden, dass der Hund außer Lebensgefahr ist, aber weitere, kostenpflichtige Untersuchungen nötig seien.
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Frau Schneider habe dann jedoch durch die Tierschützer Hilfe bekommen. Ein ehrenamtlicher Helfer brachte den leidenden Hund dann nach Recklinghausen zur Anicura-Tierklinik, bestätigt man beim Tierheim. Details über Olis Zustand konnte man nicht nennen. Schneider sagt: „Es lag zu diesem Zeitpunkt bereits überall Blut!“
Unterlassene Behandlung? Tierpraxis in Gelsenkirchen wehrt sich gegen Vorwurf
Und die Tierpraxis in Schalke? Bei Smartvet ist man überrascht, als wir der Leitung mitteilen, dass Schäferhund Oli mittlerweile tot ist. „Das ist sehr traurig und es tut mir für Frau Schneider unglaublich leid“, sagt Sabine Hoffmann, die sich jedoch zugleich gegen den Vorwurf wehrt, notwendige Untersuchungen aufgrund fehlenden Geldes zurückgehalten zu haben. „Wir sind nicht diejenigen, die immer sofort aufs Geld schauen, kümmern uns beispielsweise auch um Wildtiere. Und wir geben den Leuten Möglichkeit, Geld zu besorgen“, sagt Hoffmann – und wiederholt, was in der Feuerwehr-Akte steht: „Der Hund war noch fit, als er bei uns ankam.“
Eine Grunduntersuchung habe Oli erhalten, das streitet auch Schneider nicht ab. Die Zähne seien kontrolliert worden, Fieber gemessen und der Bauch abgehört worden. „Der Hund war nicht in einem lebensbedrohlichen Zustand“, sagt Hoffmann von Smartvet. Angeboten worden sei Schneider auch eine Blutuntersuchung für den Hund sowie ein Mittel gegen Brechreiz. Doch das habe sie abgelehnt. „Die Frau hat unsere Praxis dann wutentbrannt verlassen.“
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Schneider hingegen behauptet, eine Blutuntersuchung habe man bei Smartvet zunächst nicht machen wollen, jedenfalls nicht ohne sofort 170 Euro zu verlangen. „Ich habe auf eine Blutuntersuchung gedrängt.“ Das Mittel gegen Brechreiz habe sie abgelehnt, weil dies nicht gegen den blutigen Durchfall geholfen hätte. „Und es lief teils aus dem After wie ein Wasserfall.“ Wie dramatisch der Zustand des Hundes sei, habe sie demonstriert, indem sie mehrere Tüten mit Erbrochenem und Durchfall mitgebracht hätte – alles das Resultat nur weniger Stunden. Hoffmann aber bekräftigt: „Wir würden keine notwendigen Untersuchungen verschieben, wenn es um das Leben des Tieres geht.“
Hier wurde der Hund eingeschläfert: So äußert sich die Tierarztpraxis Recklinghausen
Die Tierklinik Anicura in Recklinghausen, wo Olli eingeschläfert wurde, möchte aus Datenschutzgründen zu dem Fall keine detaillierte Stellung nehmen. Tierärztin Jessica Olivier plädiert jedoch dafür, solche „hoch emotionalen Situationen“ differenziert zu betrachten. „Natürlich gibt es auch Fehlentscheidungen von Ärzten, aber es gibt auch Besitzer, die zu spät kommen oder aus Kostengründen manche Behandlungen ablehnen“, sagt sie.
Dass weniger gut betuchte Tierbesitzer nach einer umfassenden Behandlung fragen, diese dann aber gar nicht finanzieren können, sei nicht selten der Fall. Deshalb versuche man sich in der Klinik entsprechend abzusichern, indem man bei den Kunden, die eine Rechnung erhalten wollen und nicht sofort per EC-Karte, Kreditkarte oder Bar zahlen können, erst eine Bonitätsprüfung durchführe.
Corinna Schneider hat die Bonitätsprüfung durchlaufen. Sie bekommt die Rechnung für die Behandlung und die Einschläferung ihres Hundes per Post nach Berlin. Es werden mindestens 250 Euro sein.